Apolda, 1938/39: Feuerlöschgerätewerk
Eine Textilfabrik im thüringischen Apolda, ein neuer Eigentümer aus Berlin, der dort Feuerlöscher produzieren lassen will. Egon Eiermann wird mit der Erweitung beauftragt und schafft ein bis heute überzeugendes Beispiel für das Konzept Weiterbauen. Nach jahrelangem Leerstand und Verfall ist der sogenannte Eiermann-Bau inzwischen saniert und wird heute von der IBA Thüringen als „Open Factory“ entwickelt.
Text: Kunst, Jasmin, Zürich
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Egon Eiermann verlängerte das bestehende Produktionsgebäude aus dem Jahr 1907, indem er das konstruktive Raster des Altbaus einfach weiterführte.
Foto: Thomas Müller, ©IBA Thüringen
Egon Eiermann verlängerte das bestehende Produktionsgebäude aus dem Jahr 1907, indem er das konstruktive Raster des Altbaus einfach weiterführte.
Foto: Thomas Müller, ©IBA Thüringen
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Fabriketage in Eiermanns Erweiterung
Foto: Thomas Müller, ©IBA Thüringen
Fabriketage in Eiermanns Erweiterung
Foto: Thomas Müller, ©IBA Thüringen
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Neuer Eingang in die „Open Factory“ ...
Foto: Thomas Müller, ©IBA Thüringen
Neuer Eingang in die „Open Factory“ ...
Foto: Thomas Müller, ©IBA Thüringen
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... im älteren Teil des Gebäudes
Foto: Thomas Müller, ©IBA Thüringen
... im älteren Teil des Gebäudes
Foto: Thomas Müller, ©IBA Thüringen
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Treppe in Eiermanns Erweiterungsbau.
Foto: Thomas Müller, ©IBA Thüringen
Treppe in Eiermanns Erweiterungsbau.
Foto: Thomas Müller, ©IBA Thüringen
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Blick in eine Fabriketage im älteren Teil des Gebäudes
Foto: Thomas Müller, ©IBA Thüringen
Blick in eine Fabriketage im älteren Teil des Gebäudes
Foto: Thomas Müller, ©IBA Thüringen
In den Räumen, in denen heute die Internationale Bauausstellung Thüringen arbeitet und ausstellt, fertigten Belegschaften über sechzig Jahre lang Feuerlöscher an. Wir befinden uns in Apolda, einer thüringischen Kleinstadt mit 22.000 Einwohnern zwischen Weimar und Naumburg. Hier erlebte die Textilindustrie im 19. Jahrhundert eine Blütezeit, auf deren Höhepunkt die Branche in der Stadt 6000 Menschen Arbeit bot. 1907 wurde eine Textilfabrik für die Weberei „Borgmann und Co“ fertiggestellt, die der Apoldaer Architekt Hermann Schneider geplant hatte.
Aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten musste der Betrieb 1935 eingestellt werden, das Fabrikgebäude wurde an die Total Kommanditgesellschaft Foerstner & Co verkauft, die ihren Firmensitz von Berlin-Charlottenburg nach Apolda verlegen wollte, um dort fortan Feuerlöscher zu herzustellen. Um den Produktionsbedingungen des expandierenden Unternehmens gerecht zu werden, beauftragte der Firmeninhaber Waldemar Foerstner 1938 den befreundeten jungen Architekten Egon Eiermann (1904–1970) mit der Erweiterung des Industriebaus.
Diese umfasste die Verlängerung des bestehenden neunachsigen Mauerwerksbaus um weitere zehn Achsen, ausgeführt als Stahlbetonskelettkonstruktion. Die Fassadenwirkung des Neubaus sollte maßgeblich von dieser sichtbarenTragstruktur und ihrer Ausfachung mit Klinker und blauen Stahlsprossenfenstern bestimmt werden. Nach oben hin sollte der viergeschossige Neubau mit einer schiffsdeckartigen Dachterrasse, überdeckt von einem geschwungenen, auskragenden Sonnendach, abgeschlossen werden. So wollte das Unternehmen für die Erholung der Belegschaft Sorge tragen – und dies auch nach außen hin präsentieren. Wie bereits an den Bestandsbau schloss auch an die Erweiterung ein turmartiger Baukörper an, in dem die Treppen untergebracht wurden.
Den Innenraum führte Egon Eiermann kontinuierlich weiter: zwei in Richtung Raummitte versetzte Betonpfeilerreihen teilen den zwölf Meter tiefen Raum symmetrisch in zwei Teile mit einer Art „Mittelschiff“ dazwischen. Während die unteren Geschosse für die Fabrikation genutzt wurden, war das 3. Obergeschoss fast vollständig sozialen Einrichtungen vorbehalten: ein Speisesaal mit Tanzfläche und Bühne; Umkleiden, Wasch- und Duschräume im freigewordenen Teil des Altbaus.
Die Qualität von Eiermanns Planung liegt in der subtilen, aber doch klaren Unterscheidung von Altem und Neuem. So vereinheitlichte er die im Altbau geschossweise variierenden Fensterformen im Neubau und zog die im Altbau verspringenden Stützen im Neubau in einer Flucht hoch. Das im Bestandsbau als Halbgeschoss ausgebildete dritte Obergeschoss wird im Neubau zum Vollgeschoss und überragt den Bestand somit leicht. Eine weitere Besonderheit sind die großen Stahlsprossenfenster, deren geometrische Komposition ein flächiges Muster auf der Fassade erzeugt.
Kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs war der An- und Umbau vollendet. Bis 1942 fertigte das Unternehmen, das bis zu diesem Zeitpunkt 370 Mitarbeiter beschäftigte, ausschließlich Feuerlöschgeräte an, danach beteiligte es sich auch an der Kriegsproduktion. Nach Kriegsende und mit der sowjetischen Besatzung wurde der Besitzer Waldemar Foerstner wegen seiner Mitgliedschaft in der NSDAP und der Beteiligung an der Kriegsproduktion enteignet und verließ Apolda. Die Fabrik wurde in einen volkseigenen Betrieb(VEB) umgewandelt und widmete sich fortan wieder der Produktion von Feuerlöschern. Mit der Erweiterung des Sortiments, aber auch mit der fortschreitenden Rationalisierung und Verbesserung der Fertigungsprozesse, begann man ab den sechziger Jahren, das Gebäude um eingeschossige Produktionshallen zu erweitern. Die Fabrikation über mehrere Geschosse hinweg war nicht mehr effizient, weshalb in den oberen Etagen des Eiermann-Baus schon damals Büros eingerichtet wurden.
Nach dem Ende der DDR wurde der staatliche Betrieb in eine Kapitalgesellschaft umgewandelt. Die neuen Besitzer zogen sich aber bald aus dem Feuerlöschergeschäft zurück und verließen den Standort. Ab 1994 wurde der Eiermann-Bau dem Verfall überlassen. Er litt unter Vandalismus, dem immer undichter werdenden Dach und geriet allmählich in Vergessenheit.
1999 gründeten Bewohner der Stadt einen Verein mit dem Ziel, den Eiermann-Bau für die Allgemeinheit zu erhalten und weiterhin zu nutzen. Dazu gehörte die denkmalgerechte Sanierung und deren Finanzierung, aber auch die Suche nach einem geeigneten Nutzungskonzept – und letzten Endes nach zahlungsfähigen Mietern. Im Jahr 2005 begann die Reparatur des Daches, die eingeschossigen Bauten auf dem Gelände wurden abgerissen.
Der Umgang mit dem Eiermann-Bau folgt keinem wirklich neuartigen, aber einem durchaus bewährten Konzept für die Wiederbelebung eines aus der ursprünglichen Nutzung gefallenen Fabrikgebäudes. Die IBA Thüringen bewirbt den Eiermann-Bau heute mit dem Begriff „Open Factory“ – eine offene Fabrik für „Ateliers und Ausstellungen, Coworking, Produktion und Werkstattarbeit“. Vieles ist hier also möglich. Die IBA macht bereits vor, wie die Aneignung der Fabriktypologie funktionieren kann: Dem widrigen Umstand, dass ein effizientes Heizen der großen Räume nicht möglich ist, begegnet sie, indem die einzelnen Büros in kleinen Gewächshäusern untergebracht wurden und frei im Raum verteilt stehen (
Bauwelt 16.2019).
Der Bau mit seiner aus der Konstruktion wachsenden, sachlich-modernen Gestaltung ließe sich dem Augenschein nach durchaus dem Neuen Bauen zuordnen, gleichwohl hatte Egon Eiermann dieses stets abgelehnt, wie übrigens auch die am Bauhaus unterrichteten Lehrprinzipien. Gemeinsam mit anderen Hans-Poelzig-Schülern hatte er 1926 die „Gruppe junger Architekten“ gegründet, die die Auffassung propagierte, ein Architekt solle sich vor allem mit baupraktischen Fragen, mit Fragen der Nutzung und mit architektonischen Details beschäftigen – statt mit abstrakt-theoretischen oder gar rein formalen Überlegungen.
Seine Qualität und Wirkung konnte der Industriebau nach seiner Restaurierung wieder entfalten. Um diese auch weiterhin zu erhalten, brauchtes das Interesse der Apoldaer Bevölkerung, aber eben auch eine dauerhafte Nutzung. Diese ist sicher möglich, da der flexible Raum auch heutigen Arbeitsbedingungen gerecht zu werden scheint. Der erneute Erfolg des Eiermann-Baus könnte eine Strahlkraft auf die Stadt haben, und mit ihm überlebte nicht nur seine eigene Substanz, sondern auch die Idee von einer Fabrik.
Literatur
Egon Eiermann, 1904–1970. Die Kontinuität der Moderne. Hrsg.: Annemarie Jaeggi
Hildebrand, Sonja: Egon Eiermann – die Berliner Zeit. Das Gesamtwerk bis 1945 Egon Eiermann 1904–1970. Bauten und Projekte. Hrsg.:Wulf Schirmer
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