Badebrunnen in Baden
Seit Jahrhunderten sprudelt aus den Limmatquellen bei Baden warmes Wasser. Um dessen wohltuende Wirkung für Körper und Geist wussten bereits die Römer, trotzdem drohte das Wasser aus dem öffentlichen Raum der Stadt zu verschwinden. Wo in einer Guerillaaktion temporäre Bäder installiert wurden, stehen heute fest installierte, öffentliche Badebrunnen, die der Stadt ihre gemeinschaftliche Badekultur wiedergeben.
Text: Kunst, Jasmin, Zürich
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Ins Flussbett der Limmat sprudelt aus 18 Quellen 47 Grad warmes Wasser.
Foto: Christoph Lüber
Ins Flussbett der Limmat sprudelt aus 18 Quellen 47 Grad warmes Wasser.
Foto: Christoph Lüber
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Die steinernen Wasserbecken stehen beidseits des Flusses, der von Zürich aus durch Baden fließt und später in die Aare mündet.
Foto: Christoph Lüber
Die steinernen Wasserbecken stehen beidseits des Flusses, der von Zürich aus durch Baden fließt und später in die Aare mündet.
Foto: Christoph Lüber
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Die Brunnen sind lediglich mit Garderobenhaken, einem Schlauch mit kaltem Wasser und auf Ennetbadener Seite mit Toilette ausgestattet.
Foto: Christoph Lüber
Die Brunnen sind lediglich mit Garderobenhaken, einem Schlauch mit kaltem Wasser und auf Ennetbadener Seite mit Toilette ausgestattet.
Foto: Christoph Lüber
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Neben den Sitzbassins gibt es auch einen Trinkbrunnen und ein Fußbad.
Foto: Christoph Lüber
Neben den Sitzbassins gibt es auch einen Trinkbrunnen und ein Fußbad.
Foto: Christoph Lüber
Was man hat, wird einem oft erst dann richtig bewusst, wenn man es zu verlieren droht. So ging es wohl vielen Badener und Badenerinnen, die dabei waren, als das warme Quellwasser, das der Stadt ihren Namen gibt, 2012 annähernd zeremoniell aus dem letzten noch genutzten, aber maroden Thermalbad abgelassen wurde und somit aus dem Stadtbild verschwand. Unter ihnen waren auch der Städteplaner Marc Angst und befreundete Kunst- und Kulturschaffende. „Erst da wurde uns bewusst, über was für ein besonderes Allgemeingut wir hier verfügen“, erzählt er. „Auch wenn die Bäder nun geschlossen waren, sprudelte das Thermalwasser weiter. Wir begannen uns zu fragen, wohin es fließt? Woher kommt es? Wem gehört es?“
Marc Angst und seine lose Gruppe begannen eine intensive Recherche um dieses Naturgut. Der Blick zurück zeigte, dass im Wasser schon mindestens 2000 Jahre lang ohne größere Unterbrechungen gebadet wurde. Die ältesten archäologischen Überreste von Becken stammen aus römischer Zeit. In den folgenden Jahrhunderten traf sich die Oberschicht in schicken Badgasthöfen, für das einfache Volk, Arme und Kranke blieben öffentliche Freiluftbäder. Mitte des 19. Jahrhunderts erlebte die Badekultur eine Blütezeit. Mit den neu erbauten noblen Kurhotels verschwanden aber die öffentlichen Bäder aus dem Stadtbild.
Die letzten 150 Jahre stellen in der Geschichte von Baden also eher die Ausnahme als die Regel dar, erkannte die Gruppe und entschloss, sich das Wasser wieder anzueignen. So durchkämmten Marc Angst und andere Badelustige eines Nachts 2012 das damals ausgestorbene Bäderquartier, öffneten auf der Suche nach Thermalwasser Kanaldeckel und stellten fest: Es wäre ganz leicht zugänglich. Zum Badespaß fehlte nur ein Schlauch und ein paar zu einem Becken zusammengezimmerte Bretter. Alle halfen, Material hinzutragen, und bauten nach einer ausgelassenen Feier das Becken wieder ab. Solche Badeaktionen wiederholten sich und sprachen sich schnell herum: Könnte das gemeinschaftliche Baden unter freiem Himmel, ohne Eintrittsgebühr und Aufsicht, wieder eine permanente Angelegenheit werden?
Von temporären zu dauerhaften Brunnen
Die Gruppe organisierte sich als der Verein „Bagni Popolari“ mit dem Ziel, heiße Brunnen für alle zu realisieren. Anhand von Prototypen, die im Bäderquartier umherwanderten, suchten sie Antworten auf zu klärende Fragen: Wie groß müssen die Becken sein, damit die Leute genug Platz haben um sich wohl zu fühlen, aber trotzdem miteinander ins Gespräch zu kommen? Wie lässt sich die Temperatur regulieren? Wie funktionieren Unterhalt und Reinigung? Auch technisch waren die Brunnen eine Herausforderung, denn das Wasser ist mit Mineralien durchsetzt, es ist äußerst aggressiv. Alles, was damit in Berührung kommt, verrostet und veralgt in kürzester Zeit. Sicher war, dass die Brunnen so einfach und archaisch wie möglich sein sollten.
Gemeinsam mit Experten fand sich das richtige Material und die Möglichkeit, das Wasser natürlich von Steinen und Sand filtern zu lassen und pumpenfrei in die Becken zu leiten. Waren die Brunnen der Pilotphase noch aus Holz, bestehen sie heute entweder aus lokalem Muschelkalk oder aus geschliffenem Beton, mit einer speziellen Mörtelmischung.
Das Projekt und die große Zustimmung der Bevölkerung überzeugten die Einwohnergemeinde, die Kosten für den Unterhalt zu übernehmen. Der Schlüssel zur Realisierung war aber das Wasser selbst. Alle Quellen befinden sich in privatem Besitz – und ohne Wasser kein Brunnen. Die Ortsbürgergemeinde besitzt jedoch ein Teilnutzungsrecht an einigen Quellen. Bagni Popolari konnte die Ortsbürgergemeinde von ihrem gemeinnützigen Projekt überzeugen und durfte eine gewisse Anzahl Liter des ausströmenden Wassers in die Brunnen leiten. Die Ortsbürgergemeinde übernahm auch die Erstellungskosten des einen Brunnens auf der Badener Flussseite.
Einfaches Baden
„Was mich überrascht, ist, dass das Wasser fast eine magische Wirkung auf Menschen hat“, resümiert Marc Angst. Obwohl sie unbeaufsichtigt seien, tragen die Brunnen dem Ort Sorge. „Egal welche Kleidung die Menschen vorher getragen haben, egal wo sie herkommen, sie kommen ins Gespräch.“ Wer in ein voll ausgestattetes Thermalbad möchte, geht stattdessen ins Fortyseven. Das ungefähr zeitgleich eröffnete Thermalbad von Mario Botta steht direkt nebenan als gebaute, vor allem technische Antithese zu den heißen Brunnen. Dort wird das Wasser chemisch aufbereitet, 40 Franken kostet der Eintritt. Die Einfachheit der Badebrunnen dagegen wirkt als Filter, schützt vor Übernutzung.
Die besondere Magie des Orts spüre ich, als ich mit Badezeug im Gepäck in Zürich in den Zug steige und eine halbe Stunde später in einem der Brunnen sitze. Alle Becken sind rege genutzt, trotz sommerlicher Temperaturen. Die Stimmung friedlich, ein schwefeliger Geruch liegt in der Luft und ich genieße den Blick auf den Fluss. Mit meinem Badenachbarn komme ich tatsächlich schnell ins Gespräch. Wir sind uns einig: Bei 32 Grad Lufttemperatur ist der Brunnen doch etwas heiß, nach zehn Minuten ziehe ich die kühle Dusche vor. Sicher ist: Ich komme wieder. Denn die Zukunft des gemeinsamen Thermalbadens ist erstmal gesichert.
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