Battersea Arts Centre in London
Im Aufschwung der Industrialisierung entstand in Südwest-London ein progressiver Neubau: Ein Rathaus mit angegliedertem Saal für die Bürgerschaft. 2014 brannte der Saal, mittlerweile Teil eines Kulturzentrums, aus. Im September wurde er, in neuer Fasson, wiedereröffnet.
Text: Landes, Josepha, Berlin
-
Durch den Theater-Eingang von der Townhall Street gelangt man ...
Foto: Fred Howarth
Durch den Theater-Eingang von der Townhall Street gelangt man ...
Foto: Fred Howarth
-
... in ein oktogonales Foyer, von dem aus die Wandelgänge der Grand Hall abgehen.
Foto: Fred Howarth
... in ein oktogonales Foyer, von dem aus die Wandelgänge der Grand Hall abgehen.
Foto: Fred Howarth
-
Das halbovale Deckengefach basiert auf fünf Modulen.
Foto: Philip Vile
Das halbovale Deckengefach basiert auf fünf Modulen.
Foto: Philip Vile
-
Die Form des Gewölbes haben die Architekten ...
Foto: Fred Howarth
Die Form des Gewölbes haben die Architekten ...
Foto: Fred Howarth
-
... nach dem Brand anhand der zurückgebliebenden Gipskante ermittelt.
Foto: Haworth Tompkins
... nach dem Brand anhand der zurückgebliebenden Gipskante ermittelt.
Foto: Haworth Tompkins
-
Die an die frühere Erscheinung angelehnte neue Decke bietet durch ihre Durchlässigkeit sowohl akustisch als auch theatertechnisch Vorzüge.
Foto: 8Build
Die an die frühere Erscheinung angelehnte neue Decke bietet durch ihre Durchlässigkeit sowohl akustisch als auch theatertechnisch Vorzüge.
Foto: 8Build
-
Die Bar schließt an das von einer Glaskuppel gekrönte Foyer-Oktogon an, das Binde-glied zwischen früherem Rathaus und Grand Hall.
Foto: Fred Howarth
Die Bar schließt an das von einer Glaskuppel gekrönte Foyer-Oktogon an, das Binde-glied zwischen früherem Rathaus und Grand Hall.
Foto: Fred Howarth
-
Das BAC gräbt sich in den Hügel ein, an dessen Kuppe, vor dem Haupteingang, die Straße Lavender Hill verläuft. Links geht die Theatre Street, rechts die Townhall Street ab.
Foto: Morley von Sternberg
Das BAC gräbt sich in den Hügel ein, an dessen Kuppe, vor dem Haupteingang, die Straße Lavender Hill verläuft. Links geht die Theatre Street, rechts die Townhall Street ab.
Foto: Morley von Sternberg
-
Sowohl das Foyer als auch die Amtsstuben des alten Rathausʼ sind für den Theaterbetrieb angepasst. Im rückwärtigen Untergeschoss befinden sich Co-Working-Räume, darüber die Grand Hall.
Foto: Josepha Landes
Sowohl das Foyer als auch die Amtsstuben des alten Rathausʼ sind für den Theaterbetrieb angepasst. Im rückwärtigen Untergeschoss befinden sich Co-Working-Räume, darüber die Grand Hall.
Foto: Josepha Landes
-
Der umgebaute Innenhof bietet eine neue Bühne, ...
Foto: Alex Brenner
Der umgebaute Innenhof bietet eine neue Bühne, ...
Foto: Alex Brenner
-
... der Dachausbau Bürofläche.
Foto: Fred Howarth
... der Dachausbau Bürofläche.
Foto: Fred Howarth
Blaue Stunde an einem kalten, klaren Dezembertag in London. Der Weg führt mich von Kensington, durch die Straßen von Chelsea, die Battersea Bridge nehmend über die Themse mit dem Ziel, einer Theatervorstellung beizuwohnen, von der nicht ganz sicher ist, was kommt. Orpheus steht auf dem Programm des „Battersea Arts Centre“ und aus den Pressebildern von dem, was mich dort erwartet, war es mir schwergefallen, die Garderobe abzuwägen.
Battersea ist ein Arbeiterviertel. Mit der Industrialisierung kam die Eisenbahn, kamen mehr und mehr Menschen, die hier, wo der Bahnhof Clapham Junction die Hauptstadt an die Küste anbindet, Arbeit fanden. Das Gebäude, das heute Battersea Arts Centre (BAC) ist, wurde 1893 von E.W. Mountford als Rathaus für den District entworfen. Schon dem Ursprungsbau war das recht fortschrittliche Anliegen der lokalen Verwaltung eingeschrieben, ein offenes Haus für die Bürger zu etablieren. So entstand neben einem rigide organisierten Amtsstubengebäude, das der adressbildenden Kuppe des Lavender Hill zugewandt ist, hügelabwärts im Norden des Grundstücks ein Theaterbau, den bezeichnend Theatre und Townhall Street fassen. Beide Häuser sind sowohl im Grundriss als auch in Schnitt und Außensicht deutlich voneinander abgekoppelt, ihr Bindeglied ist die oktogonale Eingangshalle des Theaters. Der Theatersaal bot Raum für Nachbarschaftstreffen, kulturelle und politische Veranstaltungen. So stellte das Council etwa in den 1910er Jahren die Große Halle regelmäßig der Frauenrechts-Bewegung der Souffragetten für Sitzungen zur Verfügung.
Als die Verwaltungsfunktion des Rathauses in den sechziger Jahren aufgrund einer kommunalen Neuordnung wegfiel, äußerten sich Begehrlichkeiten der Bürgerschaft, das Ensemble als Community Centre zu bewahren. Bis in die achtziger Jahre stand es als solches unter der Verwaltung des lokalen Kulturdezernats und wurde vom Englischen Kulturkonzil gesponsert. Mittlerweile ist das BAC ein selbstständiges Theater und das Gebäude, noch immer in Besitz der Stadt, geleast.
Die Themse hinter mir gelassen, hat mich der Weg hinein nach Battersea gebracht – im Dunkeln sind zwei Eisenbahntrassen zu unterqueren. Auf dem Fußweg einer vierspurigen Straße meine ich, einen Eindruck von der Luftqualität zu erahnen, wie sie in den Streets of London geherrscht haben mag, als die Diesel noch Dampflokomotiven waren. Ich begegne dem BAC von seiner Rückseite. Am Fuß der Theatre Street stehend, sehe ich es hügelan. Die Hintertüren sind verschlossen, und die Räume, in die sich durch Fenster und Schwingtüren ein Blick erhaschen lässt, liegen in den Hang eingegraben. Es ist die Co-Working-Zone, werde ich später lernen. Ich passiere die große Halle, ohne es zu wissen.
Am 13. März 2014 brennt die Große Halle des BAC aus. Vermutlich ein Kurzschluss im Dach, genauere Erkenntnisse kann auch eine brandtechnische Untersuchung nicht liefern. Dieses Ereignis hätte das Ende des Theaters sein können – stattdessen markiert das Unglück seinen Aufschwung, besonders hinsichtlich der Architektur. Zu dem Zeitpunkt war das Architekturbüro Haworth and Tompkins, das seinen Sitz im Norden Londons hat, bereits seit etwa sieben Jahren mit dem BAC vertraut. Initiiert hatte die Zusammenarbeit von Theater und Architekten 2006 die Performance einer Theatergruppe, die das BAC als Ganzes bespielen wollte. Zu diesem Zweck galt es, die durch diverse An- und Umbauten verkomplizierte Wegführung in dem für eine Nutzung als Theater ohnehin nur mit Abstrichen nutzbaren Verwaltungsbau zu ordnen. Auf minimale Eingriffe, die es jeweils mit geringst möglichem Budget auszuführen galt, die manchmal nur auf dem Papier von den Architekten ersonnen und mit Pinsel und Pott, mit Säge und Hammer dann in Eigenregie von den Theaterleuten ausgeführt wurden, folgte ein großer Eingriff im Herzen des ehemaligen Rathauses, um das vormals ungenutzte Dach zu einer Büroetage auszubauen. Diese Umbaumaßnahmen waren in vollem Gange, als das Feuer ausbrach, blieben aber davon verschont. Die Aussage, „Glück im Unglück“ zu haben, beschreibt die Geschehnisse gut. Das Feuer zerstörte die stuckierte Gewölbedecke des Theatersaals, die gekrümmten Stahlträger verzwirbelte es wie Spaghetti im kochenden Wasser, diese rissen Teile der Seitenwände mit sich. Jedoch: Die Flammen schlugen nicht über die Giebel. Die bunte Glaskuppel der Oktogonhalle blieb unversehrt. Die Reparaturarbeiten außerhalb des Theatersaals beschränkten sich darauf, Ruß von den kunstvollen Bodenmosaiken und den Fresken an den Wänden zu beseitigen.
„Lavender Hill“, ein Euphemismus bestimmt, denn der Duft nach Lavendel scheint weit entfernt auf der Straße vor dem BAC. Aus der nachbarschaftlichen Seitenstraße, gesäumt von niedrigen Backstein-Reihenhäusern, kommend, ist es hier verblüffend städtisch, und die Rathausfassade strahlt prunkvoll, nicht nur dank der Neonbuchstaben, die vom Arts Centre künden. Das Gesamtpaket verblüfft mich. Im Foyer toben Kleinkinder zur Linken, bunte Bänder dekorieren die Decken, Absperrbänder von einer der letzten Vorführungen umwickeln die Säulen der zweiläufigen Marmortreppe im Atrium, und zur Rechten flirten zwei junge Damen mit dem Barmann im Theatercafé, das, mit einer bunten Assemblage abgebeizter Stühle und Tische bestückt, dem Flair einer Seemannskneipe nah kommt.
Ich bin zu früh für die Verabredung mit dem Architekten. Die Empfangsdame am antiquarisch verbastelten Kassentisch lässt mich freimütig durchs Gebäude streifen, wo ich durch Haufen von Laub stapfe, blau illuminierte Kompottglasinstallationen sich mit Wasser füllen sehe und die Eindrücke der Press-kit-Bilder von Grund auf neusortiere: Das hier ist kein cleanes, Chipperfield’sches Bauen im Bestand, das hier ist „Scratch“, wie mir Martin Lydon, Projektarchitekt von Haworth and Tompkins, auch gleich erklären wird.
Haworth and Tompkins bezeichnen sich selbst, halb ernst gemeint, als „Hausarchitekten“ des BAC, und der Künstlerische Leiter des Theaters zeigt sich ihnen nicht nur dadurch, dass bei auch nur dem kleinsten baulichen Eingriff bei den Architekten das Telefon klingelt, sondern auch in Worten verpflichtet: „Wir schulden dem Büro tiefe Dankbarkeit dafür, dass sie mit uns nicht nur gestalten, sondern auch kulturelle Veränderungen voranbringen“, kommentierte er die Fertigstellung der Saalrekonstruktion.
Die Arbeitsweise des architektonischen Entwurfs ist abgeleitet von der des Theaters. „Scratch“, die Skizze einer Idee, bleibt weder in der Aufführungspraxis noch bei baulichen Projekten im BAC je in der Schublade, sondern durchläuft jeweils den Publikumstest. So werden Stücke, ehe sie die große Bühne erobern, in kleinem Rahmen voraufgeführt. Die Zuschauer geben ihre Meinung kund, die Künstler stehen für ihr Werk ein. Und die Architekten malen erst einmal mit Lack die kleinen Mosaiksteinchen auf den Boden, so wie sie es sich vorstellen könnten, bevor dort tatsächlich etwas ersetzt wird. Das Gebäude befindet sich in stetem Prozess, auch wenn mit der erneuerten Büroetage und dem Wiederaufbau der Großen Halle in sich geschlos-sene Bauabschnitte realisiert worden sind.
Nach dem Feuer blieb nicht viel Zeit, die verlorengegangene Spielstätte zu ersetzen. Glücklicherweise waren soeben die früheren Amtstuben im vorderen Gebäudeteil für Veranstaltungen aufgerüstet worden, es gab neue Strombuchsen, Fensterläden und Verbindungstüren, um Aufführungen zu koppeln. Einhergegangen mit diesen Neuerungen waren Bauarbeiten zum Entwirren der unpraktischen Wegebeziehungen rund um einen kaum als solchen erkenntlichen
Innenhof und der Ausbau des Dachgeschosses für die Mitarbeiter des BAC. Der Hof, an dessen Wänden jetzt weiß-lasierte Ziegel die neuen Fassadenpartien gegen den alten, rotbräunlichen Bestand abheben, dient selbst als Aufführungsort.
Die neue Große Halle hoben die Architekten wie einen Phönix aus der Asche. Von außen scheinbar unverändert und innen zumindest formal an das Ehemalige angelehnt, ist das Theater tatsächlich akustisch, klimatisch wie auch gestalterisch aufgewertet. Prägnant überspannt die der alten nachempfundene, elliptisch geschwungene Decke den Saal. Anders als jene sind die Kassettenelemente jedoch als Fachwerk ausgebildet. Aus Birke-Pappel-Schichtholz gefertigt, liegt die neue Zwischendecke wie eine offenporige Membran zwischen dem Zuschauer- und dem Dachraum. Auf diese Art ausgeführt, schlägt die Ebene mehrere Fliegen mit einer Klappe: Technisches Equipment wie Scheinwerfer, Lautsprecher oder auch Dekorationen können beliebig von oben herab im Saal arrangiert werden. Das für akustische Belange bedeutsame Luftvolumen im Saal kann je nach Aufführungsart durch verstellbare Vliese auf der Oberseite der Decke vergrößert oder verkleinert werden. Die Entlüftung des Saals funktioniert natürlich.
Die Wände des Saals wie auch der ihn beidseitig flankierenden Wandelgänge tragen die Spuren des Feuers. Dieses fraß sich unterschiedlich tief in die Schichten des Putzes ein und legte so die Farbgebung der Jahre frei. Türen, die verbrannt waren, ersetzten die Architekten durch Eichenholz-Doppelflügel, auf denen sich im Kleinen und abstrahiert das Motiv der Decke wiederholt. Für Türen, die geblieben, aber verkohlt waren, fertigten sie Nachbauten.
Die Bestuhlung des Saals ist variabel, nur der Balkon, der ebenfalls beschädigt war, bleibt. Daran lassen sich seitliche Galerien und ein abgestuftes Podest koppeln. Noch nicht fertiggestellt, jedoch ebenfalls halb-glücklich gerettet ist die Orgel. Das von Robert Hope-Jones, einem Telefoningenieur, entwickelte Instrument ist eines der ersten elektrischen seiner Art. Zum Zeitpunkt des Brandes befanden sich Teile davon in einer Restaurierungswerkstatt. In Zukunft wird sie, in einer von Haworth and Tompkins entworfenen Einhausung, auf der Empore statt neben der Bühne untergebracht sein.
Und Orpheus? – War ein buntes Spektakel. Man aß, man trank und lachte mit und über die antiken Gestalten, die auf der Bühne zwischen Paris und Hades hin und her gerissen und vor Liebe verzehrt waren. Zu viel des Beifalls aber verbat sich die moderierende Eurydike: Nicht, dass das Haus erneut Feuer fange.
x
Bauwelt Newsletter
Immer freitags erscheint der Bauwelt-Newsletter mit dem Wichtigsten der Woche: Lesen Sie, worum es in der neuen Ausgabe geht. Außerdem:
- » aktuelle Stellenangebote
- » exklusive Online-Beiträge, Interviews und Bildstrecken
- » Wettbewerbsauslobungen
- » Termine
- » Der Newsletter ist selbstverständlich kostenlos und jederzeit wieder kündbar.
Beispiele, Hinweise: Datenschutz, Analyse, Widerruf
0 Kommentare