Cinéma Le Grand Palais Cahors
Das neue Kino im französischen Cahors von Antonio Virga Architecte besteht aus zwei ähnlich geformten aber sehr verschieden gestalteten Langhäusern. Ein Lichtspielhaus, das im Inneren weit pragmatischer der Kunst dient, als es sie nach außen inszeniert.
Text: Landes, Josepha, Berlin
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Die Kinosäle liegen im goldig schimmernden Baukörper. Städtebaulich dominant als Fassung des Platzes wirkt der Ziegelbau.
Foto: Luc Boegly
Die Kinosäle liegen im goldig schimmernden Baukörper. Städtebaulich dominant als Fassung des Platzes wirkt der Ziegelbau.
Foto: Luc Boegly
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Das Volumen des Hauses ist den Bestandsbauten am Platz nachempfunden. Die perforierten Bereiche der Fassade werden nachts von innen explizit beleuchtet.
Foto: Luc Boegly
Das Volumen des Hauses ist den Bestandsbauten am Platz nachempfunden. Die perforierten Bereiche der Fassade werden nachts von innen explizit beleuchtet.
Foto: Luc Boegly
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Im Foyer wollten die Architekten ...
Foto: Luc Boegly
Im Foyer wollten die Architekten ...
Foto: Luc Boegly
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... die Atmosphäre des goldenen Kinozeitalters evozieren.
Foto: Luc Boegly
... die Atmosphäre des goldenen Kinozeitalters evozieren.
Foto: Luc Boegly
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Die Säle sind zurückhaltend gestaltet.
Foto: Luc Boegly
Die Säle sind zurückhaltend gestaltet.
Foto: Luc Boegly
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Das Gebäude befindet sich vor der Altstadt. Der neue Platz für Feste und Schulpausen spannt anstelle eines ehemaligen Parkplatz’.
Foto: Luc Boegly
Das Gebäude befindet sich vor der Altstadt. Der neue Platz für Feste und Schulpausen spannt anstelle eines ehemaligen Parkplatz’.
Foto: Luc Boegly
„Le bâtiment d’à côté“ – das Gebäude nebenan –, nennt Miguel Allen den golden glänzenden Baukörper, in dem sich die Säle des Ende 2019 eröffneten Kinos „Le Grand Palais“ von Cahors befinden. Allen ist Cineast, und er ist Architekt bei Antonio Virga in Paris. Anfang November zeigt mir der 37-Jährige das Gebäude im Südwesten Frankreichs, dessen Bauleitung er inne hatte. Zwei längliche Baukörper ergänzen sich, aber nur einer tritt am Platz in Erscheinung, jener aus Ziegel. Der andere, prächtig von einer goldig glänzenden Fassade umhüllte, zeigt sei-ne Stirnseite erst im Vorbeigehen. Nach dem Besuch erzählt Allen, wie gern er während des Architekturstudiums in Lissabon die Cinemathek besuchte. Er scheint ein systematischer Zuschauer. Sein Vorhaben für 2021: Jeden Tag einen Film sehen. Mich irritiert, dass ein solcher Filmliebhaber, ohne mit der Wimper zu zucken, die Säle – Herzstück jedes Kinos – im „Gebäude nebenan“ verstaut. Ganz so einfach ist es nicht.
Das Büro Antonio Virga hatte in Cahors ge-rade eine Jugendherberge fertiggestellt, als die Stadt 2017 den Kino-Wettbewerb anstieß. Zu der Zeit waren zwei kleinere Häuser in Betrieb: Ein Filmtheater aus den Fünfzigerjahren, mit nur einem Saal, und eins aus den Neunzigern. Beide waren ins Hintertreffen eines Multiplex geraten, das im Gewerbepark des 60 Kilometer südlich gelegenen Montauban mit zehn Sälen aufwartet.
„Die Leute hier machen alle Wege mit dem Auto“, sagt Allen. Wir befinden uns in einer kleinteiligen Landschafts- und Siedlungsstruktur. Das Département Lot, wie auch das benachbarte Tarn-et-Garonne, sind nach Flüssen benannt, die sie durchqueren und zeichnen, das Land in Plateaus stückeln. In den Städten Cahors (Lot) und Montauban (Tarn-et-Garonne) leben 20.000 respektive 60.000 Menschen – das ist die nordwestliche Occitane, das Umland vor Toulouse; es erinnert mich an Sachsen, an die Hochebene über der Elbe. An den Hängen wächst (guter!) Wein, und hie und da haben Waldfetzchen überdauert. Die Bahnhöfe sehen bescheiden aus. Obwohl das alles pittoresker als in Sachsen ist, kann ich glauben, dass die Leute mit dem Auto zum Kino beim Großmarkt fahren.
Mit dem Kino-Neubau wollte die Stadt Cahors das ändern. Nun thront das Gebäude auf der Kuppe des vom Lot umschlungenen Stadthügels und verkündet an seiner Breitseite denen, die den Weg vom Bahnhof hinaufschnaufen, stolz: „Le Grand Palais – Cinéma“. Der helle Backstein-Riegel mit Mansarddach lugt hervor hinter einer Platanen-Allee und einem abricot-farben verputzten Gebäude aus dem 19. Jahrhundert, das einmal Teil einer Kaserne war. „Wir sollten den Platz symmetrisch ergänzen“, erklärt Allen: „Das ging sich gar nicht aus.“ Das Gebäude wäre in den Bestand hinein gerutscht, in eine klobige Sporthalle. „Leider musste sie bleiben, der Blick vom Platz über den Fluss wäre fantastisch ohne sie“, bedauert der Architekt leise. Aber: „Tant pis!“ – man kann es ja nicht ändern. Ein kleiner Baukörper, das Museum der Résistance, durfte weichen. Die Ausstellung soll demnächst unterm Dach des goldigen Kino-Riegels einziehen.
Jahrmarkt
Für den „symmetrischen“ Platz haben die Architekten ein bisschen getrickst, nun spannt die Anlage leicht trapezförmig. Im vorderen Bereich ist eine grüne Oase in den mit dunklem Ziegel belegten Grund eingelassen. Wie ein Ausschnitt „Forraine“, eines ländlichen Jahrmarkts, oder der Ableger eines Urwalds – eventuell eine Kreuzung aus beidem – sieht die runde, dicht bewachsene Insel aus Metallgestänge aus. Sie umfasst Bänke und einen Brunnen. Glitzernde Lämpchen erhellen sie nachts. Im Sommer sprühen Düsen feinen Nebel zur Erfrischung, informiert Allen. Das hat sich das Atelier grue ausgedacht – es war nicht die erste Zusammenarbeit von Antonio Virga mit den belgischen Landschaftarchitekten.
An einem Freitag im November posieren in demRund Jugendliche, ein Halbstarker lässt sein Mo-fa über den Kies knattern. Miguel Allen schaut skeptisch, das war nicht der Plan. Hinter dem Parkplatz gegenüber gibt es zwei Schulen; am Platz, in den als übereck offenes „L“ angelegten alten Kasernengebäuden, ein Bildungs- und Kongresszentrum, ein Café und daneben das Polizeirevier. Nicht nur das Mofa zeugt von jugendlichem Überschwang, auch sind die Kanten der flachen Treppen und Rampen, die den Platz von der flankierenden Straße abheben, offensichtlich gern genutzt zum Skaten.
Auch mit der Ziegelfassade gingen die Einwohner kreativ um, staunt Allen und zeigt mir Bilder auf Instagram. Zu sehen ist ein Sommerfest, Akrobaten tanzen an vom Dach gespannten Seilen über die schmalen, teils als perforierte Flächevermauerten Steine. Die Fugen treten zurück. Derart schmale Ziegel findet man in Cahors mancherorts, aber sie sind rot. Diese fast weißen hier kommen aus Belgien. „Das Volumen des Kinos sollte die beiden Altbauten imitieren. In rotem Ziegel hätte es ausgesehen wie eine Fabrik“, bemerkt Allen. So harmoniert der Baukörper mit den hellen Tönen des lokalen Kalksteins, der an vielen der Altstadtbauten zum Einsatz kam, aber auch bei der Stadterweiterung, in der sich das Kino genau genommen befindet.
Glamour
Um halb vier lockt die Nachmittagsvorstellung. Am Boden des Entrées ist heller Estrich eingebracht, die Wände sind weiß bzw. mit zarten Holzlamellen verschalt. Goldig lackierte Brüstungselemente und eloxierte Alurahmen setzen Akzente. „Es ist eigentlich keine ‚goldene‘ Farbe“, erklärt der Architekt: „sondern ein Lack, auch an der Fassade.“ Die in schmaler, sich wiederholender aus Klein- und Großbuchstaben gesetzte Typographie des Leitsystems referenziert Godard. Sie prangt in royalem Blau, das sich im Haus vielerorts wiederfindet, an den Wänden. Alle Details sind wohlüberlegt, edel aber zurückhaltend.
Ziemlich schrill begrüßen dagegen frontal ein dreiteiliger James-Bond-Papp-Aufsteller und ein Süßigkeiten-Regal die Besucher. Im Tresen daneben sind Popcorn-Vitrinen eingelassen – das übliche Kino-Klimm-Bim. „Wir haben gefragt: Wollt ihr eine Bonbon-Theke? Wollten sie nicht.“ Der Projektleiter betrachtet die Gummibärchen-Plastik-Box leicht pikiert. So vollgestellt das untere Foyer ist (es gibt auch noch eine Bar und eine kleine Tausch-Bibliothek), so leergefegt sind die beiden oberen. Im Zwischengeschoss soll es bald bunter werden: Ein Sammler aus der Gegendwird seine alten Kinoposter auf der Galerie über dem Eingang ausstellen. Das dürfte dem Wandelgang guttun, führt er doch bislang als Sackgasse auf eine weiße Wand zu.
Im Obergeschoss, das fünf der insgesamt sieben Säle erschließt, endet die Rolltreppe in einem weitläufigen Raum. An seiner äußeren Langseite geben versetzt gemauerte Ziegel Ausblicke zum Platz frei. An den Schmalseiten fassen ihn blaue Nischen – Eintritt zum größten Saal der Etage und zu Treppe und Aufzug. Entlang der inneren Langseite markieren blaue Türen die Saalzugänge – die Pforten ins „bâtiment d’à côté“. Über die glatten, blauen Wände der jedem Saal vorgeschalteten Schleusen streift das Licht von gerichteten Spots, was der Farbe eine samtige Erscheinung verleiht.
Filmpurismus
Die schmale Raumschicht der Schleusen liegt in der Funktionsebene des Kinos; darin sind außerdem die WCs untergebracht, und auf halber Etage schlängeln sich die „Vorführräume“ durchs Haus. Sie sind ein Raumfluidum. Silbern glänzende Lüftungsschläuche durchziehen sie wie Eingeweide. Verlassen surren in entlegenen Raumabschnitten die Filmmaschinen, werfen grell die bewegten Bilder durch kleine Fenster in die Säle unter sich.
Kino ist die Faszinierendste der Künste, es umhüllt alle Sinne – Ansicht einer Cinéastin. Architektur ist die Faszinierendste der Künste – kann man auch so sehen. Im „bâtiment d’à côté“ kommen beide zusammen: Es ist von außen prächtig, aber diesen Mantel trägt es für die Stadt. Die glänzende Farbigkeit und die löchrig eingestanzten Rauten, deren Zusammenspiel den Bau als goldenen Diamanten nahezu überzeichnen, sind Show, Glamour, Spiel mit einem grandiosen Klischee von Kino. Das eigentliche Wunder des Lichtspiels vollzieht sich innen und aus sich heraus, es braucht kein Beiwerk: Dort verschwindet der Raum, nimmt sich das Gebäude zurück, wird zur Dunkelheit, die alles schluckt außer den Film. Keine Vorhänge, keine leuchtenden Effekte als Warm-Up lenken ab. Die Sessel, der Boden,die Wände bilden in dunklem Blau und Grau, in weichem Textil, einen neutralen Hintergrund. Mag er auch vom Platz zurücktreten, der Saalbau ist Herzstück des Gebäudes, eben weil er im Inneren wenig Anspruch darauf erhebt.
Das Grand Palais überführt drei Welten von Kino in Architektur: das Schaustellen des Jahrmarkts auf dem Platz, die Noblesse der Grande Époque im Palais-Gebäude und den puristischen Filmgenuss unter einer trügerisch goldigen Hülle.
Fakten
Architekten
Antonio Virga Architecte, Paris
Adresse
Place Bessières, Rue Pierre Mendès France, 46000 Cahors, Frankreich
aus
Bauwelt 25.2021
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