Betonhaus Neu-Ulm
Mit dem „Betonhaus Neu-Ulm“ haben Fink + Jocher den Betonsandwichbau geadelt. Die Wohnungen sind im Grundriss repetitiv und streng gestapelt – die Hoheit über ihre Individualisierung obliegt den Mietern.
Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin
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Das Betonhaus wirkt an der lauten Einfallstraße mit ihren gewerblichen Flachbauten wie ein Auftakt des städtischen Maßstabs.
Foto: Michael Heinrich
Das Betonhaus wirkt an der lauten Einfallstraße mit ihren gewerblichen Flachbauten wie ein Auftakt des städtischen Maßstabs.
Foto: Michael Heinrich
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Die Treppenhäuser liegen, längs angeordnet, in den Ecken des Grundrisses, vor den 3- und 4-Zimmer-Wohnungen. Die scharfkantige Ausführung der Betonkanten kostete Geld, das an anderer Stelle eingespart werden musste – so entfiel etwa die geplante Pigmentierung des Betons.
Foto: Michael Heinrich
Die Treppenhäuser liegen, längs angeordnet, in den Ecken des Grundrisses, vor den 3- und 4-Zimmer-Wohnungen. Die scharfkantige Ausführung der Betonkanten kostete Geld, das an anderer Stelle eingespart werden musste – so entfiel etwa die geplante Pigmentierung des Betons.
Foto: Michael Heinrich
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Der auffallend dicke Querschnitt der Stützen dient auch dem optischen Schließen des Laubengangs.
Foto: Michael Heinrich
Der auffallend dicke Querschnitt der Stützen dient auch dem optischen Schließen des Laubengangs.
Foto: Michael Heinrich
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Die Mieter der 2-Zimmer-Wohnungen können dank zwei großer Schiebeelemente unterschiedliche Raumbeziehungen bilden.
Foto: Michael Heinrich
Die Mieter der 2-Zimmer-Wohnungen können dank zwei großer Schiebeelemente unterschiedliche Raumbeziehungen bilden.
Foto: Michael Heinrich
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Die ursprünglich geplante Nutzung der Dachterrasse für die Hausgemeinschaft wurde eingespart, kann aber nachgerüstet werden.
Foto: Michael Heinrich
Die ursprünglich geplante Nutzung der Dachterrasse für die Hausgemeinschaft wurde eingespart, kann aber nachgerüstet werden.
Foto: Michael Heinrich
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Dachgeschoss: Die Zackenlinie des Fluchtstegs zum 2. Treppenhaus ergibt ein in sich stabiles Tragwerk des Stahlbauteils
Abb.: Architekten
Dachgeschoss: Die Zackenlinie des Fluchtstegs zum 2. Treppenhaus ergibt ein in sich stabiles Tragwerk des Stahlbauteils
Abb.: Architekten
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Regelgeschoss
Abb.: Architekten
Regelgeschoss
Abb.: Architekten
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Erdgeschoss
Abb.: Architekten
Erdgeschoss
Abb.: Architekten
Die Reuttier Straße führt in Nord-Süd-Richtung durch Neu-Ulm und über die Donau nach Ulm. Sie ist eine vielbefahrene Straße, von Lärm und Emissionen stark belastet. Als Wohnort erscheint sie deshalb nur bedingt geeignet – zumal in einer Stadt, die sehr viel angenehmere Lagen zu bieten hat. Doch der Markt ist überhitzt. Die Einwohnerzahl wächst jährlich um rund zwei Prozent, Wohnungen werden händeringend gesucht. So kam es, dass die städtische Wohnungsgesellschaft NUWOG eine Fläche an dieser Einfallstraße nutzte, um dort eine Art bewohnte Lärmschutzwand zu errichten, für die neue, von einem Bauträger auf dem Gelände der ehemaligen Stadtgärtnerei realisierte Reihenhaussiedlung dahinter. Denn es ist ja nicht so, dass der große Bedarf an Wohnungen automatisch zu einer dichten, gemischten Bebauung, zum bewussten Umgang mit dem knappen Gut Boden führte: Auch in Neu-Ulm wird dem Wohnmodell Eigenheim noch immer nachgehangen, trotz aller Probleme, die es mit sich bringt – ein Verhalten, das vor allem in zentrumsnahen Lagen klar verantwortungslos zu nennen ist. Wie auch immer: Die stolzen Eigenheimbesitzer werden sich in ihren Privatgärtchen über den vom NUWOG-Neubau abgehaltenen Straßenlärm freuen.
Dieses von den Münchner Architekten Fink + Jocher geplante „Betonhaus“ hat im Laufe der Realisierung sogar noch an Höhe gewonnen: Die im B-Plan viergeschossig eingezeichnete Bebauung samt sechsgeschossigem Türmchen an der Nordecke wurde um ein Geschoss erhöht, das Türmchen in die Länge gestreckt, sodass rund 13 Prozent mehr Wohnfläche entstanden. „Effizient bauen“ heißt eben auch, das Grundstück sinnvoll auszunutzen. Und das war an dieser Stelle gefragt: Das Ende letzten Jahres bezogene Gebäude entstand schließlich im Rahmen des Modellvorhabens „effizient bauen, leistbar wohnen“, das Bayerns Oberste Baubehörde 2015 initiierte. Inzwischen ist die „OBB“ Geschichte. Ministerpräsident Markus Söder hat die dem Innenministerium angegliederte Behörde, die für die Architektur in Bayern viele Jahre segensreich gewirkt hat, 2018 aufgelöst und ein neues Ministerium für Wohnen, Bau und Verkehr geschaffen, welches bislang allerdings noch nicht mit originellen Ideen aufgefallen ist. Architekt Dietrich Fink, den ich Ende Mai in seinem Büro in Schwabing treffe, um mir die Planung für Neu-Ulm schildern zu lassen, bedauert dann auch ausdrücklich die Abwicklung der OBB. Dasselbe höre ich tags darauf in Neu-Ulm von NUWOG-Architekt Julian Mertel.
Ungewöhnlich ist der Wohnungsschlüssel im „Betonhaus“. Die zumeist von der Wohnungsgesellschaft realisierten, da fördertechnisch flexiblen, 65 Quadratmeter-Wohnungen – tauglich für Paare wie auch Kleinfamilien – sucht man lange, stattdessen reihen sich vier 50 Quadratmeter große Zwei-Zimmer-Wohnungen an dem zur Straße nach Osten angeordneten Laubengang. Sie werden ergänzt durch eine gut 90 Quadratmeter Vierzimmerwohnung im Norden und eine wie erwähnt übliche Drei-Zimmer-Wohnungen im Süden. Gut für die Effizienz: Die Wohnungen sind vertikal exakt gestapelt, so dass baugleiche Bäder verwendet werden konnten und keine Leitungen verzogen werden mussten – gemischt wird ausschließlich auf der Ebene. Als Trend zur Kleinwohnung kann das Projekt aber nicht gelten, denn gemeinsam mit dem westlich der Reihenhaussiedlung von der NUWOG errichteten Quartier „Münsterblick“ betrachtet, ergibt sich wieder der übliche Mix. Dort entstanden überwiegend „familientaugliche“ Wohnungen.
Im Zusammenhang dieses Thementeils, in dem das Augenmerk auf der Frage nach den Qualitäten kleiner Wohnungen liegt, sind die Zwei-Zimmer-Wohnungen im Betonhaus gleich unter mehreren Aspekten einen Blick wert. Zunächst, weil Fink + Jocher bemüht waren, allzu starre Bedingungen für das Wohnen so weit wie möglich zu umgehen. Statt einer Trennwand gibt es beispielsweise Schiebetüren, mit denen sich die zwei nach Westen orientierten Wohnräume flexibel trennen und verbinden lassen. Sie wurden nicht auf der halbierenden Achse von 2,76 Metern gesetzt, sondern auf zwei Meter, sodass im einen Raum ein Doppelbett mit den üblichen Abmessungen von beiden Seiten zugänglich ist, die „Bettumrundung“ aber im größeren Nachbarzimmer erfolgt. Ist nur ein Bett unterzubringen, dürfte hingegen eine Aufstellung in Längsrichtung vorgenommen werden. Oder der Raum dient als Arbeitszimmer, während im größeren Nachbarzimmer eine Schlafcouch steht, die tagsüber als Sitzgelegenheit fungiert. Jedenfalls ist eine Vielzahl von Möblierungs- wie Nutzungsoptionen denkbar, und die Bandbreite zeigt sich ein halbes Jahr nach Bezug bereits.
Eine weitere Besonderheit ergab sich aus konstruktiven Abwägungen des Kostendrucks. Da auf ein Kellergeschoss verzichtet wurde, sind diese Stauräume in jede Wohnung integriert, ohne als Wohnfläche zu Buche zu schlagen: Die Wohnungen enthalten quasi sechs Quadratmeter mietfrei. Dieser Raum liegt in der Mitte des mit 15 Meter recht tiefen Gebäudes, doch ist eine andere Nutzung denn als bloßer Abstellraum durchaus denkbar – bei geöffneter Tür erscheint auch ein Computerarbeitsplatz vorstellbar oder, verschlossen, eine lichtgeschützte Widmung als Bibliothek. Ihren individuellen Charakter erhalten die identischen Wohnungen also durch die Art, wie sie benutzt und möbliert werden, nicht durch individuellen Schnitt und nur wenig durch die Lage im Haus – eine Eigenschaft, die sie mit Wohnungen der Nachkriegsmoderne verbindet, seien es die Bestände des typisierten Wohnungsbaus der DDR – Stichwort WBS 70 bzw. P2 – oder die Siedlungen der 50er und 60er Jahre in der Bundesrepublik.
Apropos Kostensparen: Zwar ergab sich im Verlauf der Realisierung die Notwendigkeit, auf das ein oder andere Ausstattungsdetail zu verzichten, doch achteten Planer und Bauherr darauf, dass die Anmutung des Betonhauses nicht ins Lieblose kippt. So entfiel zwar beispielsweise das ursprünglich geplante Badezimmerfenster zum Laubengang, das Fassadenelement mit Küchenfenster und Wohnungseingangstür aber wurde in Holz, nicht Kunststoff ausgeführt, und die Fugen zwischen den Fertigteilen wurden immerhin besandet. Dass die Konstruktion umgestellt wurde, von einer tragenden Außen- auf eine tragende Innenschale, um die Isokörbe einzusparen, bleibt dem Betrachter verborgen.
Bedauerlich allerdings ist das Wegsparen der gemeinschaftlich nutzbaren Dachterrasse mitsamt angedachtem Spielplatz. Ein nachträgliches Montieren der Absturzsicherungen ist jedoch möglich, und die Anschlüsse für eine Küchenzeile in der der Dachterrasse angegliederten Loggia sind bereits gelegt. Für den Übergang sucht die NUWOG einen Imker, der hier einen Bienenstaat gründet: „Honig aus der Stadtgärtnerei“ wäre ein passender Handelsname.
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