Bauwelt

Empfangsgebäude in Zwickau


Im Herzen gleichwohl am Rand von Zwickau boomt die 4. Sächsische Landesausstellung so mittelmäßig. Das Empfangsgebäude aus der Feder von AFF Architekten und GEORGI ist ein neuer Streich aus dem Arsenal der Containerarchitektur. Industriebau-Essenz von ges­tern und heute steht auf dem Autobauergelände vereint für eine Zwischenzeit.


Text: Landes, Josepha, Berlin


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    Der Empfangspavillon, eine hinauf- und eine hinabführende Rampe docken nördlich an die alte „Audi-Halle“ an.
    Foto: Hans-Christian Schink

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    Der Empfangspavillon, eine hinauf- und eine hinabführende Rampe docken nördlich an die alte „Audi-Halle“ an.

    Foto: Hans-Christian Schink

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    Südlich von ihr liegt das August Horch Museum, das im Rahmen der SLA den „AutoBoom“ beleuchtet.
    Foto: Hans-Christian Schink

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    Südlich von ihr liegt das August Horch Museum, das im Rahmen der SLA den „AutoBoom“ beleuchtet.

    Foto: Hans-Christian Schink

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    Die Rampe führt neben der im Freien stehenden Kasse in den Ausstellungsraum auf Etage eins der Halle. Barrierefreiheit und Recycling waren große Themen des Projekts.
    Foto: Hans-Christian Schink

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    Die Rampe führt neben der im Freien stehenden Kasse in den Ausstellungsraum auf Etage eins der Halle. Barrierefreiheit und Recycling waren große Themen des Projekts.

    Foto: Hans-Christian Schink

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    Leere Kasse am Zwickauer Audi-Bau: Die Covid-19-Pandemie schränkte Kulturveranstaltungen ein. Foto: Hans-Christian Schink

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    Leere Kasse am Zwickauer Audi-Bau: Die Covid-19-Pandemie schränkte Kulturveranstaltungen ein.

    Foto: Hans-Christian Schink

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    Der Vorhang sollte im Sommer als Schattenspender dienen.
    Foto: Sven Fröhlich

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    Der Vorhang sollte im Sommer als Schattenspender dienen.

    Foto: Sven Fröhlich

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    Foto: Sven Fröhlich

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    Foto: Sven Fröhlich

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    Er wurde selten aufgezogen – bedauerlich, böte er doch Varianz. Foto: Hans-Christian Schink

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    Er wurde selten aufgezogen – bedauerlich, böte er doch Varianz.

    Foto: Hans-Christian Schink

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    Garderoben sind aus Werkzeugkisten entwickelt.
    Foto: Hans-Christian Schink

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    Garderoben sind aus Werkzeugkisten entwickelt.

    Foto: Hans-Christian Schink

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    Die Nahtstelle zwischen Installation und Gebäudebestand ist ruppig ausgeführt und wird nach der Schau geschlossen.
    Foto: Hans-Christian Schink

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    Die Nahtstelle zwischen Installation und Gebäudebestand ist ruppig ausgeführt und wird nach der Schau geschlossen.

    Foto: Hans-Christian Schink

Boom – Boom – Boom – Boom – Boom – Boom. Zwei weniger und wir hätten es mit einem Synthesizer manipulierten, anzüglichen Pop-Song aus den späten Neunzigern zu tun. So aber kommen wir auf die vierte Sächsische Landesausstellung (SLA) zu sprechen. „Boom“ ist de­ren Schlagwort, um 500 Jahre Industriekultur in Sachsen unter einen Hut zu bekommen. Oder eben unter sechs Hüte. Neben dem Hauptstandort in Zwickau, auf dem ehemaligen Autobauer-Gelände von Horch, später Audi, noch später Sachsenring, ist die Veranstaltung zum ersten Mal regional verstreut. Industriekultur in Sachsen, das bedeutet „AutoBoom“ mit einer Ausstellung im August Horch Museum, gleich neben der Zentralausstellung, jeweils einer zum „TextilBoom“ in Crimmitschau, „MaschinenBoom“ und „EisenbahnBoom“ in Chemnitz, „KohleBoom“ in Oelsnitz und „SilberBoom“ in Freiberg. Sie alle werden in der Audi-Halle durch die Zentralausstellung eingeführt. Gestaltet haben die Schau Holzer Kobler Architekten für das Deutsche Hygiene Museum Dresden (DHMD) unter Kurator Thomas Spring, in einem Raum, den die Architekten AFF und GEORGI entkernt, erschlossen und mit einem Empfangspavillon auf dem Vorplatz ergänzt haben.
Der Ausstellungssaal liegt im ersten Obergeschoss des 1938 für die Auto Union AG gebau­-ten Fertigungsgebäudes. Die Nachbarschaft prägen gleichaltrige, aber auch gegenwärtige Werkhallen. Der Audi-Bau ist nicht im Besitz des Freistaats Sachsen, sondern für die Ausstellung angemietet. Tatsächlich war diese bereits für 2018 angedacht, aus Ermangelung eines geeigneten Ausrichtungsorts aber verschoben worden. In diesem Jahr nun, das Sachsen zum „Jahr der Indus­triekultur“ erklärt hat, wegen Corona erneut umdisponiert, läuft sie bis Ende Dezember.
Es dürfte nun schon kühl sein fürs Service-Personal. Denn für den Pavillon und die zweiteilige Rampenanlage, über die die Ausstellung erschlossen ist, nutzten die Architekten ausgiebig die Freiheit, sich um Beheizung nicht groß sorgen zu müssen. Aber man mache sich schon Gedanken, wie angemessene Gemütlichkeit an der Kasse zu bescheren sei, beruhigte AFF-Partner Sven Fröhlich beim Ortstermin Ende August. Und auch, wie das mit der Jacken-, Mantel-, Poncho-Abgabe gehen wird, war da noch: Work in Progress. Wie von anderen AFF-Bauten bekannt – etwa ihrer Waldhütte am Fichtelberg – halten sie sich ungern mit Überflüssigem auf, gehen am liebsten den rohen Weg zum Ziel und finden dabei erstaunlich einleuchtende und mitunter mit ungewohnter Massivität auftretende Lösungen, die gern ingenieurtechnisch entlehnt sind oder sich aus der Mode gekommener Mittel bedienen.
Die rund 2600 Quadratmeter große Ausstellungshalle erreichen die Besucher über einen von zwei Aufzugsschächten. Die Schnitte im Mauerwerk sind brutal ehrliche Wunden. Die alten Aufzugstüren bleiben Zugangspforte zum Saal. Aufs Penibelste musste die Rampe, die hinauf-, und auch jene, die am anderen Ende der Halle über einen zweiten Schacht andockend wieder hinabführt, rollstuhlgerecht ausgelotet werden. Die Korrektheit ging so weit, dass die Planer ihre Idee, die Steigung aus den geneigten Containern selbstherzustellen, verwerfen mussten: Eine zusätzliche, lieblos eingezogene Ebene berücksichtigt nun auch normgerecht Podeste. Dem DHMD liegt die tadellos barrierefreie Ausstattung sehr am Herzen. So führt auch ein massiver Blindenleitpfad durch die Halle, der jedoch seinerseits gestalterisch ansprechend mit dem filigranen Regalsystem kontrastiert, in dem Holzer Kobler die Exponate und Begleittexte sortieren.
Das von Fröhlich formulierte Ziel, die alte Fertigungshalle erlebbar zu machen, gelingt dank des Vorsatzes, „alles was nicht stört, soll bleiben“, und dank der zurückhaltenden Konstruktion der Vitrinen. In ihrem zarten Strebwerk kor­respondieren sie mit den Versorgungssträngen aus verschiedenen Vergangenheiten des Hauses, die unter der Decke ihre Bahnen ziehen. Die Architekten haben zwar Trockenbauwände entfernt, die von einer früheren Nutzung verblieben waren. Die Leitungen wie auch eingebaute Werkschränke und Oberflächen von Wänden und Boden beließen sie jedoch. Nötige neue Be- und Entlüftung, allgemeine Stromversorgung, besonders jedoch auch Sicherheitstechnik, liegen kaum erkennbar neben Relikten. Gerade die Sicherung der teils sehr wertvollen und aus aller Welt zusammengetragenen Ausstellungsstücke vollzieht sich überraschend unaufgeregt und unaufdringlich. Die Fenster, über die zu Fabrikationszeiten ausgiebig Licht in den Innenraum fiel, sind nun mit Filterfolien verschattet und vom Rostocker Maler Gunnar Borbe mit grauen Schraffuren belegt, die geometrische und landschaft­liche Formen ziehen.
Auch die beiden aus Überseecontainern gestapelten und gereihten Neubauten vor dem Hauptgebäude lehnen sich so reduziert wie möglich an den Vorsatz des Industriebaus an, mit maximal wenig Aufwand und Material auszukommen. Die Container, das Grundmodul in RAL 7018 blaugrau, sind gemietete Standardware. Pavillon und Rampen sind auf kaum ein Jahr Nutzung angelegt, und so waren die Wiederverwertbarkeit der Baustoffe wie auch die Möglichkeit, die Pub­likumsbauten nach der Ausstellung rückzubauen, wichtige Ansprüche an das Projekt. Auch die Arbeitskisten aus rostigem Stahl sind nur geliehen, die im Pavillon für Garderoben und Kassentisch herhalten. Die Idee, diese aus anderen Werkstätten ausgemusterten Elemente zu nutzen, geht auch auf die Kollaboration mit dem Leipziger Produktdesigner Ilja Oelschlägel zurück. Seine Arbeit floss als Kunst-am-Bau ein.
Eine Ergänzung – denn die Landesausstellung erwartete anscheinend enormen Andrang und gab sich mit 272 Garderoben-Boxen noch nicht zufrieden – sind „Gruppengarderoben“: Als grobe graue Bündel hängen sie unter dem Rand des Pavillondachs. An ferngesteuerten Motoren kann das Museumspersonal sie abseilen, Schulkinder werfen ihre Ranzen in die Säcke, die dann als Bündel verschnürt über ihren Köpfen zum Baumeln kommen. Das Prinzip dieses hängenden Beutels geht auf die Art zurück, wie Bergleute in den Waschräumen der Zechen, den sogenann­ten Kauen, ihre Kleidung unter der Decke aufgehängt haben. Es sind diese kleinen Gesten, die den Pavillon charmant machen. Denn er ist eben kein Nachbau eines Tempels mit Umgang, keine ungelenke Mies-Adaption, sondern „einfach ein Pavillon“, beharrt Fröhlich – laut Online-Enzyklopädie bedeutet das „ein freistehendes, leichtes Bauwerk in einer Garten- oder Parkanlage“, im Zwickauer Fall im „Industrie- und Autogarten“.
Auch der am Dachrand gespannte derbe Vorhang verleiht dem Bau eine Ahnung von einer den Freiraum mitgedachten Vielschichtigkeit. Als sommerlicher Schattenspender oder Rahmen für Veranstaltungen im Freien, unter dem weiten Dach, wird er vorstellbar. Eine aus Autoreifen gefügte Sitzbank steht im Zwischenraum. Da die Bahnen jedoch händisch aufgespannt in milchdeckelgroße Bodenösen verhakt werden müssen, kam diese Außenhaut selten zum Einsatz. Zum genutzten Freiraum wurde vielmehr der Platz zwischen Halle und Pavillon. Weitspannende gelbe Schirme und gelbe Sitzgruppen sind dort drapiert. Auch auf den Pavillon hat sich das Gelb ausgebreitet. „Boom“ steht containerhoch auf der Ecke. Selbst auf den eigens aufgezogenen Asphalt des Platzes ist Gelb als Wegmarkierungen aufgebracht – auch wenn der Tresen in einem Biergarten nicht viel anders aussieht, finden scheinbar nicht alle Besucher den Kassenbereich. Mit dem Gelb könnte er umgehen, sagt Fröhlich. Sein Team hat das Wegeleitsystem am Gebäude selbst gestaltet. Den ein oder anderen Versuch der Ausstellungsmacher, den architektonischen Rahmen zu füllen, belächelt er jedoch. Mag die Café-Beschaulichkeit im Ausgangsbereich und auf dem Platz auch von Unverständnis des AFF-Ansatzes und einer gewissen Beliebigkeit zeugen, sie sind wenig mehr als gefällige Dekorationsausrutscher. Eine grobe Verfehlung demgegenüber ist die – weder vom DHMD, noch AFF/GEORGI zu verantwortende – Sekundärausstellung im Erdgeschoss: eine in sächsischem Smaragdgrün hinterleuchtete Messebau-Welt. Sie soll „junge Leute“ ansprechen. Besuchern sei ab der Exit-Rampe der Blindenleitpfad zum Ausgang ans Herz gelegt.



Fakten
Architekten AFF Architekten, Berlin; GEORGI architektur + stadtplanung, Chemnitz
Adresse Audistraße 9, 08058 Zwickau


aus Bauwelt 23.2020
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