Bauwelt

Europäische Schule München


Eine Schule für 1400 Kinder, die es auf 200 Meter Länge bringt. Den Architekten léonwohlhage ist es gelungen, einem solchen Komplex die passende Maßstäblichkeit zu verleihen – und dabei die Größe des Hauses trotzdem ernst zu nehmen.


Text: Friedrich, Jan, Berlin


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    Die meisten Schüler wer­den mit Bussen zur Schule gebracht und betreten das Schulgelände vom nördlich ge­le­genen Busparkplatz aus.
    Foto: Philipp Obkircher

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    Die meisten Schüler wer­den mit Bussen zur Schule gebracht und betreten das Schulgelände vom nördlich ge­le­genen Busparkplatz aus.

    Foto: Philipp Obkircher

Reisen hätte man noch können. Aber die Schüler der Europäischen Schule München waren nach zwei SARS-CoV-2-Fällen längst nach Hause geschickt worden, das Gebäude hatte man desin­fiziert und versiegelt. Kein Besuch mehr möglich! Stattdessen sitze ich am heimischen Schreibtisch und lasse mich von Hilde Léon und ihrem Büropartner Tilman Fritzsche virtuell durch das im letzten Herbst eröffnete Haus führen. Mittels einer dieser inzwischen jedem geläufigen Kon­ferenz-Apps. So ist dies, anders als sonst in der Bauwelt, kein Beitrag eines Autors, der das Gebäude, über das der schreibt, aus eigener Anschauung kennt. Es muss dieses Mal so gehen.
Europäische Schulen sind Bildungseinrichtungen der EU-Mitgliedstaaten, die den Kindern von Mitarbeitern in EU-Institutionen offenstehen. In Deutschland gibt es Europäische Schulen in Frankfurt am Main, Karlsruhe und München. Die Münchner Schule in Neuperlach war aufgrund steigender Schülerzahlen zu klein geworden. Man entschloss sich, einige Kilometer westlich im Stadtteil Fasangarten ein neues Schulgebäude zu bauen, in dem künftig die Grundschulklassen Platz finden sollten. Den 2012 ausgelobten Wettbewerb gewannen die Berliner Architekten léonwohlhage zusammen mit den Landschaftsplanern Atelier Loidl. Das Grundstück erstreckt sich nördlich des S-Bahnhofs Fasangarten entlang der S-Bahn-Trasse nach Holzkirchen. Mit dem Wettbewerb sollte nicht zuletzt die städtebauliche Situation am westlichen Ausgang der S-Bahn-Haltestelle geordnet werden. Die Architekten schlugen vor, mit der Schule im Norden, der Sporthalle im Westen und einem Wohn- und Geschäftskomplex im Süden einen kleinen Quartiersplatz auszubilden.
Ein Gebäude für die Grundschulklassen der Europäischen Schule München – bei einer Grundschule denkt man unwillkürlich an ein nicht allzu großes, ein eher harmloses Haus. Was in diesem Fall aber keineswegs zutrifft: Hier handelt es sich um eine Schule für 1400 Kinder. Die ho­-he Schülerzahl habe ihnen gehörigen Respekt eingeflößt, sagt Hilde Léon, es sei klar gewesen, dass das ein richtig großes Haus werden würde. Wie wäre es möglich, trotz der Größe eine Überschaubarkeit hinzubekommen? Und das, möchte man ergänzen, ohne in die Falle zu tappen, den Bau unangemessen zu verniedlichen.
Einerseits Übersichtlichkeit erzeugen und dabei andererseits die wahre Größe und Wucht eines knapp 200 Meter langen Baukörpers nicht verleugnen – die Mittel, um dieses heikle Gleichgewicht herzustellen, scheinen die Architekten bei der Europäischen Schule München auf allen Maßstabsebenen gefunden zu haben. Zum Beispiel auf städtebaulicher Ebene, indem sie den Baukörper im Grundriss mehrmals leicht geknickt haben, sodass man stets nur einen Abschnitt der Fassade wahrnimmt, nie die ganze Länge (außer man steht sehr weit weg).
Zudem ist das Gebäude mit vier Höfen in fünf einzelne Häuser zergliedert, jedes von ihnen wird über einen eigenen Eingang direkt vom Schulhof betreten. Trotzdem sind die fünf Häuser über ein Foyer, das sich im Erdgeschoss über die gan­ze Westfassade ausbreitet, miteinander verbunden, ebenso wie über lange Flure in den Obergeschossen an der Ostseite des Hauses. Auch für Foyer und Flure gilt, dass wegen der Knicke immer nur Teile ihrer Länge wahrnehmbar sind.
In der Fassade gelingt die Zergliederung des Gebäudes mittels Betonfertigelementen, die die horizontalen Fenster in unterschiedlichen Formaten rahmen. Die Betonrahmen sind außerdem in drei Grün-Gelb-Tönen eingefärbt, aufgrund von drei verschiedenen Zuschlagstoffen unterscheidet sich die Beschaffenheit ihrer Oberflächen. ImInnern führt sich das, was man vielleicht die Arbeit an der maßstäblichen Erlebbarkeit des Hauses nennen kann, etwa in den farbig gefassten Nischen in den Klassenräumen fort. Und reicht biszur kongenialen Kunst am Bau von Cisca Bogman & Oliver Störmer. Sie haben die Betontreppenhäuser mit durchgehenden, im Foyer beginnenden Linienzeichnungen überzogen, die sich verschiedenen Arten von Tieren widmen.



Fakten
Architekten léonwohlhage, Berlin; Atelier Loidl, Berlin
Adresse Obergiesing-Fasangarten 81549 München


aus Bauwelt 9.2020
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