Bauwelt

Friedhof Hamburg-Finkenriek


Der Friedhof hat 100 neue Grabfelder für Muslime und Muslimas, weitere könnten folgen. Das angeschlossene Wasch- und Gebetshaus zeigt die Vielfalt des islamischen Kulturkreises. Nach dem Ensemble sehnte sich die Gemeinde schon lang, schließlich gab eine Autobahnerweiterung den Anstoß.


Text: Mijatović, Maja, Hamburg


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    Einst dem Tod von Christen vorbehalten, später Konfessionslosen geöffnet, ist der Finkenrieker Friedhof nun auch ein Andachts- und Grabesort für Muslime.
    Foto: Jens Franke

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    Einst dem Tod von Christen vorbehalten, später Konfessionslosen geöffnet, ist der Finkenrieker Friedhof nun auch ein Andachts- und Grabesort für Muslime.

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    Altioks Entwurf vereint Abbilder architektonischer Elemente aus unterschiedlichen muslimisch geprägten Regionen.
    Foto: Jens Franke

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    Altioks Entwurf vereint Abbilder architektonischer Elemente aus unterschiedlichen muslimisch geprägten Regionen.

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    Der Backstein ist zugleich eine Verortung im norddeutschen Bauen.
    Foto: Jens Franke

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    Der Backstein ist zugleich eine Verortung im norddeutschen Bauen.

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    Die Grabfelder, wie auch das Wasch- und Gebetshaus, orientieren sich nach Mekka.
    Foto: Jens Franke

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    Die Grabfelder, wie auch das Wasch- und Gebetshaus, orientieren sich nach Mekka.

    Foto: Jens Franke

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    Wenn auch steril ausgestattet, ...
    Foto: Jens Franke

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    Wenn auch steril ausgestattet, ...

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    ... so erhält der Raum der Totenwäsche durch eine Kuppel doch die dem Ritus gebührende Pietät.
    Foto: Jens Franke

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    ... so erhält der Raum der Totenwäsche durch eine Kuppel doch die dem Ritus gebührende Pietät.

    Foto: Jens Franke

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    Kuppel und Gebetsnische im Gebetsraum sind ver­goldet. Die Vorhänge unterteilen den Raum je nach Teilnehmerstärke.
    Foto: Jens Franke

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    Kuppel und Gebetsnische im Gebetsraum sind ver­goldet. Die Vorhänge unterteilen den Raum je nach Teilnehmerstärke.

    Foto: Jens Franke

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    Die gemusterten Fliesen und verschatteten Bogenfenster zitieren maurische Motive.
    Foto: Jens Franke

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    Die gemusterten Fliesen und verschatteten Bogenfenster zitieren maurische Motive.

    Foto: Jens Franke

Ohne die Autobahn gäbe es das muslimische Wasch- und Gebetshaus nicht. Das klingt absurd ­– was kann schon eine Schnellstraße mit einem Sakralbau zu tun haben? Dabei ist der Zusammenhang logisch und zugleich bitter: Seit 15 Jahren engagierten sich verschiedene muslimische Vereine für ein Wasch- und Gebetshaus im Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg, auch Lokalpolitiker plädierten dafür. Laut einer Schätzung des Statistischen Amts für Hamburg und Schleswig-Holstein hatten 2019 über die Hälfte der Einwohner von Wilhelmsburg einen Migrationshintergrund – die meisten von ihnen stammen aus der Türkei. Und auch die Zahl muslimischer Bestattungen in Hamburg nimmt zu. Zahlreiche christliche Friedhöfe haben mittlerweile abgetrennte Bereiche mit nach Mekka ausgerichteten Gräbern geschaffen. Neben der Ausrichtung und den Gebeten nimmt im muslimischen Bestattungsritual die Waschung eine wesentliche Rolle ein. Gemeinsam mit einem Bestatter oder einer Bestatterin waschen Angehörige die verstorbene Person in einem festgelegten Ablauf, bevor sie sie in Leinentücher wickeln und in einem Sarg auf einem Totenstein für ein abschließendes Gebet aufbahren. Im Anschluss wird der Sarg zum Grab gebracht und der umhüllte Leichnam beerdigt. Bislang war in Hamburg die Waschung in einem Nebenraum des Krematoriums am Ohlsdorfer Friedhof möglich. Ein eigenes Wasch- und Gebetshaus gab es für die muslimische Bevölkerung nicht. Bis jetzt.
Im Zuge des Baus einer neuen Autobahn soll das südliche Wilhelmsburg durchschnitten werden. Ein Abschnitt verläuft über den nördlichen Teil des Friedhofs Finkenriek und unterquert dabei 41 muslimische Grabfelder. Diese müssen dafür exhumiert werden – eine große Belastung für die Hinterbliebenen. Als Kompensation entschied die Autobahngesellschaft, auf einer zuvor als Materiallager genutzten Fläche des Friedhofs 100 Grabstellen sowie den lang geforderten Sakralbau für Muslime zu verwirklichen, und beauftragte die Architektin Medine Altiok mit der Planung.
Wie lässt sich ein religiöser Bau des Islam in einen vom Christentum geprägten Kontext einbetten, ohne sich aufzudrängen? Welche Symbole sind aber notwendig, um die Glaubens­gemeinschaft angemessen zu repräsentieren?
Auf dem Friedhof Finkenriek ruht jetzt ein sandfarbener Klinkerbau unter schiefergrauem Blechdach. Zwei Zypressen ragen in der Ecke einer das Grundstück rahmenden Mauer in die Höhe. Architektonische Gestaltungselemente sakraler Bauten fallen in muslimischen Ländern von Region zu Region unterschiedlich aus. Um diese Vielfalt abbilden zu können, reiste Altiok nach Bosnien-Herzegowina, in die Osttürkei, nach Marokko, Jordanien sowie in den Jemen und studiert dort Moscheen, Friedhöfe und Wüstenschlösser. Zurück in Deutschland fügte sie die verschiedenen Komponenten harmonisch und in reduzierter Ausführung zusammen. Durch diese Reduktion wolle sie allen Angehörigen die Möglichkeit geben, sich mit dem Gebäude zu identifizieren, so die Architektin. Die Herkunft spiele keine Rolle.
Das Gebäude spiegelt die Vielfalt der Kulturen der in Hamburg lebenden Muslime. Der helle Klinkerbau, der gemeinsam mit den Grabfeldern Richtung Mekka ausgerichtet ist und, wie aus einem Guss, dem Boden entwächst, ist eine Anlehnung an Wüstenschlösser in Amman. Das Zinkzeltdach mit vorgewitterter Patina erinnert an Blechdächer aus der Osttürkei. Außerdem bedient Altiok sich maurischer Elemente wie etwa der Maschrabiyya – traditionell dekorativ verzierte Holzgitter, die als Sicht- und zugleich Sonnenschutz dienen. Am Wasch- und Gebetshaus entwickeln sie sich aus dem Klinkerformat. Die Ziegel der Fassade verweisen auf Dahinterliegendes: als perforierte Wandfüllung auf Fenstern; als geschlossene Fläche, deren zueinander versetzte Steine um zwei Zentimeter vor und zurückspringen, auf die Gebetsnische (kleines Bild Seite 19). Von großer Bedeutsamkeit, jedoch von außen nicht sichtbar, sind die beiden Kuppeln, die im Gebets- und Waschraum ihre volle Wirkung entfalten. Durch die Zeltdachkonstruktion gelingt Altiok der Einsatz dieser symbolkräftigen Bauteile, ohne die signifikante Bildsprache auf den Friedhof hinaus zu tragen. Das Rautenmuster, das sich reliefartig um den Bau zieht, wird häufig an Fassaden persischer Moscheen verwendet. Das Motiv wandten unter anderen die Hamburger Architekten Fritz Höger und Fritz Schumacher Anfang des 20. Jahrhunderts an Bauten im Kontorhausviertel an und prägten damit den Backsteinexpressionismus.
Zwei Millionen Euro standen der Architektin zur Verfügung. Das ist nicht viel. Und doch gelang es ihr, damit ein Gebäude zu kreieren, das in Formund Gestaltung in sich stimmig ist und in den Ausführungsdetails hochwertig ausfällt. Für Alti­-ok war wichtig, durch die Gleichsetzung von innen und außen eine Nähe zur Natur herzustellen.
Von einem überdachten Vorplatz gelangen die Angehörigen, nach Geschlechtern getrennt, überzwei Eingänge in die jeweils gleich gestalteten Warteräume, deren Anmutung Hamburg für einenMoment vergessen lässt. Der Blick wird durch das Gebäude gelenkt und reicht über den Gebetsraum hinaus ins Freie. Durch die Fenster fällt geschecktes Licht auf die Zementfliesen mit maurischer Ornamentik. Warmes Eichenholz hebt sich mit den fast raumhohen Rundbogenfenstern und -türen sowie der Sitzbank von den grauen Kalkputzwänden ab und akzentuiert die Öffnungen.
Im Gebetsraum setzt Altiok das Farb- und Materialkonzept fort und ergänzt es um goldene Wandfarbe in der Gebetsnische sowie der Kuppel, was den sakralen Charakter des Raums stärkt. Sie entwarf auch den Teppichboden, mit flach gereihten hellen Dreiecken auf dunklem Grund. Für das Muster bedient sie sich traditioneller Motive von Gebetsteppichen. Ein raumhoher Akustikvorhang unterteilt den Gebetsbereich je nachdem, wie viele Gläubige am Gebet teilnehmen.
Deutlich funktionaler gehalten ist der, um der Bedeutsamkeit des Rituals gerecht zu werden, ebenfalls kuppelgekrönte Waschraum. Durch eine Tür, deren Doppelflügel mit kleinteiligen Ornamenten überzogen sind, wird der Sarg von dort auf den Vorplatz gebracht und auf einem Totenstein für das abschließende Gebet aufgebahrt. Das Vordach des zunächst profanen Außenraums wird zu einer dritten Wand, die verzierte Tür ein weihevoller Hintergrund.
Medine Altiok lässt mit ihrem Neubau die Frage der Herkunft tatsächlich fluid werden. Dennoch, so wichtig die Geste, einen respektvollen religiösen Ort geschaffen zu haben, für Musli­me in Deutschland ist, es bleibt ein bitterer Nachgeschmack: Der Neubau ist auch ein Feigenblatt dafür, dass 41 Tote für eine Autobahn umgebettet wurden.



Fakten
Architekten Medine Altiok Architektur, Zürich/Aachen
Adresse König-Georg-Deich 24, 21109 Hamburg


aus Bauwelt 11.2021
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