Gildehoftunnel in Essen
Wenn kein Geld da ist, um eine heruntergekommene Bahnunterführung zu sanieren, kann es helfen, stattdessen Licht über Wände und Decken auszugießen. So geschehen im Essener Gildehoftunnel.
Text: Winterhager, Uta, Bonn
Stableuchten, Rundleuchten und Würfelstrahler, deren Anordnung reichlich Effekt macht: Die Lichtplanung im Gildehoftunnel wurde beim diesjährigen Deutschen Lichtdesignpreis mit dem Publikumspreis ausgezeichnet.
Foto: Moritz Leick; © Fotograf, Stadt Essen
Stableuchten, Rundleuchten und Würfelstrahler, deren Anordnung reichlich Effekt macht: Die Lichtplanung im Gildehoftunnel wurde beim diesjährigen Deutschen Lichtdesignpreis mit dem Publikumspreis ausgezeichnet.
Foto: Moritz Leick; © Fotograf, Stadt Essen
Jede Großstadt hat diese Orte, sie nutzt sie täglich, rund um die Uhr. Sie sind Teil des Systems, das fließen muss. Man fährt nicht dorthin, weil man dorthin möchte, sondern weil man muss – Augen, Nase, Ohren zu und durch. In Essen ist der Gildehoftunnel ein solcher Ort, verkehrstechnisch ein dreispuriges Nadelöhr, das täglich rund 23.000 Autos in Nord-Süd-Richtung unter dem Hauptbahnhof hindurchführt.
Die 165 Meter Länge sind mit dem Auto nur ein paar Sekunden Fahrzeit, zur Hauptverkehrszeit steht man dort ein paar Minuten. Zu Fuß, auch das ist möglich, denn auf der Westseite gibt es einen eineinhalb Meter breiten Gehweg, dauert die Passage entsprechend länger. Bis Juni 2023 war dies eine ausschließlich unangenehme Erfahrung. Auch wenn das Tageslicht am Ende des Tunnels immer in Sicht ist, der Durchgang war dunkel, laut und schmutzig, ein Angstraum.
Mit einer ersten Anfrage zur Lichtplanung für den Gildehoftunnel wandte sich die Stadt Essen Anfang 2020 an Architekt Peter Brdenk (Architekturbüro Planwerk, Essen), der vor zwan-zig Jahren auch den parallel verlaufenden Tunnel Bernestraße aus seinem Schattendasein befreit hatte. Eine große Lösung würde es nicht geben, das war allen Beteiligten von Beginn an klar, denn die Deutsche Bahn, die Eigentümerin des Tunnels ist, hat eine Menge anderer, weit substanziellerer Probleme. Einen unschönen Durchgang unterhalb ihrer Gleise kann sie gut ignorieren. Die Aufforderung der Stadt, sich an dem Projekt zu beteiligen und die 3000 Quadratmeter Wand- und Deckenfläche zu sanieren oder wenigstens zu reinigen, lehnte die Bahn ab, gab aber ihr Einverständnis zur Umsetzung der Maßnahme.
Die von Planwerk entworfene Lichtgestaltung scheint von der widrigen Ausgangssituation unberührt. Linien, Bögen, Punkte und Schrift fügen sich zu einer neuen ästhetischen Benutzeroberfläche, unter der der Schmutz ein abstraktes Bild zeichnet. Besser als dieses Übereinander und Miteinander von Geschehenem und Inszeniertem hätte man es kaum erdenken können – wobei damit die Bahn keinesfalls von ihrer Sorgfaltspflicht losgesprochen werden soll.
Der Gildehoftunnel besteht aus drei Abschnitten, die analog zum Strang der Bahngleise des Hauptbahnhofs ergänzt wurden. Sie unterscheiden sich bauzeitbedingt in Materialität, Konstruktion und Profil und wurden ganz pragmatisch nebeneinandergestellt. Mit der Lichtgestaltung reagiert Planwerk auf die Unterschiede, nutzt dieGegebenheiten sogar, um die Inszenierung dynamisch zu steigern.
Ort und Budget entsprechend, wählten die Architekten monochrome Antivandale-LED-Leuchten in verschiedenen Geometrien, als Stableuchte, Rundleuchte und Würfelstrahler, die in unterschiedlichen Konstellationen angeordnet wurden und programmgesteuert weiß oder blau leuchten. Sämtliche Kabel werden in schwarzen Leerrohren geführt, ihre streng orthogonale Zeichnung bleibt ungestört von den Schäden der Wände. Die Lichtgestaltung habe „eine gewisse Grobheit, zu schön darf es nicht sein“, beschreibt Peter Brdenk seine Haltung bei Entwurf und Durchführung.
Der jüngste Tunnelabschnitt ab Einfahrt ist 24 Meter lang und mit maximal 8,5 Metern Höhe der niedrigste Bereich. Der Sichtbeton von Decke und Wänden zeigt den Schmutz von 30 Jahren Benutzung, aber kaum weitere Schäden. Eröffnet wird das Lichtspiel mit einer beidseits in fünf Metern Höhe montierten Kette von Punkt- und kurzen Stableuchten. ESSEN steht dort im Morsecode, naheliegend, wenn man es zu lesen versteht, dekorativ leuchtend auch ohne Übersetzung. Darunter angeordnet benennen Edelstahlbuchstaben den GILDEHOF, denn auch ein Name hilft, den Unort zum Ort zu machen.
Der daran anschließende 42 Meter lange Abschnitt des Tunnels bietet mit 13 Metern deutlich mehr Deckenhöhe. Die Flecken des abgefallenen Putzes bilden einen starken Kontrast zu den unbeschädigten rußgeschwärzten Bereichen. Hier beginnt die rhythmische Anordnung der Stab- und Rundleuchten als Lichtband, fortlaufend bis zur Ausfahrt. Da der Tunnel über die gesamte Länge drei Meter Gefälle hat, die Leuchten aber waagerecht installiert wurde, endet sie auf einer Höhe von zwei Metern, wodurch die perspektivische Wirkung der langen Röhre noch einmal verstärkt wird.
Die großen Plakatflächen an der Westwand galt es zu integrieren, dafür wurden sie in neuen Alurahmen auf eine Höhe gesetzt und mit eigener Beleuchtung versehen. Den letzten und längsten Abschnitt bildet ist ein hundert Meter langer Rundbogentunnel mit 11,5 Metern Scheitelhöhe. Engstrahlende Würfelleuchten zeichnen das dunkle Gewölbe mit acht feinen blauen Lichtbögen nach und intensivieren die Intervention mit der dritten Dimension, bis sie an der Ausfahrt abrupt endet.
Was bleibt, ist ein kleiner Moment des Erinnerns an einen Ort, der sich der Wahrnehmung zuvor vollkommen entzogen hat. Mit Licht lässt sich das Dunkel des Tunnels auf der emotionalen Ebene gut überzeichnen. Nicht zuletzt auch, weil darin das öffentliche Sich-Kümmern sichtbar wird.
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