Bauwelt

Hauptsitz von Alnatura in Darmstadt


Sinnvoll für Mensch und Erde: Bei der Zentrale von Alnatura setzte das Unternehmen treu auf sein Motto. Gemeinsam mit dem Stuttgarter Architekturbüro haascookzemmerich Studio 2050 bewies es mit dem Einsatz von Lehm Mut zum Experiment.


Text: Santifaller, Enrico, Frankfurt am Main


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    Auf dem ehemaligen Kasernengelände befindet sich neben der Zentrale ein Waldorfkindergarten, ein vegetarisches Bio-Restaurant und diverse Lehrgärten.
    Foto: Roland Halbe

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    Auf dem ehemaligen Kasernengelände befindet sich neben der Zentrale ein Waldorfkindergarten, ein vegetarisches Bio-Restaurant und diverse Lehrgärten.

    Foto: Roland Halbe

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    Die Zentrale ist europaweit das größte Bürogebäude mit einer Außenfassade aus Stampflehm.
    Foto: Roland Halbe

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    Die Zentrale ist europaweit das größte Bürogebäude mit einer Außenfassade aus Stampflehm.

    Foto: Roland Halbe

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    Die massiven Lehmwände wurden mit Lehmmörtel verbunden. Mischmaschine, Vormischer und Stampfmaschine wurden vor Ort eingesetzt.
    Foto: Roland Halbe

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    Die massiven Lehmwände wurden mit Lehmmörtel verbunden. Mischmaschine, Vormischer und Stampfmaschine wurden vor Ort eingesetzt.

    Foto: Roland Halbe

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    Die schalldämmende Holzlamellendecke überspannt den Allraum. Die Arbeitsbereiche werden über offene Treppen und Brücken miteinander verbunden.
    Foto: Roland Halbe

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    Die schalldämmende Holzlamellendecke überspannt den Allraum. Die Arbeitsbereiche werden über offene Treppen und Brücken miteinander verbunden.

    Foto: Roland Halbe

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    Der einzige richtige Flur befindet sich im Erdgeschoss, im Konferenzraumtrakt.

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    Der einzige richtige Flur befindet sich im Erdgeschoss, im Konferenzraumtrakt.

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    Foto: Brigida Gonzales

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    Die transparente Stirnseite und das Oberlichtband sorgen für einen lichtdurchfluteten Raum. Durch letzteres gelangt Nordlicht in das Gebäude.
    Foto: Roland Halbe

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    Die transparente Stirnseite und das Oberlichtband sorgen für einen lichtdurchfluteten Raum. Durch letzteres gelangt Nordlicht in das Gebäude.

    Foto: Roland Halbe

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    So wird eine zu große Erwärmung im Sommer vermieden.
    Foto: Brigida Gonzales

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    So wird eine zu große Erwärmung im Sommer vermieden.

    Foto: Brigida Gonzales

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    Akustik spielt eine tragende Rolle: Sämtliche Oberflächen ...
    Foto: Roland Halbe

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    Akustik spielt eine tragende Rolle: Sämtliche Oberflächen ...

    Foto: Roland Halbe

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    ... und das Mobiliar erfüllen besondere Anforderungen.
    Foto: Roland Halbe

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    ... und das Mobiliar erfüllen besondere Anforderungen.

    Foto: Roland Halbe

Das Gebäude mit Nord- und Südfassade aus Stampflehm. Der für 500 Mitarbeiter ausgelegte Allraum vom Erdgeschoss bis unter den 19 Meter hohen First. Das Grundstück auf einem ehemaligen Militärgelände – mit weniger Alt-, als vielmehr Zukunftslasten. Und ein Bauherr – Firmenchef Götz Rehn –, der nicht nur gleichzeitig kostengünstig bauen wollte und Nachhaltigkeit einforderte, sondern auch den Mut hatte, sich an Grenzen zu wagen und gegebenenfalls darüber hinauszugehen. Sechs Jahre dauerten Planung und Bau der „Altnatura Arbeitswelten“ im Südwesten von Darmstadt. Sechs Jahre vermittelte Martin Haas vom verantwortlichen Architekturbüro haascookzemmrich Studio 2050 glaubhaft „gemeinsames Erleben, Erfahren und Erlernen“, um ein Gebäude nach dem Alnatura-Motto „Sinnvoll für Mensch und Erde“ zu realisieren. Die neue Hauptverwaltung des Bio-Lebensmittelhändlers hat sich das Adjektiv „neu“ redlich verdient. Planer wie Ausführende versuchten überzeugend, Traditionen – formal wie inhaltlich – neu zu interpretieren. Das Gebäude bricht mit gängigen Regeln und Glaubenssätzen. Darüber hinaus stellt es einen Neuanfang für das Gelände der ehemaligen Kelley-Barracks dar, die die von einem grünen Oberbürgermeister regierte Stadt zu einem „nachhaltigen Quartier mit gewerblichem Schwerpunkt“ verwandeln will.
Damit Alnatura auf dem von den US-Streitkräften 2008 aufgegeben Militärgelände eine Pionierfunktion übernehmen kann, hatte die Stadt sogar die Flächen separiert und am südwestlichen Zipfel, sprich für das zusätzlich mit einem öffentlichen Waldorfkindergarten, Pacht- und Lehrgärten sowie einer bewegten Parklandschaft ausgestatteten Alnatura-Areal, einen vorgezogenen Bebauungsplan beschlossen. Allerdings soll quer über das bzw. unter dem Konversionsgebiet eine Bahntrasse verlaufen, um den Darmstädter Hauptbahnhof mit dem ICE-Netz zu verbinden. Die endgültige Linienführung ist bislang ungeklärt. Um das Alnatura-Projekt umzusetzen, musste jedenfalls der Flächennutzungsplan geändert werden, was eine Verzögerung von einem Jahr bedeutete – obwohl der alte Alnatura-Sitz im zwanzig Kilometer entfernten Bickenbach bereits aus den Nähten platzte. Der Termindruck war nicht der einzige Faktor, den die Architekten zu berücksichtigen hatten. Martin Haas spricht von insgesamt zwölf Parametern und Wünschen des Bauherrn, die den Entwurf beeinflussten – u.a. ein „einladendes und offenes, statt ein beeindruckendes Haus“, eine „Werkstatt-
Atmosphäre“, „Einfachheit“, was möglichst wenig komplizierte Haustechnik bedeutete, sowie möglichst geringen Ressourcenverbrauch.
Entscheidend für die Beurteilung der zu verwendenden Baustoffe war die Betrachtung des jewei-ligen Lebenszyklus´, wobei von einem Bestand von fünfzig Jahren ausgegangen wurde. Selbst die Lehmfassade war anfangs nicht sicher, erst nach der Betrachtung aller Aspekte – von der grauen Energie bis zum Recycling nach Abbruch des Gebäudes – entschieden sich Bauherr und Architekten für Stampflehm und den Vorarlberger Lehmexperten Martin Rauch als Partner. Dass Lehm, obwohl eines der ältesten Baumaterialien der Welt, hierzulande kein zugelassener Bau­stoff ist, dass inzwischen zwar DIN-Normen für Lehmmörtel, -putz und -farbe, nicht aber für Lehmfassaden existieren, dass also eine Reihe von Einzelgenehmigungen erforderlich waren, beanspruchte die Geduld der Beteiligten zusätzlich.
Rauch, der die ungedämmte Lehmfassade des Ricola-Kräuterlagers nach Plänen von Herzog & de Meuron fertigte, musste seine Technik für ein Bürogebäude weiterentwickeln. Die insgesamt 384, je 3,50 Meter langen und ein Meter hohen Elemente, die zu 32 selbsttragenden Elementen gestapelt und mit Gewindestäben in den Decken verankert wurden, produzierten seine Mitarbei­-ter in einer benachbarten ehemaligen Panzerhalle vor. Für den Lehm und den gewünschten orange-gelblichen Farbton verwendeten sie neben Lavaschotter aus der Eifel auch Tunnelaushub von Stuttgart 21. Wegen einer 17 Zentimeter starken Dämmschicht aus Schaumglasgranulat wuchs die Dicke der Lehmwand im Vergleich zu Ricola auf 69 Zentimeter. Dank der je nach Umgebungsluft Feuchtigkeit aufnehmenden oder abgebenden Lehmfassade, ihrer Speichermasse sowie einer natürlichen Belüftung, wozu die Luft aus dem nahen Wald angesaugt und über einen Erdkanal vorkonditioniert wird, herrscht im Sommer in den Arbeitswelten ein angenehmes Klima. Für die im Winter notwendige Heizung wurde unter der Innenseite der Wand ein Leitungssystem eingestampft. Das Warmwasser stammt aus Geothermiebohrungen und aus der Abwärmerückgewinnung der Küchentechnik.
Die raue Oberfläche der Lehmschale verfehlt auch im Innenraum ihre schalldämmende Wirkung nicht: Denn so großzügig der Allraum ohne Trennwände und Flure wirken mag, so elegant sich die beiden geschwungenen Büroflächen an das offene Atrium schmiegen, so vielfältig und abwechslungsreich das räumliche Erleben an fast jedem Standpunkt des Gebäudes auch ist – rund vierhundert permanent anwesende Mitarbeiter produzieren ohne akustisch wirksame Einrichtungen eine Menge Lärm. Um dieses Problem in den Griff zu bekommen, hat nahezu jede Oberfläche in dem 13.500 Quadratmeter umfassenden Gebäude eine schallbrechende Funktion: Von den perforierten Gebäudekernen und ebenso beschaffenen Mitarbeiterspinden über die mit Blähbetonstreifen versehenen Decken und die Holzlamellendecke unterm Dach bis zu den Teppichböden und den siebenlagigen Vorhängen, die Besprechungsinseln und Teeküchen abtrennen. Mit Ausnahme der Arbeitsplätze direkt hin­-ter diesen Besprechungsinseln – hier wird noch nachgerüstet – funktionieren all diese Maßnahmen ausgezeichnet. Die Stimmen bleiben angenehm leise. Die Entscheidung von Firmenchef Rehn und seinen Mitarbeitern für eine nicht-territoriale, von einer Vitra-Fachabteilung geplante Büroorganisation und Desk-Sharing eröffnet flexible Möglichkeiten. So kann man an den „Lümmelbrettern“, in Sitzecken oder in weiteren, „Alkoven“ genannten Besprechungsinseln arbeiten, die stets mit Netzanschluss ausgestattet sind und an den Bewegungsflächen liegen.
Mit „Werkstatt-Atmosphäre“ ist die Stimmung in dem Allraum – nur das Erdgeschoss hat ein paar Glaswände für weitere Besprechungsräume und für das öffentliche Restaurant – richtig umschrieben. In dem Raum, der durch die gläsernen West- und Ostfassaden sowie durch das nach Norden gewandte Dachoberlicht taghell beleuchtet wird, wird konzentriert und – soweit das ein Externer beurteilen kann – kollegial gearbeitet. Man ist weit weg von jenen vorgeblichen Krea­tivität fördernden Freizeitparks, den neuerdings IT-Unternehmen und Sportartikelhersteller für das hoffentlich overperformende Personal einrichten. Die Mischung aus Vitra-Möbelklassikern, Auf-Putz-Installationen – etwa für die Sprinkler –, aus den Panzerhallen stammenden Hängeleuchten und den sich einzeln abzeichnenden Schichten der rustikalen Lehmwände vermitteln die Arbeitswelten einen sehr eigenständigen Reiz, der über manch‘ ästhetischen, für den Allraum erforderlichen Kompromiss locker hinwegtröstet. Dass die Hülle des Allraums in Höhe, Farbe und Dachform dem Äußeren der Mannschaftsgebäude auf dem ehemaligen Kasernengelände ein wenig ähnelt, sie fortschreibt, aber mit ganz anderem Inhalt füllt, vergrößert den Reiz der Alnatura-Arbeitswelten zusätzlich. Die Losung „Sinnvoll für Mensch und Erde“ lädt zu vielerlei Interpretationen ein. Eine ebenso konzeptionell hoch anspruchsvolle wie gelungene, ist nun in Darmstadt zu sehen.



Fakten
Architekten haascookzemmerich Studio 2050, Stuttgart
Adresse Mahatma-Gandhi-Straße 7, 64295 Darmstadt


aus Bauwelt 9.2019
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