Bauwelt

Holocaust-Zentrum in der Villa Grande auf Bygdøy


Seit knapp zwanzig Jahren dient die Villa des norwegischen NS-Handlangers Vidkun Quisling als Dokumentationszentrum der Judenver­folgung während der deutschen Besatzung. Jetzt wurde der Bau auf der Halbinsel Bygdøy vom jungen Büro Transborder erweitert.


Text: de Cuveland, Alexander, Oslo


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    Der Anbau öffnet sich mit großen Fenstern in die waldige Landschaft der Halb­insel.
    Foto: Alexander de Cuveland

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    Der Anbau öffnet sich mit großen Fenstern in die waldige Landschaft der Halb­insel.

    Foto: Alexander de Cuveland

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    Das Luftbild wurde im Mai 1945 aufgenommen.
    Foto: Forsvarsmuseet, Oslo

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    Das Luftbild wurde im Mai 1945 aufgenommen.

    Foto: Forsvarsmuseet, Oslo

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    Der Anbau hält Abstand zur Villa, so dass ein kleiner Hof entsteht.
    Foto: Alexander de Cuveland

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    Der Anbau hält Abstand zur Villa, so dass ein kleiner Hof entsteht.

    Foto: Alexander de Cuveland

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    Der Seminarraum wird von Dachterrassen umschlossen und öffnet sich ebenerdig zum Garten im Süden.
    Foto: Alexander de Cuveland

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    Der Seminarraum wird von Dachterrassen umschlossen und öffnet sich ebenerdig zum Garten im Süden.

    Foto: Alexander de Cuveland

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    Ein verglaster Korridor bildet den Übergang.
    Foto: Alexander de Cuveland

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    Ein verglaster Korridor bildet den Übergang.

    Foto: Alexander de Cuveland

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    Der Verbindungsgang zwischen Villa und Anbau öffnet sich auf der einen Seite in den Hof, auf der anderen begrenzt ihn die Betonwand des Bunkers.
    Foto: Alexander de Cuveland

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    Der Verbindungsgang zwischen Villa und Anbau öffnet sich auf der einen Seite in den Hof, auf der anderen begrenzt ihn die Betonwand des Bunkers.

    Foto: Alexander de Cuveland

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    Mit weißen und schwarzen Vorhängen lassen sich unterschiedliche Nutzungen im Inneren des Anbaus auch atmosphärisch einrichten.
    Foto: Alexander de Cuveland

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    Mit weißen und schwarzen Vorhängen lassen sich unterschiedliche Nutzungen im Inneren des Anbaus auch atmosphärisch einrichten.

    Foto: Alexander de Cuveland

Durch die hohen Fenster des Ausstellungsraums öffnet sich der Blick auf einen von Laubbäumen bewachsenen Hang, der auf einen Waldstieg hin abfällt. Dieser führt direkt zum Bade- und Bootsanlegeplatz und ist einer der Gründe warum das Grundstück, auf dem sich heute das „Holocaustzentrum“ befindet, auf eines der dunkelsten Kapitel norwegischer Geschichte verweist. Von 1941 bis 1945, während der Besatzung Norwegens durch Deutschland, war dies das Anwesen von Vidkun Quisling, Führer der norwegisch faschis­tischen Partei „Nasjonal Samling“ und Handlanger des Deutschen Reichs in einer Zeit, in der sich die norwegische Regierung und das Königshaus im Londoner Exil befanden.
Das Anwesen, bestehend aus einer monumentalen Villa aus zwei über Eck zusammenlaufenden Flügeln mit Steildach und einem Turm, von dem aus man den Oslofjord überblickt, hatte schon mehrmals den Besitzer gewechselt, als Quisling sich 1940 entschloss, es aus Mitteln der Staatskasse zu erstehen und zu seinem Wohnsitz zu machen. Einer der Gründe für seinen Entschluss war die Lage außerhalb der Stadt, auf der beschaulichen und bis heute von bürgerlicher Einfamilienhausbebauung geprägten Halbinsel Bygdøy, gleichzeitig aber in unmittelbarer Nähe zur Hauptstadt, wo Quisling seinen „Regierungsgeschäften“ nachging. Ein weiterer Grund war, dass der Bootsanleger im Süden des Anwesens im Falle einer feindlichen Übernahme jederzeit die Option einer Flucht übers Wasser bot.
Aber auch als Experimentierfeld für einen nationalsozialistischen Wohnstil bot die 5300 Qua­dratmeter große Villa dem norwegischen Führer eine breite Palette Möglichkeiten. Wenn man sich ansieht, welche bautechnischen Veränderungen Quisling durch seinen Architekten vornehmen ließ, wird deutlich, dass das Anwesen zum einen Schutz vor Eindringlingen bieten sollte, sich zum anderen aber auch eignete, hier eine ästhetische Ideologie zu manifestieren. Quislings neues Domizil war Festung und ländliche Residenz zugleich, mit einem Stab von zeitweise 20 Haushaltshilfen, mit Statuen im Garten, einem aus Granitblöcken gemauerten Einfahrtsportal und einem Versammlungssaal mit angeschlossenem Film-Vorführraum im Untergeschoss. Sein Zugriff auf das Anwesen erlaubte Quisling, hier einen Rückzugsort-cum-Repräsentationsbau zu etablieren, der zusammen mit den umliegenden Grünanlagen und bis hinunter ans Wasser Tag und Nacht von zwei Wachpolizisten patrouilliert wurde.
Als ein Abschnitt „negativer Historie“ wurde diese Periode später gemünzt, als die „Villa Grande“ im Januar 2005 unter Denkmalschutz gestellt wurde, als ein Stück Bausubstanz, deren Bewahrung ermöglichen sollte, auch die „dunkleren Abschnitte der Geschichte“ zu beleuchten. Im selben Jahr bezog das Holocaustzentrum hier seine Räume, gestiftet in den ausgehenden 1990er Jahren als ein Institut zur Forschung und Öffentlichkeitsarbeit zu den Themen der Judenver­folgung und der Unterdrückung von Minoritäten. Seitdem hält das Zentrum hier ein Café, einen Empfangsbereich mit Literatur und eigenen Publikationen und Räume für Dauer- als auch Wechselausstellungen bereit. Die Einordnung der Arbeits- und Ausstellungsräume in die Bausubstanz der Villa Grande stellte für das Personal des Holocaustzentrums von Anfang an eine Herausforderung dar. 2016 schrieb der Eigentümer Statsbygg den Wettbewerb für einen Erweiterungsbau aus.
Nach nur zwei Jahren Bauzeit steht jetzt der helle Backsteinbau „Mino“ Seite an Seite mit dem Hauptgebäude. Der vom Osloer Architekturbüro Transborder entworfene Neubau hält Räume für wechselnde Ausstellungen, für Lehrveranstaltungen und Seminare bereit, zusammen mit einer großzügigen Ausstellungswerkstatt und einem Garderobenbereich für Besucher. Mino stellt buchstäblich einen Durchbruch dar. An der Stelle, wo sich früher der Liefereingang befand, ist die Steinmauer der Villa Grande aufgebrochen zugunsten einer Querachse, die von der Rezeption des Haupthauses bis in den Treppenbereich des neuen Gebäudes verläuft. Die Verbindung zwischen beiden Gebäuden stellt ein Gang auf zwei Etagen her, der einseitig verglast ist und den Blick auf einen Wasserspiegel freigibt, welcher den Übergang zwischen dem alten und dem neuen Baukörper reflektiert. Zur anderen Seite des Gangs ist die Wand des unterirdischen Bunkers bewahrt, den Quisling sich hier in Anbindung an den Keller der Villa Grande hat bauen lassen. Eine hastig aufgeschüttete Masse aus Geröll und Beton, die nun sauber durchtrennt sichtbar wird.
Es sind zwei komplett unterschiedliche Bauten, die sich hier gegenüberstehen, und der Übergangsbereich versucht den Kontrast nicht zu mildern. Der Name des neuen Baukörpers, Mino, steht nicht nur für sein thematisches Programm, sondern auch für sein Format im Verhältnis zum Ursprungsgebäude. Wo die Villa Grande pompös auftritt, ist Mino ein zurückhaltender Counterpart. Der Neubau öffnet den Altbau, bricht ihn auf und federt ihn ab. Entlang seiner Längsachse, die vom Parkplatz im Norden hinauf zum Garten auf der Südseite verläuft, zitiert er die steile Steintreppe auf der Nordseite der Villa Grande, mit der sich ihre festungsartige Anlage erschließt. Im Falle von Mino führt die Treppe auf eine Dachterrasse, die den Kurs- und Begegnungsraum auf der zweiten Etage umschließt und dann ebenerdig den Zugang zum Garten im Süden freigibt.
Im Untergeschoss, direkt neben der schmalen Treppe, die auf die Dachterrasse führt, sorgt eine hohe Stahltür für die leichte Belieferung der Ausstellungsräume. Die Abfolge von Räumen, die sich anschließt – der Werkstattraum, an den ein durch eine Glastür abgeteiltes Büro für die Ausstellungsplaner angrenzt, und der großzügige Ausstellungsraum mitsamt einem Bereich mit Garderobe, Schließfächern und Toiletten für die Besucher – ist offen ausgelegt und lässt sich flexibel nutzen: Die Werkstatt kann auch der Ausstellungsfläche angegliedert werden, der Verbindungskorridor ist sowohl von der Treppe des Neubaus als auch durch eine Außentür vom Übergangsbereich zwischen dem alten und dem neuen Gebäude begehbar. Die flexible Organisation der Räume im neuen Baukörper war ein Merkmal, das schon die Wettbewerbsjury in ihrer Stellungnahme hervorgehoben hatte: „Die Or­ganisation der Besucherräume macht diesen Entwurf zu jenem, der den Bedürfnissen des Holocaustzentrums am besten Rechnung trägt.“
Auch von den unmittelbaren Anforderungen an den Erweiterungsbau abgesehen, lässt sich die organisatorische Pragmatik des Baukörpers als Teil der Antwort lesen, wie die Architekten sich der Aufgabe gestellt haben, der dunklen Geschichte der Villa Grande etwas entgegensetzen. Der Neubau bricht die Raumstruktur des Ursprungsgebäudes auf, zitiert noch seine Bewegungsmuster, lässt sich aber flexibel nutzen und mit neuen Inhalten füllen. Das historische Milieu der Villa Grande, mit der hierarchischen Ordnung von Personaltreppe und Schutzwall im Norden und Prunkgarten im Süden, bleibt auch im Neubau präsent und lässt sich konkret erfahren, gleichzeitig verleiht die Fensterfront zum Waldstück hin den Innenräumen einen kontemplativen Charakter.
Die Materialpalette im Inneren setzt das Spiel aus kontemplativer Ruhe und Transparenz fort, das der Baukörper nach außen hin statuiert. Schwarze Vorhänge im Untergeschoss erlauben die Ausstellungsräume gegeneinander und gegen den Lichteinfall durch die hohen Fenster flexibel abzuschirmen. Im Seminarraum im Obergeschoss sind die schwarzen Vorhänge erweitert durch eine Lage semitransparenter Vorhänge aus Kunstfasern, mit denen sich der Lichteinfall regulieren lässt. Die Wände im Neubau sind hell verputzt, in Garderobe, Büro und Seminarraum in einem gedämpften Grünton gestrichen. Wandschränke in diesen Räumen, wie auch Schließfächer und Toilettentüren, sind in grau gebeiztem Birkensperrholz gehalten, die Böden durchgehend in hellem Beton mit sichtbarem Steinversatz. Wie Transborder selbst sagen, wollen sie mit dieser Materialpalette an den Zustand der Villa Grande anknüpfen, in dem sie sich vor der Übernahme durch Quisling befand – den eines unfertigen Rohbaus.
Als ein Gebäude, das Platz für Arbeits- und Seminarräume sowie Ausstellungsräume bereithält und gleichzeitig die historische Substanz des Ortes auffängt und anschaulich macht, steht Mino für eine Kategorie von institutionellen Bauten, von denen die Architektur nur wenige Beispiele zu bieten hat. Umso mehr überrascht es, dass Transborder Studio, das jüngste der am Wettbewerb beteiligten Büros, den ersten Preis mit einem Entwurf errungen hat, der sich vor allem durch pragmatische Zurückhaltung auszeichnet. Die Tatsache, dass es sich dabei um eine Erweiterung handelt, haben die Architekten dabei zu eigenen Gunsten interpretiert. Anstelle eines Signalbaus stellen sie dem Originalbau einen Baukörper entgegen, der diesen spiegelt, aufbricht, in seinen Bewegungsabläufen zitiert, aber auch in nüchterner Zurückhaltung auffängt. Ein kontextueller Move, der seitens eines jungen Büros überrascht und von dem abzuwarten bleibt, ob er sich auch in dessen kommenden Projekten abzeichnet.



Fakten
Architekten Transborder Studio, Oslo
Adresse Villa Grande, Huk Aveny 56, 0277 Oslo, Norwegen


aus Bauwelt 20.2021
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