Ausbauhaus am Berliner Südkreuz
Übliche Strategie der Bauindustrie ist, Kosten zu externalisieren. Das Ausbauhaus Südkreuz in Berlin von Praeger Richter Architekten kalkuliert mit dem gesamten Lebenszyklus.
Text: Strothmann, Hannah, Berlin
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Die drei Elemente des Baus –Stahlbeton-Regal, Holzfassade und Ausbauelemente – bleiben auf den ersten Blick ersichtlich.
Foto: Andreas Friedel
Die drei Elemente des Baus –Stahlbeton-Regal, Holzfassade und Ausbauelemente – bleiben auf den ersten Blick ersichtlich.
Foto: Andreas Friedel
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Der zentral liegende Erschließungskern ist materi-alsichtig ausgeführt und erhält durch das auch an
der Fassade sichtbare Rot einen farblichen Akzent.
Foto: Andreas Friedel
Der zentral liegende Erschließungskern ist materi-alsichtig ausgeführt und erhält durch das auch an
der Fassade sichtbare Rot einen farblichen Akzent.
Foto: Andreas Friedel
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Das Konzeptverfahren verpflichtet die Eigentümer zur Selbstnutzung. Das Ausbau-Konzept bietet helle, großzügige Wohnräume mit flexiblen Grundrissen, Ausblick und Gartenzugang.
Foto: Andreas Friedel
Das Konzeptverfahren verpflichtet die Eigentümer zur Selbstnutzung. Das Ausbau-Konzept bietet helle, großzügige Wohnräume mit flexiblen Grundrissen, Ausblick und Gartenzugang.
Foto: Andreas Friedel
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Nachbarschaftliche Bereiche wie das Kiezzimmer im Erdgeschoss waren Teil der Vorgaben des Konzeptverfahrens. Sie bieten nicht-kommerzielle Treffpunkte.
Foto: Andreas Friedel
Nachbarschaftliche Bereiche wie das Kiezzimmer im Erdgeschoss waren Teil der Vorgaben des Konzeptverfahrens. Sie bieten nicht-kommerzielle Treffpunkte.
Foto: Andreas Friedel
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In der 7. Etage befindet sich die Dachterrasse und eine kleine, für Gäste temporäre nutzbare Wohnung.
Foto: Andreas Friedel
In der 7. Etage befindet sich die Dachterrasse und eine kleine, für Gäste temporäre nutzbare Wohnung.
Foto: Andreas Friedel
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Beim Ausbauhaus Südkreuz waren Re-Use und Rückbaubarkeit Leitgedanken. Das erfordert Planung und steht im Gegensatz zum ursprünglichen Gedanken des Selbstbauens durch die Bewohner, ist aber auf den ganzen Lebenszyklus gerechnet günstiger.
Foto: Andreas Friedel
Beim Ausbauhaus Südkreuz waren Re-Use und Rückbaubarkeit Leitgedanken. Das erfordert Planung und steht im Gegensatz zum ursprünglichen Gedanken des Selbstbauens durch die Bewohner, ist aber auf den ganzen Lebenszyklus gerechnet günstiger.
Foto: Andreas Friedel
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Die roten Vorhänge fallen sofort ins Auge und sorgen für Fragen bei der Nachbarschaft: Was die denn sollten? Sähen ja ganz nett aus, aber wären doch wohl recht laut, wenn der Wind sie zum Flattern bringt. Laut sind an diesem Tag jedoch nicht die festgebundenen Vorhänge, sondern der brausende Verkehr auf dem nahegelegenen Sachsendamm. In wortwörtlich verkehrsgünstiger Lage entsteht hier an der sogenannten Schöneberger Linse zwischen den Bahnhöfen Südkreuz und Schöneberg ein neues Stadtquartier (Bauwelt 17.2022). 2016 begann die Vergabe der bis dato landeseigenen Grundstücke für eines der drei Baufelder mittels Direktvergabe, Bieter- und Konzeptverfahren. Kurz nach der Ausschreibung hatte der inzwischen rot-rot-grüne Senat beschlossen, Grundstücke im Sinne einer gemeinwohlorientierten Stadtentwicklung nur noch in Erbpacht zu vergeben. Dies verzögerte das gesamte Verfahren, bis es 2019 dann doch durchgewunken wurde. Den Zuschlag für das mit 549 Quadratmetern kleinste Baufeld erhielt eine Baugruppe, für die Praeger Richter Architekten einen Entwurf in Holz-Beton-Hybridbauweise entwickelten. Im August 2022 konnte das Ausbauhaus am Südkreuz schließlich bezogen werden.
Rückbaubares Holz-Beton-Hybrid-Regal
Auf insgesamt sieben Geschossen befinden sich 13 Eigentumswohnungen sowie drei weitere förderfähige Wohnungen, die zwischen 38 und 130 Quadratmetern groß sind. Eine zusätzliche, nicht vermietbare Gästewohnung liegt im oberen Staffelgeschoss, zwei Gewerbeeinheiten finden im großzügigen Erdgeschoss Platz, das mit 4,5 Metern Deckenhöhe auch das Einziehen von Zwischenebenen ermöglicht. Beide Gewerbeflächen müssen kiezgebunden genutzt oder vermietet werden, so lautete die Verfahrensvorgabe, die zudem die Schaffung von sozialem Wohnraum vorschrieb. Dieser befindet sich nun im ersten und zweiten Obergeschoss und wurde von den Mitgliedern der Baugruppe finanziert. Mit Ausnahmeder vier kleinsten Einheiten sind alle Wohnungen durchgesteckt. Umläufe erstrecken sich auf die gesamte Breite beider Fassaden und bilden auskragende Balkone und Loggien aus, die den Wohnraum nach außen erweitern.
Als weitere Anforderung galt es, die Klimaschutz- und Klimaanpassungsziele der Stadt zu berücksichtigen. Dies wurde zum entwurfsleitenden Grundsatz der Planenden um Jana Richter und Henri Praeger. Die Idee: ein Gebäude, das über den gesamten Lebenszyklus nachhaltig ist. Denn in – wenn auch noch unbestimmter – Zukunft werden Gebäude wohl nicht mehr abgerissen, stattdessen aber umgebaut oder ertüchtigt. Dementsprechend setzten die Architektinnen und Architekten die Materialien des Gebäudes in Abhängigkeit von ihrer Lebensdauer in der entsprechenden Ausbaustufe ein.
Das Tragwerk besteht als langlebigstes Gebäudeelement inklusive Brandwänden, Decken und Erschließungskern aus Stahlbeton, der dank der großen Spannweiten auf Nutzungsflexibilität ausgerichtet ist. Zur Kosteneinsparung wurden die Betonoberflächen roh belassen. Hingegen ist die Fassade eine rückbaubare Holzkonstruktion, ausgeführt als hinterlüftetes Holzständerwerk mit gesteckter Holzfaserdämmung, die vorvergraute Lärchenverschalung ist aufgeschraubt. Dank dieser Fügungsarten können einzelne Bauteile einfach repariert oder ersetzt werden. Speziell angefertigte Holzfenster erfüllen die aufgrund des Verkehrs auf dem Sachsendamm und der A100 hohen Schallschutzanforderungen, die auch durch andere Maßnahmen wie das Ausbilden der teilweise verglasten Loggien realisiert werden. Die auffälligen roten Vorhänge bilden die letzte, kurzlebigste Schicht der Außenhaut. Sie sind aus einem robusten Textil gefertigt, das ansonsten in Gewächshäusern zur Anwendung kommt. Hier dienen sie als Sonnenschutz, der im Gegensatz zu eingebauten Markisen eine kostengünstige Low-Tech-Lösung darstellt. Die Entscheidung für das charakteristische Rot trafen die Mitglieder der Baugruppe.
Im Laufe der Zeit wechselnde Wohnkonstellationen oder Nutzungsänderungen betreffen primär den Innenausbau. So achteten die Planenden bei diesem relativ kurzlebigen Gebäudebestandteil darauf, dass ausschließlich gesteckt, geschraubt, gelegt oder gefügt wurde. Mit Ausnahme des Badausbaus ist hier nichts verklebt. Die Konstruktion der Zimmerwände besteht aus trocken montierten Holzständerwänden, die auf einem schwimmend verlegten Rohboden stehen. Beplankung und Dämmung der Innenwände sind aus nachwachsenden Rohstoffen gefertigt, die Oberfläche bilden 27 Zentimeter dicke Holzplatten. Entgegen konventioneller Baupraxis kann dieser Innenausbau nicht nur einfach demontiert werden, sondern ist dank der möglichen sortenreinen Trennung der Materialien auch direkt wieder einsetzbar: das Haus wird zum Materiallager zukünftigen Bauens.
Gegenwart versus Zukunft
Auf die Zukunft gerechnet spart dieser sortenreine Rückbau potenzielle Umbau- sowie Entsorgungskosten nicht mehr benötigter Bauteile. Holzplatten, Parkett oder die Schüttung aus Holzspänen im Fußbodenaufbau können abgeschraubt, zusammengekehrt und wieder eingesetzt werden. Doch diese Art zukunftsweisender Innenausbau birgt zurzeit noch zwei große Herausforderungen. Zum einen ist für eine konsequente Umsetzung des Materiallager-Konzepts eine detaillierte Erfassung aller Bauteile nötig. Dies wird von den Planenden im Fall des Ausbauhauses mithilfe von BIM-Modellen zwar wie gefordert vorgenommen, dennoch gibt es auf Seiten der Bauherrschaft noch Nachholbedarf. So ist meist nicht geklärt, wer die geforderten BIM-Modelle archiviert und zugänglich hält, sodass sie als dauerhafter Baustoffkatalog letztlich noch nicht wirksam sind. Zum anderen ist ein derartig konstruierter Innenausbau heute noch sehr teuer. Dies liegt einerseits an den wertigen Materialien, die zwar meist auch gesünder sind, sodass sich Selbstnutzer wie die Baugruppe am Südkreuz oft trotz der Mehrkosten von ökologischen Baustoffen überzeugen lassen. Zum anderen liegt die Kostensteigerung aber auch an dem Mangel handwerklichen Wissens. Diese Art des Innenausbaus auf ein Gebäude hochskaliert – das können momentan nur wenige Firmen ausführen.
Beim Vorgängerprojekt Ausbauhaus Neukölln (2014) setzten Praeger Richter auf Kosteneffizienz in der Gegenwart. Damals konnten die Bewohnerinnen und Bewohner zwischen Ausbaupaketen und Selbstausbauvarianten des Betonregals entscheiden. Beim Ausbauhaus Südkreuz ist der Innenausbau zwar dank Re-Use langfristig noch flexibler, die Kosteneffizienz wird jedoch auf den gesamten Lebenszyklus gerechnet. Allerdings erfordert diese Art des durchdachten rückbaubaren Bauens ein Maß an Planung, das die Selbstausbauvariante zu verunmöglichen scheint. Außerdem müssen die Nutzerinnen und Nutzer dafür in Vorleistung gehen. Damit ermöglichen sie sich oder ihren Nachfolgern die günstigere (Um)planung und hinterlassen ein gesundes Materiallager.
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