Kindergarten in Liberec
Im böhmischen Liberec haben Petr Stolín und Alena Mičeková einen Kindergarten realisiert, bei dessen Entwurf sich die beiden gedanklich zunächst um Jahrzehnte zurückversetzt haben.
Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin
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Derzeit wirkt die Umgebung des Kindergartens in der Donská 1835 des Stadtteils Vratislavice eher dörflich.
Foto: Alex Shoots Buildings
Derzeit wirkt die Umgebung des Kindergartens in der Donská 1835 des Stadtteils Vratislavice eher dörflich.
Foto: Alex Shoots Buildings
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Doch ist gegenüber eine Stadterweiterung mit rund 1000 Wohnungen geplant.
Foto: Alex Shoots Buildings
Doch ist gegenüber eine Stadterweiterung mit rund 1000 Wohnungen geplant.
Foto: Alex Shoots Buildings
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Zwei Riegel und ein Hof: Die einfache Grundstruktur verzweigt sich in ein vielgliedriges Raumkonzept.
Foto: Alex Shoots Buildings
Zwei Riegel und ein Hof: Die einfache Grundstruktur verzweigt sich in ein vielgliedriges Raumkonzept.
Foto: Alex Shoots Buildings
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Ein eingeschossiger Trakt mit einem Gemeinschaftsraum verbindet die beiden Gruppenhäuser im Norden. Sein Dach ist eine Spielfläche mit Aussichtsbalkon.
Foto: Alex Shoots Buildings
Ein eingeschossiger Trakt mit einem Gemeinschaftsraum verbindet die beiden Gruppenhäuser im Norden. Sein Dach ist eine Spielfläche mit Aussichtsbalkon.
Foto: Alex Shoots Buildings
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Das Innere wird von zurückhaltenden Farben geprägt: Linoleum auf Boden und Wänden, ...
Foto: Alex Shoots Buildings
Das Innere wird von zurückhaltenden Farben geprägt: Linoleum auf Boden und Wänden, ...
Foto: Alex Shoots Buildings
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... Akustikplatten an Decke und Wand.
Foto: Alex Shoots Buildings
... Akustikplatten an Decke und Wand.
Foto: Alex Shoots Buildings
Ein Dorf aus aneinander gesetzten Pavillons. Wände aus Kalksandstein. Raumhohe Glasschiebetüren, die die auf strengem Quadratraster arrangierten Gruppenräume mit dem Garten verbanden. Zeltdächer aus Zink, nach innen raumbildend, die mich meinen Kindergarten als Schlumpfhaus denken ließen. Gern bin ich dort hingegangen, und als der 1973 eröffnete freundliche Bau in der Paderborner Fontanestraße vor ein paar Jahren abgerissen wurde, um einem Neubau Platz zu machen, war ich traurig.
Nicht alle haben gute Erinnerungen an kindliche Architekturerlebnisse. Die Architekten Petr Stolín und Alena Mičeková zum Beispiel haben ihre Kindergartenzeit in düsteren Altbauten zugebracht, die ihnen im Rückblick in keinster Weise adäquat erscheinen – räumlich, maßstäblich, atmosphärisch –, die Spiel und Bewegung nicht anregten, die Phantasie schon gar nicht. Die stattdessen aufs Gemüt drückten. Vor die Aufgabe gestellt, einen städtischen Kindergarten am Ostrand der böhmischen Universitätsstadt Liberec für die Kinder einer geplanten Stadterweiterung zu entwerfen, haben sie sich an diese frühen Eindrücke erinnert, um Ziele für ihre Planung zu formulieren. Das Ergebnis lässt sich seit zwei Jahren begutachten.
Das Projekt entstand aus einem Wettbewerb, zu dem die Stadt Liberec eine Hand voll Büros eingeladen hatte. Für Stolín und Mičeková ist es das erste größere Gebäude, dass sie in zwölf Jahren gemeinsamer Arbeit realisiert haben. Es ging ihnen darum, den Kindern eine Vielfalt an Räumen anzubieten, erzählt die Architektin bei meinem Besuch Anfang Oktober. Sie sollen ihr Haus entdecken können: große und kleine Räume für das Spielen in größeren und kleineren Gruppen, Bereiche für den Rückzug. Räume mit Blick nach draußen, die eine Beziehung herstellen zur Welt der Erwachsenen, aber auch solche, die sich abschotten, vielleicht gar taugen, Geheimnisse zu hüten. Räume, die auffordern, sich durch das Gebäude zu bewegen, hinauf und hinunter, hinein und hinaus. Treppen, Terrassen, Gärten, Gänge, Höhlen, Säle. Raumerfahrungen.
Für den Erwachsenen fällt das Gebäude ein wenig aus der Reihe dessen, was man unter dem Label „Kinderarchitektur“ oft zugemutet bekommt. Es wird umhüllt von einer dünnen Fassade aus Polycarbonat. Ein billiges Material, dass in Tschechien landwirtschaftlich konnotiert ist, etwa für Nutzbauten auf Bauernhöfen Verwendung findet, und hier, wo die Stadt in die Landschaft übergeht, hinausweist in die Welt. Hindurch schimmert ein offensichtlich gegliedertes Inneres. Es besteht aus zwei langen, schmalen Riegeln, für jede Gruppe einer. Unten befinden sich niedrigere Räume mit wenig Außenbezug, oben hohe, helle mit großen Fenstern. Man könnte sagen: Unten wird geruht, oben gelernt. Gespielt werden kann hier wie da. Weich ist das Licht, das hinein fällt, der Polycarbonathülle sei dank. Die Materialien, die sich vom Boden die Wände hoch- und von der Decke hinunterziehen, signalisieren Geborgenheit; einander gegenüberliegende Fenster öffnen die Räume in den Hof, zur Gruppe gegenüber und in die Weite.
Die beiden Riegel bilden einen Hof, der das erste ist, was man betritt: Ein Raum, um sich einzustimmen darauf, gleich der lang vertrauten Spielkameradin oder dem gestern neu gewonnenen Freund gegenüberzustehen. Ins Innere geht es gegenüber, in dem Trakt, der die Gruppenhäuser verbindet und als Speisesaal, als Werk- und Kunstraum fungiert. Die Kinder können bei der Zubereitung der Mahlzeit helfen.
Die Wegeverbindungen sind die größte Stärke des Entwurfs, in Grundriss wie Schnitt. Über eine Treppe kann man vom Hof wie aus den Gruppenräumen aufs Dach des Speiseraums klettern, und von dort geht es noch eine Ebene höher: Ein Kindergarten mit Freiluftbühne, Aussichtsbalkon, Piratenschiffachterdeck – wo sich an einem schönen Abend sogar nichtsahnende Eltern versammeln können. Von hier lässt sich auch der hinter der äußeren Hülle und den Riegeln angeordnete Zwischenraum betreten: Noch so ein unerwarteter Ort mit ganz eigener Stimmung. Dieser lädt zum Rennen ein.
Die Materialien nehmen sich zurück. Das Budget war knapp, aber die Arbeit mit möglichst einfachen Bauelementen habe auch angespornt, erzählt Mičeková. Räumlich blieben sie und Stolin auf vertrautem Terrain: Das Konzept von zwei parallelen Körpern, die einen Zwischenraum fassen, begegnet dem Gast auch in ihrem eigenen Wohn- und Atelierhaus im Nordosten der Stadt.
Die Kinder werden an ihrem ersten Tag eingewiesen, wie sie das Gebäude benutzen können. Welche Erinnerungen mögen sie dereinst haben? Vielleicht diese: „Laufen. Klettern. Rennen. Verstecken. Hell und Dunkel. Hoch und niedrig. Nicht bunt! Farbe haben wir selbst reingebracht und die Bäume drumrum.“
Fakten
Architekten
Petr Stolín Architekt, Liberec
Adresse
Donská 1835, 463 11 Liberec-Vratislavice nad Nisou, Tschechien
aus
Bauwelt 22.2021
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