Kirche in Canitz
Ein Dorf bei Riesa hat seine Mitte verloren: Das Schloss wurde nach dem Zweiten Weltkrieg abgerissen, die Kirche Ende der sechziger Jahre zerstört. Ein Bürgerverein gründete sich 2015, um zumindest das Gotteshaus zurückzugewinnen, und begann mit der Enttrümmerung der Ruine. Architekt Peter Zirkel entschied die anschließende Konkurrenz für die Neugestaltung für sich, die mehr ist als ein Wiederaufbau.
Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin
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Die Dorfkirche von Canitz ist ein im Lauf der Jahrhunderte gewachsenes und wieder geschrumpftes Gebäude – auf Zustand vier darf man gespannt sein.
Foto: Till Schuster
Die Dorfkirche von Canitz ist ein im Lauf der Jahrhunderte gewachsenes und wieder geschrumpftes Gebäude – auf Zustand vier darf man gespannt sein.
Foto: Till Schuster
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Blick von Osten
Foto: Till Schuster
Blick von Osten
Foto: Till Schuster
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Der im Barock angebaute Altarraum dient nun für Freiluftgottesdienste und -taufen.
Foto: Till Schuster
Der im Barock angebaute Altarraum dient nun für Freiluftgottesdienste und -taufen.
Foto: Till Schuster
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Die Ausstattung wurde von den Architekten entworfen ...
Foto: Till Schuster
Die Ausstattung wurde von den Architekten entworfen ...
Foto: Till Schuster
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... und von einem lokalen Tischler gebaut.
Foto: Till Schuster
... und von einem lokalen Tischler gebaut.
Foto: Till Schuster
Das Dorf Canitz liegt zwei Kilometer westlich der kleinen sächsischen Industriestadt Riesa. Wer sagt, dass zu einem Dorf auch eine Kirche gehört, wird in Canitz nichts vermissen. Das ist aber erst seit kurzem so: Erst am 26. Juni hat der Ort seine Kirche zurückerhalten, nach über fünf Jahrzehnten, in denen diese als Ruine herumstand, nachdem sie Ende der sechziger Jahre aufgrund von Baufälligkeit gesperrt und dann eingerissen worden war – der Schutt des Turms lag noch immer im Kirchenschiff, als sich 2015 ein Verein in Canitz für die Wiedergewinnung der Kirche gründete. Dass das Projekt einen erfolgreichen Abschluss gefunden hat, wurde der Öffentlichkeit spätestens am 12. Juli deutlich, als der erneuerten Kirche sogleich eine Anerkennung beim Sächsischen Preis für Baukultur zuteil wurde. Das zeigt, dass es hier um mehr geht als um die Wiederherstellung oder den Wiederaufbau einer Ruine: Es geht auch um bürgerschaftliches Engagement, es geht um die Frage, wie sich das Leben auf dem Land entwickelt, und es geht um die Frage nach der Gestaltungskraft der Gegenwart.
Steht man vor dem Gebäude, lässt sich allgemein an das ökonomisch wie ökologisch sinnvolle Bauen in und mit historischen Resten denken, wie es lange gang und gäbe war, doch auch an prominente Beispiele dafür, etwa von Emil Steffan oder Rudolf Schwarz aus den späten vierziger und frühen fünfziger Jahren, als Architekten wie sie daran gingen, aus und mit den Trümmern, die der Krieg hinterlassen hatte, etwas Neues zu gestalten. Peter Zirkel, der mir die Canitzer Kirche vor der Staatspreisverleihung im Dresdner Kulturpalast zeigt, erzählt, sein Team und er hätten eine Art gesicherte Ruine vorgefunden: das Kirchenschiff nach Osten offen, aber durch ein Notdach geschützt, das, man höre und staune, sogar mit Biberschwanz-Ziegeln gedeckt war. Der Dresdner Architekt konnte das kleine Gutachterverfahren, das die evangelische Landeskirche nach der Beräumung und Sicherung der Ruine für deren Wiederaufbau ausgelobt hatte, mit seinem Vorschlag eines „Neubaus unter Einbezug der historischen Umfassungswände“ gewinnen. Die Bezeichnung trifft den Kern des Projekts ganz gut, verschweigt aber, dass dabei auch mit dem ruinösen Rest der Kirche gearbeitet worden ist.
Auf den ersten Blick fällt die Dreiteilung des Baukörpers auf. Im Westen ist der Stumpf des Turms erhalten; dieser wurde nicht wieder auf alte Höhe gebracht, sondern blieb mit seinem Dach wie vorgefunden. Daran schließt das Schiff der Kirche an – hier wurden die Fenster neu verglast. Hölzerne Laibungen gleichen die Unregelmäßigkeiten des Mauerwerks aus und dienen als Anschlag, der Kämpfer zeigt die Lage der einstigen, nicht erhaltenen Empore an, die U-förmig in den Kirchenraum griff. Als letztes folgt dann, wesentlich breiter, der im Barock errichtete Altarraum. Dieser bildet heute, zum Himmel offen gelassen, einen geschützten Hof – auch ihn in den Kirchenraum einzubeziehen, hätte den Platzbedarf und das Budget überstiegen und war deshalb von vornherein ausgeschlossen. Die Planer ließen die Öffnungen vermauern, legten eine einheitliche Höhe für die Umfassungsmauern fest und gaben ihnen eine schützende Krone aus sächsischem Sandstein. Den massiven Altar, der noch mit den vorgelagerten Stufen erhalten war, gestalteten sie zum schlichten Block um; mit dem gleichen Stein als Abdeckung dient er nun für Taufen unter freiem Himmel. Die von den Architekten vorgeschlagene Schlemme der Außenmauern wurde dagegen nicht umgesetzt zugunsten eines von der Denkmalpflege bevorzugten Glattputzes. Die einheitliche Behandlung der Außenwände aber fasst die drei Teile zusammen zu einem Ganzen, erhält die Wahrnehmung als ein Gebäude.
Größte Zutat des Projekts ist der Abschluss des Kirchenschiffs nach Osten, zum Altarraum hin, an den widersprüchliche Anforderungen gerichtet waren: Einerseits sollte der Sichtbezug zum Altarraum erhalten bleiben, andererseits kam eine bloße Verglasung nicht in Frage, aus gestalterischen Überlegungen, um den Kontrast zum Gebäude nicht zu hart ausfallen zu lassen, wie aus praktischen Gründen: Bei Gottesdiensten, die in der Regel am Vormittag stattfinden, stünde der Pfarrer als dunkle Silhouette im Gegenlicht. Die Architekten ergänzten die Verglasung, eine einfache Pfosten-Riegel-Konstruktion, daher um Lamellen aus Lärchenholz, die sich zur Mitte hin schließen – eine ebenso einfache wie elegante Lösung für beide Anforderungen.
Das Innere wurde mit vorgefundenen Materialien (wie Sandstein für den Boden) und Einbauten aus Holz gestaltet: Fichte für die neue, kleinere Empore, auf der nur der Organist und sein Instrument Platz finden mussten, Esche für die vonden Architekten entworfenen Bänke, den neuen Altar und das Lesepult. Auch kamen zwei der Kunstwerke zurück, die beim Einriss der Kirche in andere Gotteshäuser in der Umgebung gegeben worden waren. Die Architekten wollten keine zu sakrale Stimmung beschwören, so dass der Raum auch für andere Zwecke angemessen ist – Canitz fehlt eine Mitte, eine Art „Dorfgemeinschaftshaus“, und das Gotteshaus könnte zumindest teilweise diese Funktion übernehmen. Aus diesem Grund wurden auch die Bänke nicht im Boden verschraubt, wie von der Kirche eigentlich gewünscht, sondern sind „Möbel“ geblieben, wie es der Bürgerverein vorgeschlagen hatte, da dies eine größere Flexibilität der Nutzung erlaubt. Im Übrigen blieb der Raum so elementar, dass sich der Charakter einer historischen Kirche auch von dieser Seite her einstellt: Jegliche Form von Haustechnik fehlt, abgesehen von Strom, mit dem auch die Sitzbankheizung funktioniert. Ansprüche aus der Energieeinsparverordnung oder dem Brandschutz blieben dem Projekt hingegen erspart: Die schlichte Verbretterung des Westgiebels über dem Turm gilt nicht als thermischer Abschluss des Innenraums.
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