LWL-Museum für Kunst und Kultur von Staab Architekten
In Münster haben Staab Architekten aus Berlin das Landesmuseum mit einem Neubau in den Stadtkörper eingewebt. Das Haus präsentiert sich scharfkantig und durchlässig.
Text: Kasiske, Michael, Berlin
Auf dem Weg zum Landesmuseum überquere ich wie gewohnt den Domplatz zu Münster. Nahe seiner Südwest-Ecke steht unverändert der vor wenigen Jahren renovierte und aufgestockte Altbau von 1906. Dahinter lag bislang versteckt der Eingang zum Museum, nun ragt bis zur Ecke des Platzes ein neuer Baukörper spitz hervor. Seine glatte Oberfläche erscheint nach dem August-Unwetter so frisch, als sollte das Einschneiden in den Stadtraum betont werden. Altbau und Spitze bilden einen überschaubaren Hof, frontal sehe ich eine Tür, die eindeutig nicht der Haupteingang sein kann.
„Abgesehen von Markttagen ist der Domplatz ein beschaulicher Ort“, erläutert der Architekt Volker Staab die Neuausrichtung, „das Leben tobt an der Rothenburg und am Aegidiimarkt. Das war die städtebauliche Erkenntnis.“ Folgerichtig verlegte er den Haupteingang an diese, nach Süden gerichtete Seite; der Straßenraum wird über einen mit Schleppstufen abgetreppten Vorplatz und einen Patio – mittels eines breiten Durchgangs – weit in das Gebäude hineingezogen. Große Fenster im Erdgeschoss locken in die Bibliothek, in das Museumsrestaurant und in den Shop.
Ende 2004 wurden dreißig Architekturbüros zum Wettbewerb um den Museumsneubau eingeladen. Der Altbau war in seiner Gestalt sakrosankt, die übrigen drei Gebäude aus den Sechzigern und Siebzigern standen zur Disposition. Das Museum als Nutzer wünschte neben zeitgemäßen Servicebereichen und angemessenen Raumklimata vor allem großzügige Raumfolgen, um bislang ins Depot verbannte Bestände in einem epochenübergreifenden Zusammenhang präsentieren zu können.
Anders als die übrigen Preisträger, deren Entwürfe sich auf die Architektur der Nachkriegsbauten bezogen, erarbeitete Staab aus Berlin den Neubau unvoreingenommen aus dem städtebaulichen Kontext. Damit fügte er der münsterschen Tradition, eigenständige Bauformen im Sinn der „Collage City“ in den Stadtgrundriss zu integrieren, ein weiteres Exempel hinzu – nach dem Theater (Deilmann, von Hausen, Rave, Ruhnau, 1956), dem Stadthaus II am Roggenmarkt (Deilmann, 1964), der Stadtbibliothek (Bolles Wilson, 1993) und der Diözesanbibliothek (Dudler, 2005). „Das Gebäude insgesamt ist als Großskulptur entworfen“, resümierte das Preisgericht, „der großzügige Maßstab des Gebäudes ist einem Museum angemessen.“
Dazu trägt der Patio bei, der, wie auch der Eingangshof zum Dom, bereits als Raum des Museums erfahren wird, eine Erweiterung, und das nicht nur, weil hier Videoinstallationen und Skulpturen gezeigt werden sollen. Ein dritter, unauffälliger Zugang liegt an der Pferdegasse, genau in der Flucht des Jesuitengangs. „Das war die Idee des Vernetzens und des Öffnens, um die Vielfalt der Sammlung räumlich zu spiegeln“, so Staab, „und um mit der Gastronomie oder dem Buchladen die Schwelle, ins Museum zu gehen, möglichst niedrig zu halten.“ Aus diesem Grund soll das gesamte Erdgeschoss an den Öffnungstagen bis 22 Uhr zugänglich sein. Auch die zentrale Eingangshalle, die als Verteiler zwischen den verschiedenen Funktionen dient und den Empfang aufnimmt. Erst über eine archaisch wirkende, in ihren Ausmaßen jedoch zurückgenommene Treppe gelangt der Besucher hinauf zur Sammlung.
Im ersten Geschoss beginnt der Rundgang, der mit außerordentlicher Selbstverständlichkeit chronologisch die Sammlung erschließt. Freilich besteht auf dem ersten Podest auch die Möglichkeit, die historischen Bereiche auszulassen, über weitere Treppenläufe ins zweite Obergeschoss zu gelangen und direkt mit der Kunst der Gegenwart und der Wechselausstellung zu beginnen. Die Raumfluchten ziehen sich um die Eingangshalle, den Patio und den historischen Treppenraum des Altbaus. „Das System der durch Höfe gegliederten Rundgänge ist inspiriert vom Altbau“, bekennt Staab, „dadurch ist er gleichwertig eingebunden.“
Die Ausstellungsräume unterscheiden sich in ihren Proportionen, sodass ein spannungsvoller Rhythmus von Weite und Enge entsteht. Entsprechend sind die Exponate inszeniert. Dafür zeichnet das Stuttgarter Büro Space 4 verantwortlich. Bemerkenswert ist die Farbgebung, die teilweise grell geraten ist. Da die Räume nicht axial miteinander verknüpft sind, erfährt man beiläufig stets auch ihre Dimension. Als angenehm zerstreuend empfinde ich die sogenannten „Rekreationszonen“, informelle, von Kunst frei gehaltene Verbindungsräume an allen drei Fassaden, von wo aus die Besucher durch große Öffnungen in die Stadt blicken können.
Für regional bedeutende Kunstwerke wurden zwei spezielle Räume geschaffen: Dem ältestem Exponat, dem „Bockhorster Triumphkreuz“ aus dem 12. Jahrhundert, ist ein zweigeschossiger Raum gewidmet. Hier wirkt es, mit einer Größe von mehr als drei Metern, wie an seinem ursprünglichen Ort, in einer Kirche. In einem Raum in der Spitze zum Domplatz, ebenfalls zweigeschossig, werden Figuren vom Portal der Überwasserkirche präsentiert, die im 16. Jahrhundert von den Wiedertäufern gestürzt wurden und über Jahrhunderte in den Wallanlagen vergraben lagen. Sie stehen frei im Raum und treten durch das seitliche Fenster wieder in einen Dialog mit dem Stadtraum. Innerhalb der Ausstellung werden an ausgewählten Punkten Raumdurchblicke gewährt, um verschiedene Epochen miteinander in Korrespondenz treten zu lassen.
Auffallend, freilich auch ein Merkmal Staab’scher Architektur, ist die Glätte der Oberflächen. Die Türen verschwinden in den Laibungen, die Begrenzungen der Räume sind scharfkantig, was zu einer kühlen Ausstrahlung führt und jede anheimelnde oder gar eine wohnliche Atmosphäre unterbindet. Ein Pathos des „Kunst-Raums“ stellt sich ein, wie es Axel Schultes kultiviert hat, in dessen Büro Volker Staab einst tätig war. Im Grundriss erscheinen die Ausstellungssäle wie aus einem Block herausgeschnitten, wobei die scheinbar meterdicken Wände raumhaltig sind und die gesamte Technik verschwinden lassen. Damit wird die Trennung zwischen hehrem Raum und notwendiger Technik vollzogen, womit das Gebäude als Körper und auch als Raum ganz pur erfahren werden kann.
Die Rücknahme der Architektur gegenüber den Exponaten setzt sich in den ausgewählten Materialien fort: Für die Einbauten aus Holz wurde Räuchereiche gewählt, für die Wände im Sockelbereich geschliffener Beton, ansonsten – aus Kostengründen – geschliffener Putz. Außen ist das Museum mit befremdlich erhabenem, beige-grauem Naturstein verkleidet. „Wenn man durch die Stadt geht“, sagt Volker Staab, „sieht man, das die wirklich herausragenden Institutionen immer aus dieser Art Sandstein bestehen.“
Der Westfälische Kunstverein, seit jeher im Haus beheimatet, erhielt separat zugängliche Räume am Aegidiimarkt, wodurch er seine Veranstaltungen nun unabhängig durchführen kann. Mit großen Fenstern präsentiert sich die von Bürgern getragene Institution zur Straße und zum Vorplatz, der von den Passanten schon vor der Eröffnung wortwörtlich in Be-„Sitz“ genommen wird. Mit dem Wandel von der Rück- zur Schauseite erfährt auch der gegenüber liegende Einkaufs- und Wohnkomplex Aegidiimarkt (Dieter und Ulrike Kälberer, 1979) als einer der wenigen Orte in der Innenstadt, an dem nicht auf die historische Parzellenstruktur Bezug genommen wurde, eine unerwartete Aufwertung.
Zugegeben, ich war diesem Neubau gegenüber voreingenommen, denn das „alte“ Landesmuseum war das erste öffentliche Kunsthaus, das ich als Jugendlicher aus freien Stücken besucht hatte. Nach der Wettbewerbsentscheidung hatte ich beim Architekten nachgefragt, ob der Abriss wirklich notwendig sei. Die Antwort war ein mit Funktionalitäten und Dimensionen begründetes entschiedenes Ja. Dem kann ich heute, nach dem Besuch des Neubaus, zweifelsfrei zustimmen.
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