Bauwelt

Quartier Spinelli in Mannheim


Zur Eröffnung der BUGA im April war der erste Teil von Spinelli fertig. Das Quartier erweitert die Stadt zum Park. Nun soll es räumlich und sozial mit einer benachbarten Siedlung verbunden werden.


Text: Yde, Marie Bruun, Berlin


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    Gesamtplan von Hähnig Gemmeke Architekten und Stadtplaner.

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    Gesamtplan von Hähnig Gemmeke Architekten und Stadtplaner.

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    Spinelli mit dem BUGA-Gelände im Vordergrund. Der Grünzug bildet eine Frischluftschneise zur Innenstadt.
    Foto: Nikolay Kazakov

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    Spinelli mit dem BUGA-Gelände im Vordergrund. Der Grünzug bildet eine Frischluftschneise zur Innenstadt.

    Foto: Nikolay Kazakov

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    Mit Spiel- und Sitzmöglichkeiten bilden die grünen, leicht zonierten Gemeinschaftshöfe Treffpunkte und Nischen für die bewohnerinnen und Bewohner.
    Foto: Nikolay Kazakov

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    Mit Spiel- und Sitzmöglichkeiten bilden die grünen, leicht zonierten Gemeinschaftshöfe Treffpunkte und Nischen für die bewohnerinnen und Bewohner.

    Foto: Nikolay Kazakov

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    Eine Abfolge von autofreien Plätzen und Angern öffnet sich zum Park.
    Foto: Nikolay Kazakov

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    Eine Abfolge von autofreien Plätzen und Angern öffnet sich zum Park.

    Foto: Nikolay Kazakov

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    Das Holzgebäude wurde von der Genossenschaft Oikos gebaut und von der PLANWIRKSTATT Karin
    und Ralf Vogel Architekten entworfen.
    Foto: Nikolay Kazakov

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    Das Holzgebäude wurde von der Genossenschaft Oikos gebaut und von der PLANWIRKSTATT Karin
    und Ralf Vogel Architekten entworfen.

    Foto: Nikolay Kazakov

Es weht wie im Western. Steppenhexen, die wie im Film durchs Bild rollen, bleiben aber aus. Das derzeit entstehende Spinelli Quartier macht nicht den Eindruck, eine tote Geisterstadt zu werden. Durch Straßen mit älteren Einfamilienhäusern angekommen, türmt sich das neue Quartier dicht und bunt auf. Das Gebiet ist durch drei zentralen Achsen gegliedert, die die Stadt weiterführen. Ausgehend von diesen, erzeugt ein Netzwerk kleinerer und größerer öffentlicher Räume verschiedene Situationen von Offenheit und Intimität. Vorne öffnet sich das grüne BUGA-Gelände, man wohnt direkt am Park. Zur Stadtkante steigt die Höhe der Häuser, die Bebauung erreicht am Rand die höchste Dichte und damit den höchsten Grünraumbezug für möglichst viele Wohneinheiten.
Das Quartier befindet sich fünf Kilometer nordöstlich des Mannheimer Hauptbahnhofs. Es ist die zweitgrößte Entwicklungsfläche für den Wohnungsbau in Mannheim nach Franklin – beide ehemalige Areale der US Army, die jetzt einer neuen Bestimmung zugeführt werden. Die zwei Konversionsflächen machen zusammen den Stadtteil Käfertal zu dem am stärksten wachsenden Stadtteil Deutschlands. Spinelli Barracks war eine hochversiegelte Stadt in der Stadt, bis sie für die BUGA 2023 umgenutzt wurde. Für das neue Quartier sind im Stadtteil Käfertal Süd 1800 Wohnungen für 4000 Menschen auf 81 Hektar geplant, 73 Prozent der Fläche sollen Grünfläche werden. Eine Grundschule und eine weiterführende Schule sowie drei Kitas und Einkaufsmöglichkeiten soll es geben. Der erste Bauabschnitt, der zur Eröffnung der Bundesgartenschau im April weitgehend fertig stand, wird rund 600 Menschen Wohnraum bieten, die ersten sind schon eingezogen.

Stadtkante

Zwischen dem alten und neuen Quartier treffe ich mich mit Jens Weisener aus der Projektgruppe Konversion vom Fachbereich Stadtplanung der Stadt Mannheim, Sally Below, Projektträgerin des Spinelli FreiRaumLabs, und Jörg Wessendorf, Inhaber von studio wessendorf, das den städtebaulichen Entwurf für Spinelli verantwortet. Hier, an den Quartierseingängen, sind Garagen platziert. Der Autoverkehr wird dadurch direkt abgefangen und nicht ins Quartier geleitet. Der Weg vom und zum Auto wird für die Bewohner durchs Quartier geführt. Sie wollten für Spinelli Parkhäuser, keine Tiefgaragen, erzählt Jens Weisener. Falls sich das Mobilitätsverhalten langfristig ändert, könnten diese umgebaut oder ersetzt werden. Direkt von der Tiefgarage mit dem Fahrstuhl ins Penthouse zu fahren, meint er, trägt zur Anonymität bei. Das wäre nicht das Quartier, das sie planen wollten. Stattdessen sollen Fußgängerbewegungen durch das Quartier angeregt und durch alternative Mobilitätsangebote ergänzt werden.
Das Ziel eines Miteinanders in Spinelli ist im städtebaulichen Rahmenplan von 2018 als „nur bedingt planbar“ beschrieben und seine Umsetzung durch verschiedene Rahmenbedingungen und Bausteine definiert. Eine attraktive Erdgeschosszone zu schaffen, ist dabei eine Komponente, soziale Einrichtungen und Geschäfte sollen fußläufig erreichbar sein, so dass man nicht nur vom Auto abhängig ist. Auf dem zentral gelegenen Quartiersplatz wird es Ladenlokale und Nutzungen wie Fahrradreparatur, kleine Büros, Bäckerei und Apotheke im Erdgeschoss geben. Eine Trasse für die Straßenbahn wird freigehalten. Der Platz ist als Aufenthaltsfläche mit Bäumen und Sitzmöglichkeiten konzipiert.
Ein weiteres Instrument zur Mischung war die kleinteilige Parzellierung der Baufelder, um möglichst unterschiedliche Akteurinnen und Nutzergruppen zu erreichen. Auch im Block wird laut Jens Weisener gemischt, statt ganze Blöcke an einen Investor zu veräußern. Durch Konzeptvergaben der Grundstücke wurde nicht nur die Höhe des Kaufpreisangebots, sondern die Qualität der Bauvorhaben berücksichtigt. Dabei wurde darauf geachtet, wer als Initiator hinter den Projekten steht. Kriterien waren unterschiedliche Wohnformen, günstige Mietwohnungen, soziale und gewerbliche Angebote, Städtebau und Architektur sowie Ökologie und Freiraum. Als Resultat sind Wohnprojekte von verschiedenen Trägern, unter anderem Genossenschaften, entstanden, und nicht nur fünf- bis sechsgeschossige, sondern auch niedrigere und höhere Gebäude. Das Quartier ist typologisch gemischt und die gemeinschaftliche Grünfläche einladend.
Die Architektur scheint nicht im Fokus zu stehen. Mit Bogenfenstern, Gesimsen und Boxartigkeit ist Spinelli architektonisch eher unspezifisch bis enttäuschend. Wichtiger als die Schönheit der Gebäude scheinen andere Aspekte zu sein, die das Leben verschönern: Freiraum, Menschen, Nutzungen. Prioritäten waren ein solider Städtebau, der für langfristige Qualität sorgt, sowie den „sozialen Kit“ zu fördern. Es gelingt deshalb, wie im Rahmenplan vorgegeben, Wohnraumentwicklung mit Freiraumentwicklung zu verzahnen. Die Idee von studio wessendorf – die höchste Baumasse am Rand, zur Kante, und im Quartier große und kleine Plätze und Höfe – trägt. Die Stadtsilhouette zur Kante bewirkt ein räumlich effektvolles Aufeinandertreffen von Urbanität und Landschaft. Mit Gastronomie bespielt, könnte die dort verlaufende Promenade für öffentliches Leben sorgen. Dass die Planer ihr „Jan-Gehl-Städtebau-ABC“ kennen, sieht man auch an dem wohlüberlegten Umgang mit dem Erdgeschoss, der das abgeschirmte Wohnen ermöglicht. Stadträumlich könnte Spinelli gut funktionieren, die durchlässigen, unterschiedlich konfigurierten und ausgestatteten Höfe laden zum Aufenthalt ein.

Quartier statt Siedlung

Bereits im Rahmenplan lautete der Leitsatz: „Quartier statt Siedlung“. Im Vorfeld haben sich die Projektverantwortlichen der Stadt in den letzten Jahren entstandene Neubauquartiere andernorts angeschaut, aber auch Siedlungen. Der Unterschied zwischen Quartier und Siedlung ist für Weisener entscheidend: Siedlung definiert er als eine vorrangig bauliche Maßnahme. Der Anspruch, ein komplexes, lebenswertes Quartier für unterschiedliche Alters- und Nutzergruppen zu initiieren, ist eine zusätzliche Herausforderung. Sogenannte Schlafstädte, die interessant für nur wenige Nutzergruppen wie zum Beispiel Familiengründer sind, führen langfristig zu Problemen. Alt gewordene Siedlungen, in denen Kindergärten leer stehen, zeugen von der Starrheit früherer Konzepte, die sich mit heutigen Lebensentwürfen eher schwer in Deckung bringen lassen. Von solchen Fehlern der Vergangenheit wollte Jens Weisener weg.
Ein Quartier dagegen, meint er, hat eine Seele. Nachhaltig geplante Quartiere integrieren verschiedene Nutzergruppen und Interessen mit all ihren Unterschieden und Ungleichzeitigkeiten. Sie bieten soziale Infrastruktur, Geschäfte und Freizeitnutzungen im öffentlichen Raum, damit man einander begegnet, statt sich nur in die Privatsphäre zurückzuziehen.Gelingt es, Spinelli als gemischtes Quartier zu realisieren? Ohne Wohnungspolitik geht das nicht. Mannheim hat ein eigenes Modell für den preisgünstigen Mietwohnungsbau. Das Mannheimer 12-Punkte-Programm beinhaltet unter anderem eine Sozialquote, laut der dreißig Prozent aller Neubauwohnungen kostengünstig angeboten werden sollen. Das Modell kommt in Spinelli zum Zuge. Eine weitere Vorgabe ist das kleinteilige Mischen, damit keine A- und B-Lagen entstehen. Beispielsweise sind günstige Studentenwohnungen innerhalb eines Blocks mit Wohnungen für Best Ager gemischt.

Welcome into my backyard

Besonders für Spinelli ist die Arbeit mit dem Bestand, nicht im klassischen Sinne der Sanierung eines Baukulturerbes, sondern in Bezug auf die sozialen und räumlichen Ressourcen des Ortes. Mit dem Spinelli FreiRaumLab arbeitet Sally Below zusammen mit der Projektgruppe Konversion der Stadt Mannheim daran, die alte und die neue Nachbarschaft zusammenzubringen. Das Spinelli FreiRaumLab besteht aus der evangelischen und der katholischen Gemeinde in Käfertal, dem Sportverein, der hier seit langem verortet ist, den Wohngruppen, die auf Spinelli gebaut haben, und auch die Verwaltung arbeitet begleitend mit. Das Netzwerk hat das Ziel, seine vorhandenen Räume zukünftig kooperativ zu nutzen. Aus der Analyse der Raumnutzungen und -bedarfe vor Ort ergeben sich Informationen über soziale Notwendigkeiten und Defizite, die in einer Neukonstellation zwischen dem alten und dem neuen Stadtteil bearbeitet werden können.
Sally Below erzählt vom Pionierprojekt, das Gastprojekt der IBA Heidelberg 2022 war und seit Januar 2023 vom Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen im Rahmen der Nationalen Stadtentwicklungspolitik gefördert wird. Spinelli führt die bestehende Siedlungsstruktur weiter. Wo das Quartier jetzt liegt, war für die Alteingesessenen früher das Ende des Stadtteils, die ehemalige Militärfläche. Käfertal-Süd ist eine klassische Zwischenstadt ohne Zentrum, bisher brauchten die Bewohner ein Auto zum Einkaufen. Mit dem neuen Quartier wurde laut Jens Weisener die kritische Masse erreicht, die es wirtschaftlich macht, hier fußläufig erreichbare Läden anzusiedeln, eine Straßenbahnanbindung zu planen, Schulen zu bauen – jetzt entsteht das, was ein Quartier ausmacht.
Umgekehrt erzeugt Spinelli eine Nachfrage nach Räumen, die vielleicht im alten Käfertal bedient werden könnte. Mannheim verliert zahlreiche evangelische und katholische Kirchenstandorte. Unklar ist, was mit den dazugehörigen Gebäuden passiert. Eine evangelische und eine katholische Kirche, beide Ende der 1950er Jahre erbaut und nur wenige hundert Meter von Spinelli entfernt, werden möglicherweise aufgegeben. Gleichzeitig gibt es ein reges Gemeindewesen, das weiterhin Räume braucht. Hierfür sollen neue Konzepte gefunden werden, die es ermöglichen, den Bestand zu erhalten beziehungsweise zu transformieren. Auch Sportflächen und Gemeinschaftsräume im Pflegeheim, im Vereinsheim oder in den Gebäuden der Wohngruppen könnten unterschiedlich genutzt werden. Diese Neudefinition eines sozialen und grünen Zentrums hat das Potenzial, Synergien zu erzeugen. Die Schnittstelle birgt viele Möglichkeiten der Kooperation; die Nachbarschaften könnten zusammenwachsen. Es geht demnach um eine prozessuale Planungskultur, die die räumlichen Überschüsse kartographiert und mit sozialem Ressourcenmanagement verbindet, – was durchaus auch eine ökologische Dimension hat. Ein State of the Art heutiger Quartiersentwicklung – nicht mit einem NIMBY-, sondern mit einem „Welcome into my backyard“-Ansatz.




Adresse Spinelliplatz 4, 68259 Mannheim


aus Bauwelt 13.2023
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