Bauwelt

Museum Zwangsarbeit im Nationalsozialismus in Weimar


Am 8. Mai hat das „Museum Zwangsarbeit im Nationalsozialismus“ eröffnet, das dieses dunkle Kapitel deutscher Geschichte verstärkt ins öffentliche Bewusstsein tragen will.


Text: Kil, Wolfgang, Berlin


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    Weimars größte urbane Erblast: das Gauforum, Blick nach Osten
    Foto: Wikimedia Commons/ Raimond Spekking

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    Weimars größte urbane Erblast: das Gauforum, Blick nach Osten

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    Der Südflügel des Gauforums, geplant als Dienstsitz des Gauleiters, beherbergt heute das Museum Zwangsarbeit. Davor der Glockenturm als „Wegweiser“.
    Foto: Claus Bach, Weimar

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    Der Südflügel des Gauforums, geplant als Dienstsitz des Gauleiters, beherbergt heute das Museum Zwangsarbeit. Davor der Glockenturm als „Wegweiser“.

    Foto: Claus Bach, Weimar

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    Der Portalrisalit mit „Führerbalkon“ ist Eingang für Museum und Landesverwaltungsamt. Monumental geplant, ...
    Foto: LVA/Thomas Weiss

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    Der Portalrisalit mit „Führerbalkon“ ist Eingang für Museum und Landesverwaltungsamt. Monumental geplant, ...

    Foto: LVA/Thomas Weiss

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    ... heute funktionslos: die Loggia der Südfassade.
    Foto: LVA/Thomas Weiss

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    ... heute funktionslos: die Loggia der Südfassade.

    Foto: LVA/Thomas Weiss

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    Zu Ehren des Buchenwald-Häftlings Jorge Semprún – das Dach der Tiefgarage als „Anti-Platz“. In heißen Sommern eher metaphorisch: „Verbrannte Erde“
    Foto: Wolfgang Kil (2018)

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    Zu Ehren des Buchenwald-Häftlings Jorge Semprún – das Dach der Tiefgarage als „Anti-Platz“. In heißen Sommern eher metaphorisch: „Verbrannte Erde“

    Foto: Wolfgang Kil (2018)

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    Festsaal des „Reichsstatthalters“, restauriert in der Fassung als sowjetischer Kinosaal, vor Aufbau der Ausstellung.
    Foto: Junk & Reich

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    Festsaal des „Reichsstatthalters“, restauriert in der Fassung als sowjetischer Kinosaal, vor Aufbau der Ausstellung.

    Foto: Junk & Reich

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    Museumsebene mit Wegeführung durch die Ausstellung.
    Foto: gewerkdesign/Christoph Musiol

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    Museumsebene mit Wegeführung durch die Ausstellung.

    Foto: gewerkdesign/Christoph Musiol

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    Die Display-Elemente der Wanderausstellung schaffen auch im Museumssaal ihr komplett eigenes Raumgefüge.
    Foto: gewerkdesign/Christoph Musiol

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    Die Display-Elemente der Wanderausstellung schaffen auch im Museumssaal ihr komplett eigenes Raumgefüge.

    Foto: gewerkdesign/Christoph Musiol

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    Die Innenansichten stammen von früheren Aufstellorten.
    Foto: gewerkdesign/Christoph Musiol

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    Die Innenansichten stammen von früheren Aufstellorten.

    Foto: gewerkdesign/Christoph Musiol

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    Im neu eröffneten „Museum Zwangsarbeit im Nationalsozialismus“in Weimar hat die Wanderausstellung zur Zwangsarbeit eine dauerhafte Bleibe gefunden.
    Foto: gewerkdesign/Christoph Musiol

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    Im neu eröffneten „Museum Zwangsarbeit im Nationalsozialismus“in Weimar hat die Wanderausstellung zur Zwangsarbeit eine dauerhafte Bleibe gefunden.

    Foto: gewerkdesign/Christoph Musiol

Mehr als 20 Millionen Menschen mussten während des Zweiten Weltkriegs im Deutschen Reich Zwangsarbeit leisten. Diese massenhafte Ausbeutung wurde nach dem Krieg nicht als Verbrechen anerkannt, erst sechs Jahrzehnte später sind noch lebende Opfer mit geringen Geldzahlungen abgefunden worden.
Weimar, der Wohn- und Wirkungsort von Goethe, Schiller, Herder, Cranach, Nietzsche, Liszt und weiterer Kulturgrößen, gilt als Deutschlands klassischer Musenhof. Dank Henry van de Velde und den Meistern des Bauhauses empfiehlt sich die beschauliche Residenzstadt zudem als ein Ursprungsort der globalen Moderne. In schwer begreiflichem Kontrast zu diesem Selbstbild einer Stätte des Geistes und der Avantgarden stehen die Hinterlassenschaften der zwölfjährigen Nazi-Herrschaft, von denen das Konzentrationslager Buchenwald die Außenwahrnehmung Weimars am nachhaltigsten prägt. Doch Adolf Hitler, der der Stadt mit besonderer Aufmerksamkeit anhing, bescherte ihr auch zahlreiche Offizialbauten1, unter denen ein Ensemble bis heute die Weimarer Stadtplanung vor schier unlösbare Probleme stellt – das Gauforum.

Der Ort

Um den NS-Führerstaat mit gehörigem Pomp in Szene zu setzen, sollten in allen Verwaltungszen-tren des Reiches inszenierte Stadträume für propagandistische Massenveranstaltungen entstehen, mit jeweils einer großen Versammlungshalle, einem riesenhaften Aufmarschplatz umstellt von Bauten für verschiedene Parteigliederungen sowie einem Glockenturm als neue Stadtdominante. Von zwölf bekannten Planungen wurde das von Hermann Giesler entworfene Weimarer Gauforum als einziges weitgehend realisiert.
Ab 1937 wurden für die Großbaustelle nördlich der Weimarer Innenstadt alte Parkanlagen sowie historische Wohnquartiere geschleift.2 Unter Einsatz von Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen dauerten die Baumaßnahmen bis weit in den Kriegsverlauf, erst 1944 wurden sie eingestellt. Bei Kriegsende war keines der geplanten Bauwerke vollendet, die monotonen Büroriegel standen unverputzt. Von der „Halle der Volksgemeinschaft“ ragten die Spannbetonbinder wie ein Riesengerippe gen Himmel. Im Gebäude des „Reichsstatthalters“ hatte der Innenausbau gerade begonnen. Doch die allgemeine Raumnot nach dem Krieg zwang zu sofortiger Nutzung. Aus dem „Platz Adolf Hitlers“ wurde umgehend ein „Karl-Marx-Platz“, 1946 zog die sowjetische Militärverwaltung Thüringens in die notdürftig hergerich-teten Rohbauten. Sie blieb dort bis 1949 und ließ im Südgebäude unter anderem den Empfangssaal des Gauleiters zu einem Kino mit Balkon und Bühne ausbauen. Anschließend wurden die Bü-robauten für zwei Fachschulen, ein Internat sowie die Bibliothek der Architektur-Hochschule (heute Bauhaus-Universität) genutzt. Aus dem riesigen Hallengerippe wurde, nach vergeblichen Rückbauversuchen, ein Handelslager. Solch „normalisierender“ Dauerbetrieb ließ für ideelle Auseinandersetzungen mit dem verstörenden Erbe keinen Raum. Zu DDR-Zeiten wurde der bedrückende Unort ignoriert, seine Entstehungsgeschichte schlicht verdrängt. In Weimarer Stadtplänen der Sechzigerjahre trug die Platzfläche nicht einmal einen Namen.
Seit der politischen Wende 1990 unterstehen sämtliche Bürotrakte des Gauforums dem Thü-ringischen Landesverwaltungsamt. Weil inzwischen unter Denkmalschutz gestellt, wurden sie nach der Jahrtausendwende mit routinierter Sorgfalt saniert.3 In die „Halle der Volksgemeinschaft“ nistete sich 2005 eine Shoppingmall ein und vereinnahmte die gigantische Aufmarschfläche durch eine Tiefgarage. Deren umzäuntes Rasendach trägt seit 2017 die Bezeichnung Jorge-Semprún-Platz, benannt nach dem spanisch-französischen Schriftsteller (1923–2011), der als Resistance-Kämpfer im KZ Buchenwald inhaftiert war.

Die Ausstellung

Um noch lebende Opfer der NS-Gewalt vorrangig in Osteuropa und Israel finanziell zu entschädigen und die Erinnerung an das massenhafte Unrecht für kommende Generationen wachzuhalten, war im Jahr 2000 auf Beschluss des Bundestages die „Stiftung Erinnerung, Verantwortung, Zukunft“ gegründet worden.4 Deren Fördermittel ermöglichten eine Wanderausstellung zum Thema der NS-Zwangsarbeit, die 2010 zuerst in Berlin, danach in Moskau, Dortmund, Warschau, Prag, Hamburg und Steyr zu sehen war. Um dem Tournee-Projekt danach eine dauerhafte Heimstatt zu geben, bot sich das Gauforum in Weimar in besonderer Weise an, hatte doch der hier amtierende Thüringer Gauleiter Fritz Sauckel als „Generalbevollmächtigter für den Arbeitseinsatz“ die Deportation von Millionen Menschen zur Zwangsarbeit zu verantworten.5 Nachdem der Freistaat Thüringen für die Baukosten sowie die Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora als Träger der Ausstellung sich dem Projekt angeschlossen hatten, konnten 2020 die Bauarbeiten im Südgebäude beginnen.
Dessen 135 Meter lange Fensterreihe wird mittig durch einen flachen Eingangsrisalit mit „Füh-rerbalkon“ unterbrochen. Hier waren vom Giesler-Plan hinter großem Foyer protzige Büros für „Reichstatthalter“ Sauckel vorgesehen. Ein anschließender Saal ragt mit kolossaler Rundbogenloggia über die rückwärtige Gebäudeflucht hinaus. Diese südseitige „Vorfahrt“ wurde nie realisiert, wodurch nur eine surreale Machtkulisse übrig blieb. Die einst für den Gauleiter gedachten (von diesem aber nie genutzten) Dienst- und Versammlungsräume wurden zur Aufnahme des „Museums Zwangsarbeit im NS“ bestimmt, wobei zwischen zwei Räumen für Prolog und Epilog die vorhandene Wanderausstellung im einstigen Oberlichtsaal Aufstellung fand. Stellwände, Displays und Vitrinen bilden darin einen mäanderförmigen Durchgangsweg, dessen Materialfülle ein gehöriges Quantum Besuchszeit erfordert. Im Schatten der didaktisch eindrucksvollen Darstellung der NS-Verbrechen bleibt die Restaurierung des sowjetischen Kommandantur-Kinos leidlich unbeachtet – sehr zum Bedauern der Denkmalpfleger, die die Zeitschichten des Or-tes, hier konkret die frühen Nachkriegsumbauten, gern sichtbarer gezeigt hätten. Andere „originale“ Sachzeugnisse hat der nur als Rohbau überlieferte NS-Komplex kaum zu bieten. Ein paar gesicherte bauzeitliche Türrahmen oder Wandverkleidungen aus Travertin in den Flu-ren des Landesverwaltungsamtes sind für Museumsgäste nicht zugänglich.
Die miserable Qualität der baulichen Grundsubstanz hat die jetzigen Umbauten mit einem enormen Arbeits- und Kostenaufwand belastet. Fast alle Geschossdecken des Museumsbereichs waren statisch zu ertüchtigen, der Erhalt der Glassteindecke über dem Kinosaal erforder-te einen zusätzlichen Dachstuhl. Den schmuck-los neutralen Funktionsräumen des Museums sind all die baulichen Mühen nicht mehr anzusehen. Auch die von manchen vielleicht erwartete Aura eines historisch kontaminierten Or-tes sucht man hier vergebens.6

Herausforderungen

Drei Tage vor Eröffnung der Ausstellung wurden am trutzigen Eckturm des Gauforums7 noch zwei vertikale Schriftzeilen als Hinweis auf das neue Museum angebracht. Abgesehen von solch fragwürdigem Umgang mit einem Denkmal der Zeitgeschichte, verweist diese Beschil-derung auf zwei grundsätzliche Probleme, die auch nach der Installierung der Bildungsstätte weiterhin einer Klärung bedürfen.
Am Fuße des ansonsten funktionslosen Glockenturms informiert seit Jahren eine kleine, sehr akkurate Ausstellung über die Gesamtgeschichte des Gauforums – eine Auskunft, die man weder im Zwangsarbeiter-Museum erhält, noch sonst irgendwo in Weimars „Quartier der Moderne“, jener spannungsvollen Nachbarschaft zwischen Bauhaus und NS-Größenwahn.8 Obwohl es Verbindungsflure im Gebäude gibt, widersetzt sich das Landesverwaltungsamt bislang jedem Ansinnen, zwischen Museum und Turm einen direkten Publikumsweg zu öffnen. Schwer verständlich, wieso ausgerechnet eine Institu-tion des Freistaats die Turm-Ausstellung ignoriert, die vor Augen führt, warum ein Erinnern an die Schande der NS-Zwangsarbeit zweifelsfrei nach Weimar gehört.
Die (behelfsmäßige?) Beschriftung des Turms verweist aber noch auf ein anderes Problem: Dieser Blickfang wird gebraucht, weil sonst niemand das neue Museum findet. Bislang führt dorthin bloß eine müde asphaltierte Feuerwehrgasse. Selbst fünf verstreute Info-Stelen am Wegesrand verlocken nicht wirklich zu einem Eingangsportal, an dem ein Kulturort von euro-päischem Rang sich wie ein Untermieter annonciert.
Auch dieser unhaltbare Zustand ist einer Entscheidung des Landesverwaltungsamtes geschuldet. Das erlaubte vor etwa zwanzig Jahren unter der Aufmarschfläche eine riesenhafte Tiefgarage, auf deren Dach ein „Anti-Platz“ entstehen sollte: begrünt, aber durch breite Deckenspalten rundum unbetretbar – wie es hieß, um „politischem Missbrauch“ vorzubeugen. Die schon damals umstrittene Maßnahme hat seitdem jede profane oder experimentelle Nutzung des „toxischen“ Plateaus verhindert. Doch ohne dessen Rückgewinnung für die Stadt bleibt der kahle Ort im respektheischenden Gestus seiner Schöpfer gefangen. Wie sehr die umzäunte Zone urbane Interventionen verhindert, zeigt das Ausbleiben jeglicher Gestaltungsidee vor dem Museumseingang. Aber müsste im großen faschistischen Raumtheater den Opfern heute nicht mehr zustehen als ein nebenseitiger Verwaltungseingang?

1 Der Stadtplan „Weimar im Nationalsozialismus“ verzeichnet 35 historisch relevante Adressen.
2 Der Abriss von 150 Häusern mit 445 Wohnungen und 52 Läden wurde als „Maßnahme zur Altstadtgesundung“ begründet.
3 Durch unterschiedliche Farbgebung der Gebäude sollte die monumentale Geschlossenheit und damit „die dunkle Vergangenheit des Denkmals“ gebrochen werden.
4 Für die Stiftung wurden fünf Milliarden Euro jeweils zur Hälfte vom Bund und einem Initiativkreis der Industrie aufgebracht. Mit Erhalt der Einmalzahlung verzichteten Empfänger auf alle weiteren Forderungen.
5 Fritz Sauckel wurde als ein Haupttäter des NS-Regimes in Nürnberg verurteilt und 1946 hingerichtet.
6 Wegen der schematischen Raumaufteilung liegt das eigentliche „Gauleiter-Büro“ außerhalb des jetzigen Museums, es wird weiterhin vom Landesverwaltungsamt im normalen Dienstbetrieb genutzt.
7 Auch der von Giesler geplante Turm wurde nie fertig gebaut, der jetzige Dachabschluss ist eine freie Gestaltung im Rahmen der Sanierung des Gesamtkomplexes.
8 Ausführlicher hierzu: „Moderne in Weimar, die ganze Geschichte“ in Bauwelt 10.2019



Fakten
Architekten ARGE Junk & Reich/ Hartmann + Helm, Weimar
Adresse Jorge-Semprún-Platz 2, 99427 Weimar


aus Bauwelt 12.2024
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