Neues Albertinum in Dresden
Die Landeshauptstadt kann sich über einen neuen öffentlichen Raum freuen. Mit dem Vorschlag, das Depot- und Werkstattgebäude der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden als Hofüberdachung des Albertinums auszuführen, hat Volker Staab einen beeindruckenden städtischen Innenraum geschaffen – und die Probleme des Gebäudes handstreichartig gelöst.
Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin
„Sehen Sie, wir haben hier eine Treppe gebaut.“ Mit Understatement führt Volker Staab den Besucher in die Halle des von seinem Büro für die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden umgebauten Albertinums. Zwar ist besagte Treppe ein wichtiges Element dieses Projekts – sie ist aber bei weitem nicht seine Essenz. Die Essenz dieses Um- und Erweiterungsbaus erblickt der Besucher sowohl vom alten Haupteingang des Albertinums an der Brühlschen Terrasse als auch vom neuen Haupteingang am tiefer gelegenen Georg-Treu-Platz: die gewaltige Halle, in die sich der ehemals himmeloffene Hof des Ausstellungsgebäudes verwandelt hat. Die einläufige Treppe an der Nordseite der Halle ist das verbindende Glied zwischen diesen beiden Zugängen, welches eine neue, öffentliche Wegeverbindung schafft, für deren Nutzung niemand eine Eintrittskarte lösen muss. Was aber diesen Weg überhaupt erst möglich macht, hängt unsichtbar ganz oben über der Halle: der brückenartig den Raum überspannende Neubau für die Depots und Werkstätten, die sogenannte Arche. Nur, wer das neue Albertinum mit seinem überwundenen Vorzustand vergleicht, kann würdigen, was das Büro Staab hier geleistet hat: Die vielen Sackgassen und Umständlichkeiten der Besucherführung sind passé, der Besucher kann den Hof nun in jedem Geschoss umrunden. Man erinnere sich, was etwa jenen erwartete, der vordem die Skulpturen in der „Antikenhalle“ an der Salzgasse sehen wollte: Vom Eingang an der Brühlschen Terrasse ging es erst einmal nach unten und dann durch einen engen Tunnel, der den Kunstfreund wie durch eine Raubtierschleuse sicher über den der Anlieferung überlassenen Hof auf die andere Seite des Komplexes führte. Heute lädt das Podest der Freitreppe erst einmal zum staunenden Blick ein, bevor man mit einer Wendung nach links die Treppe hinab schreitet und nach einer neuerlichen Kehre diagonal die ganze Halle durchmessend besagten Saal erreicht. Welch eine Inszenierung! Über 120 Jahre mussten vergehen, bis Funktion und Gestalt des Gebäudes zueinander gefunden haben und damit auch ein Erleben der heterogenen, über die Jahrhunderte entstandenen Gesamtanlage ermöglichen. Das Albertinum ist nämlich nicht der Neorenaissance-Großbau, für den man es auf den ersten Blick halten mag – ein guter Teil des Gebäudes ist „richtige“ Renaissance: Untergeschoss und Teile des Erdgeschosses des 1559–63 errichteten Zeughauses blieben erhalten, als es 1883–87 anlässlich der Umnutzung zum Museum für die Skulpturensammlung aufgestockt wurde. Kriegszerstörung, Wiederaufbau und die Unterbringung weiterer Teile der Kunstsammlungen, etwa der Preziosen des „Grünen Gewölbes“, brachten in den fünfziger und sechziger Jahren weitere Ein- und Umbauten mit sich. Die neue Übersichtlichkeit und Großzügigkeit ist somit ein Wunder und ein Glück, nicht zuletzt wenn man sich erinnert, welche Katastrophe den Anlass für dieses Projekt gegeben hat – und welche Konsequenzen ursprünglich daraus gezogen werden sollten.Die Flut Dienstag, 20. August 2002: Geduldig stehen die Dresdner Schlange vor dem Albertinum, welches als erste Kulturstätte der Landeshauptstadt nach dem Hochwasser provisorisch und mit freiem Eintritt öffnet, um Mut zu spenden: Seht, die Schäden an den Gebäuden mögen immens sein – die Kunstschätze aber sind gerettet. 9,40 Meter hoch hatte noch drei Tage vorher die Elbe in der Altstadt gestanden, der höchste je in Dresden gemessene Pegel. Nun liegen, stehen und lehnen 11.000 aus den überschwemmten Kellern gerette Bilder und Skulpturen im ganzen Haus verteilt, und allen ist klar, dass diese Schätze nicht in die Keller zurückkehren dürfen, um nicht noch einmal in derartige Gefahr zu geraten. Die Lösung lag damals nahe: ein neues Depotgebäude, für das im Hof doch reichlich Platz war. Die Forderung der Denkmalpflege, die Trauflinie des Bestandes nicht zu überschreiten, hätte zusammen mit der erforderlichen Hauptnutzfläche von rund 3000 Quadratmetern allerdings bedeutet, dass rund die Hälfte des Hofs überbaut worden wäre. Volker Staabs Entscheidung, sich im Verhandlungsverfahren über diese Forderung hinwegzusetzen und die geforderten Flächen in einer raumhaltigen Überdachung des Hofs zwischen Traufe und First unterzubringen (Bauwelt 40–41.04), lieferte nicht nur ein eindrucksvolles Sinnbild für die Aufgabe, die Kunstwerke hochwassersicher zu lagern, sie lieferte auch die Chance, den bis dato nur mit untergeordneten Nutzungen belegten Hof zu einem erleb- und nutzbaren öffentlichen Raum werden zu las sen, der sich einreiht in die öffentlichen Höfe der Stadt, wie sie sich etwa im Zwinger und im Residenzschloss finden. Sie bescherte dem Projekt allerdings auch eine Klage des zweitplatzierten Architekten Stephan Braunfels, welcher die Vorgabe der Denkmalpflege als K.-o.-Kriterium missverstanden hatte und den Siegerentwurf ausgeschlossen sehen wollte.Die Eleganz des Unsichtbaren Doch zurück zur Architektur. Der durchaus gewaltige Stahlberg, der über dem Kopf des Besuchers installiert wurde – 800 Tonnen wiegt die Konstruktion, 2700 Tonnen das komplette Depotgebäude –, ist an keiner Stelle zu ahnen. Seine Lasten konnten nicht auf dem Bestand aufgelagert werden; sie werden über stählerne, ausbetonierte Stützen abgetragen, die in den Wänden an den Schmalseiten des Hofes versteckt wurden, und über eine Wandscheibe, die die Gewölbe des Foyers am Georg-Treu-Platz vor den von oben kommenden Kräften schützt. (zum Tragwerk siehe auch Seite 19)Umgekehrt ist oben, in den Werkstätten und Ateliers, aber auch nichts von der großen Halle unter dem Fußboden zu spüren; die anfängliche Skepsis einiger Mitarbeiter vor dem Arbeiten „in der Luft“ sei allgemeiner Akzeptanz gewichen, resümiert Volker Staab. Tatsächlich stellt sich dort oben keinerlei Unsicherheit ein, da weder eine Blickbeziehung in die Halle unter den Füßen besteht noch irgendein anderes „Brückengefühl“, etwa durch ein sanftes Schwingen, aufkommt. Dabei ist die Konstruktion des Fachwerkträgers sehr wohl präsent; man merkt, dass man sich hier in einem besonderen Bauwerk aufhält – vor allem in den niedrigen, tageslichtlosen Depots mit ihren stählernen Vertikalregalen und den wuchtig ummantelten Streben des Fachwerkträgers. Jene Räume aber sind für den „normalen“ Besucher unzugänglich.Dieser hat freie Wahl, was er sich in welcher Reihenfolge anschauen möchte. Wer aus Richtung Frauenkirche ins Albertinum kommt, wird vermutlich erst einmal durch ein neues Fenster einen Blick in die „Antikenhalle“ werfen und dann staunend den Hof betreten. Die Unterseite des Brückenbauwerks sollte ursprünglich mit einer Lichtdecke verkleidet werden. Dafür war das Budget zu knapp. Stattdessen wurde raumseitig eine in Rahmen gespannte, mikroperforierte Kunststofffolie montiert, durch die das Licht auf eine darüber angeordnete reflektierende Folie trifft und zurück strahlt. Der Effekt ähnelt dem einer „gedimmten“ Lichtdecke. Quer durch den Hof geht es über die neue Treppe dann ins mittlere Geschoss. An die beiden historischen Ausstellungssäle zur Brühlschen Terrasse, den Mosaiksaal und den Klinger-Saal, schließen sich jeweils an den Schmalseiten kleine Schaudepots an; unausgebaut, wurden sie einfach schwarz gestrichen – die Minimalvariante, wenn das Budget knapp ist. An dieser Stelle, nur zum Vergleich: Das Albertinum ist ähnlich groß wie das Neue Museum in Berlin, doch während dort 240 Millionen Euro verbaut wurden (Bauwelt 13.09), musste man sich hier mit 45 Millionen bescheiden. Im Südflügel liegt der neue Wechselausstellungssaal. Seine Konstruktion zeigt die Merkmale industrieller Bauweise des 19. Jahrhunderts: guss-eiserne Stützen und Kappendecken. Die Galerie „Neue Meister“ im Obergeschoss blieb weitgehend unverändert. Hier bestand bereits vor dem Umbau die Möglichkeit, den Hof einmal zu umrunden, auch wenn dem Besucher kein Blick hinein gewährt wurde. Die Eingriffe beschränken sich auf neuen Parkettboden und Klimatechnik, die sich mit Vouten zu erkennen gibt – vorher reichte die Lichtdecke von Wand zu Wand. Subtil wirkt der neue Anstrich der Wände, die sich, der Chronologie der Hängung folgend, allmählich aufhellen – vom Grau der Romantik ins Weiß der Gegenwart.
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