Bauwelt

Palast der Elektrischen Betriebe in Prag


Palác elektrických podniků – in Prag-Holešovice liegt ein Prachtstück der tschechoslovakischen Moderne. Wo einst strombetriebene Haushaltsgeräte für probat erachtet und Fahrkarten verkauft wurden, entsteht nun Werbung.


Text: Landes, Josepha, Berlin


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    Hinten Goldenes Prag, vorn Bubenská; der Bahnhof Bubny, in den 40er Jahren Ausgangspunkt der Deportationen, ist nah.
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    Hinten Goldenes Prag, vorn Bubenská; der Bahnhof Bubny, in den 40er Jahren Ausgangspunkt der Deportationen, ist nah.

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    Um den Palast der Elektrischen Betriebe kulminiert die Moderne.
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    Um den Palast der Elektrischen Betriebe kulminiert die Moderne.

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    Herzstück des Komplex‘ ist sein Atrium. Im Mittelteil und in den seitlichen Flügeln liegen 5 Büroetagen über­einander.
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    Herzstück des Komplex‘ ist sein Atrium. Im Mittelteil und in den seitlichen Flügeln liegen 5 Büroetagen über­einander.

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    Sie sind u.a. über eine Freitreppe vis-à-vis des Haupteingangs erschlossen.
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    Sie sind u.a. über eine Freitreppe vis-à-vis des Haupteingangs erschlossen.

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    Die rückwärtige, doppelte Glasfassade war die erste ihrer Art in der Tschechoslovakei.
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    Die rückwärtige, doppelte Glasfassade war die erste ihrer Art in der Tschechoslovakei.

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    Seinerzeit funktionierte das Arbeiten der städtischen Angestellten in Parzellen­büros.
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    Seinerzeit funktionierte das Arbeiten der städtischen Angestellten in Parzellen­büros.

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    Heute arbeiten die Medienschaffenden in Großraumbüros.
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    Heute arbeiten die Medienschaffenden in Großraumbüros.

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    Auf der Galerie ist Schwindelfreiheit nötig – Blick von Etage 3 ins Atrium und auf die Freitreppe. Neben den Paternostern schließen die Flure der Büroflügel an.
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    Auf der Galerie ist Schwindelfreiheit nötig – Blick von Etage 3 ins Atrium und auf die Freitreppe. Neben den Paternostern schließen die Flure der Büroflügel an.

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1918 wurde in Prag die Tschechoslowakische Republik ausgerufen. Dieser, nach dem Ersten Weltkrieg aus dem Habsburger Reich hervorgegangene, erste Nationalstaat der Tschechen und Slowaken war zugleich ein Vielvölkerstaat, an dem auch Deutsche, Ungarn, „Ruthenen“, Juden, Polen und weitere Minderheiten teilhatten. Er währte zwanzig Jahre – bis 1938, als die Verfasser des Münchner Abkommens Nazi-Deutschland zugestanden, sich die Sudetendeutschen Gebiete des Territoriums einzuverleiben. Es folgte die „zweite Republik“, bald schon unter Deutscher Besatzung, 1939 die Formaldefinition als „Protektorat Böhmen und Mähren“, dann der zweite große Krieg und die den Besatzern ganz eigenen Strategien des Mordens. Nach der „Befreiung“ durch Sowjetische Truppen kam 1945 zunächst der von den Deutschen abgesetzte Präsident Edvard Beneš zurück in seine Position. Von 1960 bis Ende der Achtzigerjahre sollte jedoch der Realsozialismus in der – nunmehr ČSSR – tonangebend sein. Seit 1993 existieren die Staaten Tschechien und Slowakei separat. Architekt Marek Tichý sagt im Juni 2023: „Wir suchen unsere Geschichte.“
Tichý hat mit seinem Team von TaK Architects eines der Prachtstücke der zwei „goldenen“ Jahrzehnte, jener ersten Republik – první republika – instandgesetzt: den Palast der Elektrischen Betriebe – Palác elektrických podniků – im Prager Stadtteil Holešovice. Das schwer am Moldau-Ufer liegende, funktionalistische Bürogebäude entstand zwischen 1930 und ‘35 nach einem 1926 gewonnenen Wettbewerb der zu jenem Zeitpunkt, mit knapp dreißig Jahren, außerordentlich jungen Architekten Adolf Benš und Josef Kříž. Benš zeichnete später verantwortlich für das erste Terminal des Prager Flughafens. Für das Projekt erhielt er auf der Pariser Weltausstellung 1937 die Goldmedaille. Kříž war 1936 als Teil des Architekturteams mit der Gestaltung der Olympischen Sommerspiele in Berlin involviert. Viel mehr ist über sie schwer in Erfahrung zu bringen.
Ihr gemeinsames Hauptwerk und seine Entwicklung stehen stellvertretend für die moderne Geschichte des Landes. Es bildet ab, wie der kulturelle Aufschwung jener Zeit darauf beruhte, Zweifel erst hinter Visionen zu stellen. Die progressive Stellung der Tschechoslowakei als Architektur- und Designstandort datiert auf diese erste Republik, was nicht zuletzt das Unter­nehmen Bat’a mit seiner Arbeiterstadt in Zlín und hochbaulichen Projekten ebenda, wie auch in Prag, verdeutlicht. Junge Architekten kamen zum Zug und warfen neugierige Blicke nach Frankreich – Le Corbusier –, Deutschland – Bauhaus – und in die Niederlande – De Stijl. Auch während des Kalten Krieges blieb die Gestaltungsqualität jedoch hoch; eine Tendenz, die sich von Öffent­lichen Bauten bis ins Produktdesign zieht. Allein die Prämissen der Politik boten Grenzen. Ganz vergessen war die Geschichte also nie, und ebenso wenig losgekoppelt von globalen Tendenzen. Metabolismus und Postmoderne finden sich in Prag zum Beispiel in Form der 1983 errichteten Nova Scéna von Karel Prager.
Doch bleiben wir flussabwärts: Der Palast der Elektrischen Betriebe ist ein gestaffelter Baukörper, der aufgrund seiner mit liegenden, fast weißen Kacheln verblendeten Fassade die Anmutung einer aus Würfelzucker geschichteten Skulptur hat. Im Krieg waren die Kacheln geschwärzt worden, um das Gebäude gegen Luftangriffe zu tarnen. Erst später wurden sie wieder durch helle Baukeramik ersetzt. An der Ostseite flankiert den Palast die Bubenská, eine Hauptverkehrsader, die jenseits des Wassers als Wilsonova zum Hauptbahnhof führt. Planungen, den Verkehrsknoten am südlichen Eingang nach Holešovice neu zu ordnen und zu beruhigen, liegen vor, auch weil gegenüber dem Palast für Elektrische Betriebe bis 2032 die neue Moldau-Philharmonie nach Plänen von BIG entstehen soll (Bauwelt 15.2022).
Bis ihn 2014 die CPI Group als Erbe des bisherigen Eigentümers ORCO übernahm, war der Palast der Elektrischen Betriebe jahrelang nur noch interimsweise genutzt worden. Zum Teil hatten ihn Künstler und Künstlerinnen bespielt – Holešovice ist ein kleines Mekka für Freigeister. Unterdessen institutionalisiert sich die Kunstszene vor Ort. Ein ähnlich prägnanter Baukörper, der zwischen 1925 und ‘28 nach Plänen von Josef Fuchs und Oldřich Tyl errichtete Messe­palast, steht nur zwei Straßen vom Palast der Elek­trischen Betriebe entfernt und beherbergt heute einen Teil der Nationalgalerie. Jenseits der Bubenska und der Gleise befindet sich das Zen­trum für Zeitgenössische Kunst, DOX, und auch die für „Art Districts“ üblichen kleineren Anlaufpunkte bis hin zur Cold-Brew-Kaffee-Bar lassen sich leicht finden.
Der initiale Entwicklungsschub des Arbeiterquartiers Holešovice allerdings findet sich an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Dementsprechend weist der Stadtteil einen konzentrierten Abriss der Bauformen, inklusive der mit unterschiedlichen Architekturauffassungen verbundenen Diskussionen jener Zeit auf. Historistische und funktionalistische Bauten stehen Seite an Seite. Gleich hinter dem Palast der Elektrischen Betriebe ragt eine dem heiligen Antonius von Padua geweihte Katholische Kirche empor – mit einer gestutzten Interpretation der Türme der Teynkirche, in Wahrheit jedoch ist sie eine Zeitgenossin des „Palasts“. Ob Anekdote oder Wahrheit, sei dahingestellt: Als Anhaltspunkt, sich hundert Jahre zurückzuversetzen, dient die Vermutung allemal, Benš und Kříž hätten das repräsentative, ans Dessauer Bauhaus erinnernde Treppenhaus ihres Komplexes mit einer Doppelfassade aus blindem Glas versehen, um ein Statement wider diesen Abklatsch zu setzen.
Denn ihr Bauwerk ist wirklich alles andere als ein Abklatsch. Für zwei an der Adresse zu verortende Aufgaben entwickelten die Architekten einen achsialsymmetrischen Plan. Die Städtischen Verkehrsbetriebe verfügten zur Rechten eines zentralen Atriums über fünf Büroetagen, die Behörde für Elektrizität zur Linken. Im Hauptbaukörper sind die Büroflächen auf Emporen rundum einen überdachten und klimatisch puffernden Lichthof angeordnet. Jeweils sind zudem zwei viergeschossige Flügel – seinerzeit mit kleinen Bürokompartimenten, heute bis auf die erste Etage allesamt zu Großraumbüros umgewandelt –, an den Erschließungskern angedockt, darin, neben der Freitreppe, zu jeder Seite zwei Paternoster-Aufzüge.
Als TaK Architekten die Aufgabe übernahmen, das Bürohaus zu sanieren, war es in so schlechtem Zustand, dass die Struktur bis zu den Fundamenten entkernt und ertüchtigt werden musste. Tichý, seine Kollegen und Studierende listeten und bewerteten in zehnjähriger Kleinarbeit alle Bauteile, sodass diese, soweit möglich, bei der Rekonstruktion wieder zum Einsatz kommen konnten. Bodenfliesen, Handläufe oder auch Beschläge konnten so wiederverwendet werden. Andere Elemente, darunter Fenster und Fassadenkacheln, wurden den ursprünglichen Objekten nachempfunden: Blau strahlen die Rahmen der liegenden Formate in der schmutzigweißen Gebäudehaut, die Unterscheidung, ob eines der verchromt glänzenden Geländerrohre im Innenraum neu oder alt ist, fällt schwer. Das Projekt bestand auch darin, Sanierungsmethoden für die teils einzigartigen technischen Lösungen im Gebäude zu finden – etwa einen LKW-Aufzug. Die bauzeitlich raffinierte erste natürlich-technische Hybridklimatisierung im Land wurde erneuert.
Bedauerlich ist, dass ohne Hintergrundwissen zur Ursprungsnutzung kaum möglich ist, die Geschichte des Hauses zu entziffern. Heute ist der Palast Sitz verschiedener Tochterfirmen des Medienunternehmens WPP. Auch in den westlich, also zur Kirche hin, gelegenen Abschnitten, die das Vorderhaus als flaches „E“ berühren, befinden sich nun Büros. Angelegt war diese Partie dazumal als Erholungsbereich, mit Bädern und Massagegelegenheiten für die Busfahrer. Immerhin bleiben die Dachterrassen für Frischluftpausen als solche erhalten.
Auch den beiderseits des Atrium zur Bubenská verorteten Sonderflächen lässt sich nur noch mit Kenntnis der einstigen Funktion anderes als genereller Moderne-Charme abgewinnen. Weit zurückgebaut wurden die Anhaltspunkte im früheren Ausstellungsbereich der Elektrizitätszen­trale – heute Relax- und Cafeteriazone der Webdesigner und Werbetexter –, als dass hier noch die anschauliche Präsentation elektrischer Neuerungen zu erahnen wäre, für die dieser doppelhohe Raum mit Galerie den Elektrischen Betrieben in den Dreißigern diente: Den Pragern sollten hier die Vorzüge von Toastern und ähnlichen modernen Produkten nahegebracht werden.
Auf der anderen Seite lassen sich durch fingerdicke Tür-Spalte Blicke in die alte Schalterhalle der Verkehrsbetriebe erhaschen, wo Fahrkarten zu erwerben waren und sich die Tresore für die Tageseinnahmen der Busfahrer befanden. Ihre Relikte, so will es der Denkmalschutz, sollen bleiben. Ziel ist es, einen langfristigen Nutzer zu finden, der die Türen offen hält.



Fakten
Architekten TaK Architects, Prag
Adresse Bubenská 1477/1, 170 00 Praha 7-Holešovice, Tschechien


aus Bauwelt 15.2023
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