Bauwelt

Probebühne Kunstzentrum Groningen


Donna van Milligen Bielke und Ard de Vries haben eine Probebühne für vier Theaterkompanien entworfen. Im Zentrum steht ein Hof, auf dem das Zusammentreffen von Passanten und Anrainern als Schauspiel glänzt.


Text: Landes, Josepha, Berlin


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    An der Nordostecke zeigen sich deutlich die Höhenstaffelung der Baukörper, die Varianz von Kompaktheit und Porosität sowie die Spannung von Horizon­tal- und Vertikalelementen in Bestand und Neubau.
    Foto: Stijn Bollaert

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    An der Nordostecke zeigen sich deutlich die Höhenstaffelung der Baukörper, die Varianz von Kompaktheit und Porosität sowie die Spannung von Horizon­tal- und Vertikalelementen in Bestand und Neubau.

    Foto: Stijn Bollaert

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    Der Kunsthof ist nicht das erste Projekt des Entwurfs­teams, in dem Architektur maßgeblich der Stadtraumgestaltung dient.
    Foto: Stijn Bollaert

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    Der Kunsthof ist nicht das erste Projekt des Entwurfs­teams, in dem Architektur maßgeblich der Stadtraumgestaltung dient.

    Foto: Stijn Bollaert

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    Die Idee basiert auf einem Wettbewerbsentwurf für ein Kulturzentrum in Utrecht.
    Foto: Stijn Bollaert

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    Die Idee basiert auf einem Wettbewerbsentwurf für ein Kulturzentrum in Utrecht.

    Foto: Stijn Bollaert

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    Die Probebühnen fügen sich zwischen den ebenfalls seit Jahren von Theatern genutzten Altbauten ein
    (vorn links ein Theatercafé), die ursprünglich als Ver­waltungsbauten einer Gasfabrik dienten.
    Foto: Stijn Bollaert

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    Die Probebühnen fügen sich zwischen den ebenfalls seit Jahren von Theatern genutzten Altbauten ein
    (vorn links ein Theatercafé), die ursprünglich als Ver­waltungsbauten einer Gasfabrik dienten.

    Foto: Stijn Bollaert

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    Bögen, Spaliere, Terrassen und formvollendete Pflanzflächen – jede bauliche Anlagen ist ein architekturhis­torisches Zitat. Gemeinsam ergeben sie ein Leporello städtischer Szenerie, das für Fiktion oder Alltag taugt.
    Foto: Stijn Bollaert

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    Bögen, Spaliere, Terrassen und formvollendete Pflanzflächen – jede bauliche Anlagen ist ein architekturhis­torisches Zitat. Gemeinsam ergeben sie ein Leporello städtischer Szenerie, das für Fiktion oder Alltag taugt.

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    Dank der Höhenstaffelung über verspringende dunkle Sockel und eine zweiteiligehelle Krone nebst zartem oberem Abschlussband treten die kompakten Kuben in Dialog mit der Umgebungsbebauung.
    Foto: Stijn Bollaert

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    Dank der Höhenstaffelung über verspringende dunkle Sockel und eine zweiteiligehelle Krone nebst zartem oberem Abschlussband treten die kompakten Kuben in Dialog mit der Umgebungsbebauung.

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    Im südlich vom neuen Gebäude gelegenen frühe­ren Maschinenhaus (im Bild links) befindet sich ein Theater. Hinter der neuen Fassade ist die zentrale Villa angeschnitten zu sehen (im Bild rechts ihre Seitenfassade zum Hof).
    Foto: Stijn Bollaert

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    Im südlich vom neuen Gebäude gelegenen frühe­ren Maschinenhaus (im Bild links) befindet sich ein Theater. Hinter der neuen Fassade ist die zentrale Villa angeschnitten zu sehen (im Bild rechts ihre Seitenfassade zum Hof).

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    Die Geometrien der neuen Fassaden und Freiflächen zitieren teils Muster der altenZiegelfassaden. Das auf die Spitze gestellte Fenster in der Fabrikantenvilla füg­-te jedoch die Architektin ein.
    Foto: Stijn Bollaert

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    Die Geometrien der neuen Fassaden und Freiflächen zitieren teils Muster der altenZiegelfassaden. Das auf die Spitze gestellte Fenster in der Fabrikantenvilla füg­-te jedoch die Architektin ein.

    Foto: Stijn Bollaert

Hildegard Knef singt: „Illusionen sind das Schönste auf der Welt“, Katja Ebstein: „Theater, Thea­ter, der Vorhang geht auf, dann wird die Bühne zur Welt.“ In Groningen bekommt nun einen großen Auftritt, was normalerweise hinter Vorhang und Bühne verborgen liegt. Donna van Milligen Bielke und Ard de Vries haben ein Gebäude mit Proberäumen für vier Theaterkompanien errichtet: den Kunstwerf (Kunsthof). Ihre Architektur bedient sich mannigfaltiger Vorbilder illuso­rischer Raumgebilde.
Theater sind Traumburgen und Wirklichkeitsräume, Orte, wo die Grausamkeiten und die Freuden der Welt in einer Waagschale liegen, die nie ganz klar zu einer Seite ausschwenkt – Ist, was wir sehen, Ernst oder Groteske? Hinter der Kulisse sieht es immer ganz anders aus als vor ihr. Und doch verankert Theater vor allem das Vorgebliche, halten die Kulissen und das Tamtam, das die Besucher im Foyer umhüllt, der Glanz, den die Schaufronten mit ihren Risaliten aus Marmor und goldenen Fensterrahmen in den Stadtraum gießen. Die Figur des Schauspielers taugt als fluides Wesen, dessen Wirklichkeit man sich auf keiner Seite des Vorhangs gewiss sein kann. Das Theater und alles, was es tangiert, sind letzte Ausflüchte und waren es von Anbeginn.
Architekten vieler Jahrhunderte haben sich der Bauaufgabe gewidmet, die Griechen Fächer mit offener, die Römer Halbrunde mit geschlossenem Bühnenbau entwickelt. Seit der Renaissance sind Theater veritable Gebäude, und bis in die Gegenwart bilden ihre Ränge und Bühnenperspektiven Motive früherer Epochen ab. Theater sind für Architekten auch immer schon Spielwiesen gewesen, Phantasien zu bauen oder wenigstens zu modellieren, die idealen Städten nahekommen, oder paradoxe Räume abbilden. Die Szene von Palladios Teatro Olimpico in Vicenza zum Beispiel entwickelt gleich mehrere städtische Fluchtachsen, demgegenüber ist sie etwa in einer derzeit an der Berliner Schaubühne gezeigten Inszenierung von „Yerma“ gänzlich aufgelöst. Einzig ein Terrarium-artiger Schaukasten bleibt, in dem das Ensemble in zwei Richtungen, also dem Frontaltheater zuwider, spielt. Zumeist bleibt dieser bauliche oder konzeptionelle Aufwand jedoch dem Publikum vorenthalten. Nach außen strahlen die Gebäude mit Exklusivität, auf der Hinterbühne dominieren Seile und Requisitenkisten, in den Umkleiden klemmen die Schränke. Das Theater ist eine Scheinwelt, deren Phantasterei eine viel breitere Schauseite verdient hat.
Als Hauptinspiration für den Groninger Kunstwerf führt Architektin van Milligen Bielke Sebas­tiano Serlios „tragische Szene“ an, einen Bühnenentwurf aus dem Jahr 1545. Einmal dieses Bild vor Augen, drängt es die zweifelsohne ebenfalls auszumachenden Einflüsse Aldo Rossis oder Robert Venturis in den Hintergrund. Wie in Serlios Szene entwickeln sie und de Vries, die für dieses Projekt zum wiederholten Mal zusammengearbeitet haben, einen von Bogengängen gefassten Sockelbereich rundum einen langgestreckten Freiraum. Wie die Einzelvolumen einer sich über die Jahre zusammengesetzten Stadtansicht verspringt diese schwer in dunkelgrauem, fast schwarzen Beton gesetzte Zone an ihrer Oberkante. Über ihr sitzen nahezu weiße Betonelemente auf. Sie grenzen die unterschiedlich großen Bereiche der einzelnen Theatergruppen voneinander ab. Diese Fertigbauteile sind jeweils mittig geknickt, wodurch der Eindruck eines das Ensemble zusammenraffenden Faltenvorhangs entsteht. Wie eine Krone sitzt darauf zu guter Letzt eine das Achsmaß der Mittelschicht halbierende Aluminiumkrempe, die das Haus bei lichtem Wetter mit dem Himmel verschwimmen lässt. In starkem Sonnenschein hingegen werfen die Flächen scharfe Schatten und reflektieren fast blendend. Gehalten werden die Beton- und Aluminiumelemente von schwarzen Rahmen, als seien sie vertikal gestellte Notenbänder.
Im Wettbewerb, aus dem das Gebäude resultiert, war ein kompakter Baukörper gefordert. Van Milligen Bielke und de Vries aber reizten die Vorgabe aus, zerstückelten die Funktionen, um eine Art städtisches Labyrinth zu entwickeln – es ist, als schlendere man durch eine italienische Kleinstadt, die glaubt, Rom zu sein. Architektur und Urbanismus werden in diesem Projekt zu ein und demselben.
Da die Baukörper im Wesentlichen Proberäume enthalten, die auch als solche behandelt werden, ist die Repräsentationsfläche in den Außenraum verlagert. Die prächtige Kulisse ist hier Hintergrund städtischen Treibens. Rund um den zentralen Garten können Passanten verweilen und einander als Anschauungsobjekt dienen. Zum Sitzen bietet sich eine Kanten entlang der Arka­de an. Außerdem ist der Freiraum in flachen Stufen terrassiert – für Kinder eine unmissverständ­liche Einladung zum Herumschwirren. Nicht zu vergessen die ganz ausdrücklich in der Wand zu den Nachbarn eingelassenen Sitznischen.
Die Anverwandlung des szenisch-architekto­nischen Prunks antiker und klassizistischer Entwürfe mittels nur weniger Materialien und Grundform, gespielt mit virtuoser Varianz, hüllt den Kunstwerf in entzückende Hoffnungsfreude. Hier ist keine Ikonografie am Werk, findet sich weder eine Abkehr von, noch blinde Hingabe zu Referenzen. Die Nuancen sind fein und zugleich mit berstender Kraft gesetzt – wer wollte resolut schwarzen Sichtbeton als Zartheit bezeichnen? Und doch besticht auch dieser Paukenschlag, wie jede andere Setzung, durch seine Raffinesse und Zurückhaltung etwa hinsichtlich überbordender Ausformung. Es sind der feine Schliff, die gemäßigte Niveau-Entwicklung, die Hierarchisierung von Räumen, worin sich das Liebevolle dieses neuen Stadtraums zeigt. Wohlgemerkt ist all dies gesprochen für den Außenraum. Denn auf auf ihm liegt der Augenmerk dieses Projekts: Hier spielt das Theater.
Im Inneren sind die Architekten eher pragmatisch verfahren, haben den Nutzern viel Freiheit gelassen und eine relativ einfache Grundausstattung zur Verfügung gestellt. Großen Aufwand forderte die Konstruktion, denn Groningen befindet sich in einer Erdbebenregion. Lange wurde rundum die Stadt in großem Maß Gas aus der Erde gepumpt. Dies hat den Boden der Region instabil werden lassen. Der massi­ve Einsatz von Beton im Tragwerk des Kunstwerf ist zum einen auf diesbezügliche Standfestigkeitsvorgaben zurückzuführen. Zum anderen dienen die isolierten Bauteile der Schalldämmung, was vor allem für die Räume der Tanz-Truppe von Belang ist.
Eine Alternative zur direkten Gasförderung war es, Gas aus Kohle herzustellen. Auf dem Gelände des Kunstwerf befand sich im 19. Jahrhundert eine solche Gasfabrik. Teile der einstigen Verwaltungsgebäude sind ins neue Ensemble integriert. Heute steht der Kunstwerf in einem städtebaulichen Entwicklungsgebiet. Neue Wohngebäude schießen wie Pilze aus dem Boden. Sie sehen aus, wie sie in den Niederlanden fast überall aussehen: Klinker vor Beton. Der Kunstwerf in seiner disziplinierten Verspieltheit und mit waghalsigem, vielleicht auch provokativem Optimismus ist eine Oase, in der sich ein wenig schwelgen lässt in Zuversicht, dass Maßstäblichkeit, Kreativität und Hochwertigkeit Platz haben werden in der Stadt von morgen. Er ist eine Illusion vor dem Vorhang, hier ist die Bühne Welt.



Fakten
Architekten van Milligen Bielke, Donna, Amsterdam; de Vries, Ard, Amsterdam
Adresse Bloemsingel 10, 9712 KZ Groningen, Niederlande


aus Bauwelt 12.2023
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