Bauwelt

Rathaus in Frankfurt (Oder)


Seit dem 13. Jahrhundert wurde das Rathaus in Frankfurt (Oder) immer wieder umgebaut, zerstört, rekonstruiert, erweitert und an neue Anforderungen angepasst. Heute, nach der Transformation durch ff-architekten, ist es mehr als ein Verwaltungsbau: ein offenes Haus für die Stadtgesellschaft.


Text: Rieken, Antonia, Hamburg


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    Der einstige Hofraum zwischen mittelalterlichem Kernbau und Erweiterung von 1913 ...
    Foto: Andreas Meichsner

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    Der einstige Hofraum zwischen mittelalterlichem Kernbau und Erweiterung von 1913 ...

    Foto: Andreas Meichsner

Frankfurt an der Oder, gelegen an der Grenze zu Polen, ist eine Stadt des Wandels, geprägt von Brüchen und Verlusten, aber auch von Erneuerung. Während des Zweiten Weltkriegs wurden große Teile der historischen Bausubstanz zerstört, doch das Rathaus hat als eines der ältesten Gebäude der Stadt die Zeiten überdauert und sich immer wieder neu erfunden.
Nur wenige Gehminuten vom Hauptbahnhof entfernt, auf dem mittelalterlichen Marktplatz und direkt gegenüber der St. Marienkirche – einem der bedeutendsten gotischen Bauwerke der Stadt – prägt es seit dem 13. Jahrhundert das Stadtbild. Jede Epoche hat ihre Spuren hinterlassen: Einst als Kaufhalle und Gerichtslaube genutzt, diente es später als Verwaltungsgebäude. Sein mittelalterlicher Kern wurde in der Renaissance um Anbauten ergänzt, auf der Ostseite lehnten sich bis ins 19. Jahrhundert Bürgerhäuser an, 1913 wurden diese für einen Erweiterungsbau abgebrochen, in dem auch die städ­ti­sche Sparkasse; im Zweiten Weltkrieg folgten Zerstörungen, danach Wiederaufbau und ein Umbau in den 1970er Jahren.
Der im Jahr 2015 ausgelobte Architekturwettbewerb ging weit über eine Sanierung hinaus. Ziel war es, das Rathaus in einen offenen und lebendigen Ort der Stadtgesellschaft zu verwandeln, einen Raum, der mehr als nur Verwaltung beherbergt. Heute öffnet es seine Türen für alle: Paare geben sich das Ja-Wort, Konzerte erklingen, und politische Diskussionen werden geführt.
Zwischen 2019 und 2024 legten ff-architekten die historischen Schichten des Gebäudes frei und inszenierten sie neu. Anstatt auf eine historisierende Rekonstruktion zu setzen, entwickelte das Berliner Büro das Rathaus weiter, machte die Vergangenheit sichtbar und schuf zugleich neue räumliche Qualitäten.
Von außen fällt insbesondere die Dacherneuerung des Erweiterungsbaus ins Auge. Nach den Kriegsschäden wurde das vormals steile Mansarddach vereinfacht und mit flacherer Neigung wieder aufgebaut. Die Erneuerung hat die ursprüngliche Firstlinie wiederhergestellt, wodurch das Raumvolumen vergrößert wurde. Davon profitieren die im Dachgeschoss untergebrachten Büroräume. Das neue Zimmermannsdach ruht auf einem tischförmigen Stahltragwerk – Holz allein hätte die Spannweiten nicht getragen. Auch die Fassade wurde saniert. Ihr lebendiger Charakter blieb erhalten, die Fugen wirken nicht makellos.
Die tiefgreifendste Veränderung zeigt sich jedoch im Inneren. Das Gebäude war in einem schlechten Zustand: Schäden, Schimmelbefall und herabfallende Deckenverkleidung machten eine Sanierung unumgänglich. Der Handlungsdruck war groß, sodass schließlich eine Finanzierung für die Umbaumaßnahmen bewilligt wurde.
Der Hauptzugang erfolgt weiterhin über den Marktplatz, von der Südseite. In den 1970er Jahren war der Eingang dorthin verlegt worden, während die vorherigen Zugänge an der Ostseite zum Rathaus und zur Sparkasse geschlossen wurden – ff-architekten reaktivierten diese als Nebeneingänge.
Beim Betreten öffnet sich ein lichtdurchfluteter Eingangsbereich in der ehemaligen Sparkassenhalle von 1913. Eine Empfangstheke aus Eichenholz und kugelförmige Pendelleuchten prägen das Ambiente. Zwei freigelegte kannelierte Pfeiler mit Kapitellen, umgeben von Mauerwerk aus den 1950er und 1970er Jahren, gewähren Einblick in die Vergangenheit – ebenso wie das archäologische Fenster: Ein rundes Glas im Boden gibt den Blick frei auf die mittelalterlichen Keller der einstigen Bürgerhäuser.
Der Übergang vom Foyer ins Atrium ist fließend. Die Umgestaltung des ehemaligen Hofs zu einem Innenraum war ein zentraler Entwurfsgedanke: Das so geschaffene Atrium bildet eine neue Mitte im Gebäude und verbindet den mittelalterlichen Kernbau im Westen und den Erweiterungsbau von 1913 im Osten. Diese helle und offene Halle – mit 15 runden Oberlichtern – schafft einen Begegnungs- und Veranstaltungsort für bis zu 1500 Menschen. Eine Glastür zwischen dem Atrium und dem unabhängigen Landesmuseum im Erdgeschoss des Kernbaus stellt einen Blickbezug her und ermöglicht einen barrierefreien Zugang zum Museum. Barrierefreiheit war im gesamten Projekt ein zentrales Anliegen: Rampen und Aufzüge verbinden alle Ebenen; schwellenlose Übergänge und taktile Leitsysteme ermöglichen eine intuitive Orientierung.
Von der großzügigen Galerie im ersten Obergeschoss der ehemaligen Sparkasse von 1913 eröffnet sich der Blick ins Atrium auf der einen und in den doppelgeschossigen Eingangsbereich auf der anderen Seite. Die Demontage abgehängter Decken brachte den originalen Deckenspiegel der Sparkasse zum Vorschein: Die baukonstruktiv ungewöhnliche Kassettendecke aus in Schalung gegossenen Beton wurde aufgearbeitet und mit einer dünnen Lasur versehen, um die Textur zu erhalten. Auch die kunststeinernen Säulen wurden von dicken Farbschichten befreit und zeigen nun teilweise ihre ursprüng­liche Materialität. Während der Eröffnungsfeier spielte das Orchester auf dieser Galerie, und die Raumakustik bewies sich.
Von hier aus führt eine am Kernbau gelegene Treppe zur nächsten Galerie. Diese Treppe liegt in einer Spalte, sodass sich die historische Ostfassade des Kernbaus in voller Höhe wahrnehmen lässt. Die Lichtinstallation „Wer sucht, der findet“ von Patricia Pisani setzt diese Treppe als eine der spannendsten Stellen des Gebäudes in Szene. Die Galerie im zweiten Obergeschoss umläuft mit integrierten Rampen das Atrium. Ein ehemals in den Innenhof auskragender halbrunder Erker musste für die Galerie weichen, doch seine Form wurde, nach innen gespiegelt, aufgenommen und als Nische in die Galerie eingefügt.
Von der Galerie aus lässt sich auch die Wandelhalle im Obergeschoss des mittelalterlichen Kernbaus erreichen. Jahrzehntelang war sie durch nachträgliche Einbauten verstellt. Diese wurden entfernt, um die Gewölbe aus dem 16. Jahrhundert freizulegen. Anstelle der Innenwand steht nun ein raumtrennendes „Möbel“ aus Holz. Dahinter befinden sich Besprechungsräume verschiedener Größen sowie, hinter der Schaufassade zum Marktplatz, der Trausaal. Dank einer Cateringküche kann in der Wandelhalle ein Buffet bereitgestellt werden, wodurch sie auch für gemeinsame Mittagspausen von externen Veranstaltungen genutzt wird. Diese finden im angrenzenden Saal auf der Nordseite des Kernbaus Platz, der nach wie vor von den farbigen Fenstern der 1970er Jahre geprägt ist.
Auch der Stadtversammlungssaal liegt im zweiten Obergeschoss, gleich über dem Eingangsbereich. Während der Sanierung in den 1970er Jahren hatte der Raum eine bestuhlte Galerie und eine neue Decke erhalten. Deren Aufhänger waren jedoch so marode, dass Elemente her­abfielen. Die Neugestaltung des Deckenspiegels knüpft daran an. Die neue Decke besteht aus dreieckig geformten Holzelementen und lässt die Haustechnik unauffällig verschwinden. Die Stühle wurden neu gepolstert und angeordnet, die Bestuhlung der Galerie aber zeigt noch den Vorzustand. Eine Dolmetscherkabine erleich­-tert den Austausch mit dem polnischen Kolle­gi­um der Nachbarstadt Słubice. Die alten Bleiglasfenster aus den 1950er Jahren entsprachen weder den heutigen energetischen Anforde­run­gen, noch erzeugten sie mit ihrem grün-blau-grauen Schimmer eine für heutige Sehgewohnheiten angenehme Atmosphäre. Der Denkmalschutz stimmte ihrem Austausch zu, sofern auch die Neu­verglasung ein gestalterisches Element in den Raum bringt. So entwickelten die Planer eine Bedruckung, die gotische Dreipassornamente interpretiert und die Wirkung je nach Tageslicht verändert: Mal treten die Muster deutlich hervor, mal verschwinden sie fast vollständig. Die Stadtversammlung tagt nun in einem modernen, einladenden Raum, der historische Bezüge aufgreift, ohne in Nostalgie zu verfallen.
Der gesamte östliche Gebäudeteil beherbergt die Verwaltungsbüros, die nun offener und kommunikativer gestaltet sind. Früher bestanden sie aus schmalen, tiefen Einzelräumen, die kaum Austausch ermöglichten. Um mehr Transparenz zu schaffen, wurden die Zwischenwände entfernt und durch verglaste Trennwände ersetzt.
Eine der größten Herausforderungen bestand darin, die Fluchtwege sicherzustellen. Dafür musste ein neues Fluchttreppenhaus errichtet werden – der stärkste Eingriff in die Bausubstanz. Dieses liegt südöstlich im Gebäude und führt zu einem der Nebeneingänge, dem ehemaligen Zugang der Sparkasse.
Die Sanierung des Frankfurter Rathauses zeigt, wie Weiterbauen funktionieren kann. Sie ist weder eine museale Bewahrung noch eine radikale Neuerfindung. Vielmehr ist der Eingriff eine behutsame Weiterführung, die den Bestand respektiert und zugleich gestalterischer Ausdruck der heutigen Zeit ist. Frankfurt (Oder) hat sein Rathaus zurückbekommen – als offenen, demokratischen Ort, der nicht nur Vergangenheit bewahrt, sondern auch Zukunft gestaltet. Ein Haus, das in seiner neuen Offenheit ein lebendiges Zentrum des städtischen Lebens werden kann.



Fakten
Architekten ff-Architekten, Berlin
Adresse Marktpl. 4, 15230 Frankfurt (Oder)


aus Bauwelt 8.2025
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