Bauwelt

Alter Schlachthof in Valencia


Die Sanierung eines alten Schlachthofs in Valencia ist gegen eine marode Stadtpolitik sich auflehnenden Bürgern zu verdanken. Prozess wie auch Ergebnis zeigen, wie ein Funken Anti-Autoritarismus das architektonische Wirken bereichern kann.


Text: Gómez-Moriana, Rafael


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    Das 1910 erbaute Gebäude diente bis in die 80er Jah­re als Schlachthaus. Danach übergab es die Stadt in die Obhut von republikanischen Bürgerkriegsveteranen. 1988 holten die den Nachbarschaftsverein „Salvem“ als Nutzer ins Gebäude.
    Foto: Mariela Apollonio

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    Das 1910 erbaute Gebäude diente bis in die 80er Jah­re als Schlachthaus. Danach übergab es die Stadt in die Obhut von republikanischen Bürgerkriegsveteranen. 1988 holten die den Nachbarschaftsverein „Salvem“ als Nutzer ins Gebäude.

    Foto: Mariela Apollonio

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    In El Cabanyal stehen Ruinenneben sanierten und neuen Häusern, Arme und Wohlhabende leben nebeneinander. Laut „The Guardian“ war es 2020 das dritt-coolste Viertel Europas.
    Foto: Mariela Apollonio

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    In El Cabanyal stehen Ruinenneben sanierten und neuen Häusern, Arme und Wohlhabende leben nebeneinander. Laut „The Guardian“ war es 2020 das dritt-coolste Viertel Europas.

    Foto: Mariela Apollonio

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    L’Excorxador im Umbau. Nördlich angrenzend soll ein Gemeindezentrum entstehen.
    Foto: Mariela Apollonio

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    L’Excorxador im Umbau. Nördlich angrenzend soll ein Gemeindezentrum entstehen.

    Foto: Mariela Apollonio

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    Der neue südliche Gebäudeteil füllt eine zuvor bestehen­de Spalte zum Nachbarhaus.
    Foto: Mariela Apollonio

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    Der neue südliche Gebäudeteil füllt eine zuvor bestehen­de Spalte zum Nachbarhaus.

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    Der schwarz-weiße Fliesenboden ist ortstypisch.
    Foto: Mariela Apollonio

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    Der schwarz-weiße Fliesenboden ist ortstypisch.

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    Im neuen Annex markieren Decke und Boden einen Bruch mit Traditionellem. Die Holzdecken im Altbau sind ersetzt worden.
    Foto: Mariela Apollonio

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    Im neuen Annex markieren Decke und Boden einen Bruch mit Traditionellem. Die Holzdecken im Altbau sind ersetzt worden.

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    Foto: Mariela Apollonio

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Die Umwandlung des ehemaligen Schlachthauses „L’Escorxador del Cabanyal“ in ein Stadtteil­archiv und Kulturinstitut ist der vorläufige Höhepunkt eines 17-jährigen Kampfs, den die Bewohner des küstennahen Stadtteils El Cabanyal in der spanischen Stadt Valencia gegen die radika­le Neuplanung ihres Viertels führten. Der amtliche Plan war gewesen, eine monumentalen Allee durch das Herz des Viertels zu schlagen. Diese fast ein Kilometer lange Schneise, eine Idee der ehemaligen Bürgermeisterin Rita Barberà vom Partido Popular, hätte zum Abriss von 1651 Häusern und zur Zerstückelung des denkmalgeschützten städtischen Ensembles geführt. L’Escorxador bietet daher ein Beispiel für eine architektonisch wie auch städtebauliche Lösung, die aus einer Bürgerinitiative hervorging und ge­gen eine Planung „von oben“ standhielt.
El Cabanyal war im 15. Jahrhundert als eine Barackenstadt für Fischer erbaut worden, außerhalb der mittelalterlichen Stadtmauer von Valencia. Heute ist das Quartier ein maritimes Stadtviertel, das für seine farbenfrohen gefliesten Häuser im traditionallen Baustil bekannt ist. Bis zum Anschluss an die Stadt Valencia im Jahr 1897 war El Cabanyal eine eigenständige Gemeinde. Der Stadtteil war von jeher eng mit dem nahe gelegenen Seehafen und dem unmittelbar angrenzenden riesigen Strand von Malvarrosa verbunden. Dieser Strand gewann an Bedeutung, als Valencias Bourgeoisie im 19. Jahrhundert erstarkte. Nach und nach schoben sich modernistische Ferienhäuser zwischen die Häuser der Fischer, Hafenarbeiter und Bauern in El Cabanyal. Die Pläne, Stadt und Strand durch einen monumentalen Boulevard zu verbinden, sind nicht neu. Als Barberà 1991 zur Bürgermeisterin gewählt wurde, wurden sie jedoch handfest. Dem versuchte die Regierung der autonomen Region Valencia 1993 beizukommen, indem sie El Cabanyal zum „kulturellen Erbe“ erklärte. Der regionale Denkmalschutz stellten jedoch kein Hindernis für Barbe­ràs Vorhaben dar, die Avenida Blasco Ibañez durch das Viertel El Cabanyal zu verlängern. Als der Valencianische Stadtrat den Plan im Jahr 1998 genehmigte, entstand die Bürgerplattform „Salvem el Cabanyal“. Angeregt wurde sie von einem Kulturverein, der im ehemaligen Schlachthaus „L’Excorxador“ aus dem Jahr 1910 seine Räume unterhielt. Salvems partizipative Versammlungen, Kunstausstellungen und Partys mit Live-Musik verwandelten den Ort in einen lebendigen Teil der alternativen Kulturszene Valencias.
Bei der Avenida Blasco Ibañez, benannt nach dem valencianischen Autor des Romans „Die vier apokalyptischen Reiter“, handelt es sich um die breite Mittelachse einer Art Gartenstadt aus den 1970er Jahren. Dieses nach dem städtebaulichen Leitbild der CIAM geplante Viertel aus Plattenbauten und Wohntürmen ist ein genaues Gegenteil der dicht gedrängten Terrassenhäuser von El Cabanyal, von dem es durch Bahngleise getrennt ist. Obwohl das Konzept der „Stadterneuerung“ durch „Slumbeseitigung“ bereits seit einem halben Jahrhundert als Irrweg gilt, trachtete Barberà danach, El Cabanyal mit einer Entschlossenheit zu zerstören, die an Robert Moses rigorose Umplanung von New York City in den 1940-er Jahren erinnerte. Sie schickte ihre Abbruchmannschaft im Morgengrauen, um die Aktivisten von Salvem unvorbereitet zu treffen. Die Aktivisten wiederum entfernten die Hausnummern von den Häusern, um die Abbruchmannschaften zu verwirren.
Der Konflikt dauerte bis 2015, als Barberà, die zu diesem Zeitpunkt bereits in mehrere Korruptionsskandale verwickelt war, bei den Wahlen unterlag. Ihr urbizider Plan kam zum Erliegen, und das bereits teilweise zerstörte El Cabanyal wurdestattdessen zu einer Hochburg der Regenera­tion und des Wiederaufbaus. Die Erneuerung desSchlachthauses Escorxador gilt hierbei als Pilotprojekt. Der ursprüngliche Entwurf für den Umbau stammte von den beiden Architekten David Estal und Tato Herrero, der zudem Mitglied von Salvem war. Später wurde der Architekt Boris Strzelczyk, ein Spezialist für Gebäudeumnutzungen, damit beauftragt, das Projekt den finanziel­-len Rahmenbedingungen anzupassen und zu verwirklichen.
Diese Art der Grassroots-Kollektivität ist keineswegs neu. Sie ist zum Modus Operandi einer ganzen Generation von Spaniern geworden, die vom Personenkult der Architektur und ihrem globalen Spektakel desillusioniert sind. Die sparsame DIY-Architektur des L’Escorxadors, frei nach dem Motto „Reduzieren, Wiederverwenden und Recyceln“, steht in starkem Kontrast zu den auffälligen Bauwerken des vorherigen Baubooms, den viele spanische Architekten nun nostalgisch als „La Fiesta“ bezeichnen.
Der neugestaltete Escorxador durchkreuzt einen Stadtblock mit leeren Parzellen und zerfallenden verlassenen Häusern, ein typischer Anblick in El Cabanyal. Er besteht aus zwei paral­lelen Gebäudebändern, einem alten und einem neuen, die sich von einer Straße zur anderen erstrecken. Der ältere Teil besteht aus zwei zur Straße gewandten Gebäudevolumen mit sepa­ratem Straßeneingang und einem dazwischen liegenden Innenhof. Hier befinden sich die repräsentativen Räume: ein Saal für Aufführungen und ein Ausstellungsraum. Der neue Gebäu­deteil, der auf einem angrenzenden schmalen Grundstück errichtet wurde, enthält das funk­tionale Programm: ein Archiv, einen modernen Konferenzraum, einen Aufzug und ein paar Ba­dezimmer, die der lokalen Tradition entsprechend vom Hof aus zugänglich sind. Wenn die Türen von L’Escorxador zu beiden Enden offen stehen, verwandelt sich das Gebäude in eine städtische Passage, wie sie Baudelaire, Ben­jamin und Debord fasziniert hätte.
Die zahlreichen Türen des Gebäudes ermög­lichen eine zeitgleiche Durchführung verschie­dener Aktivitäten. Hierdurch drückt das Bauwerk Egalitarismus aus, der seinem Werdegang entspricht. Getreu seiner vorherigen Funk­tion als Veranstaltungsort der Bürgerplattform Salvem wurde der Innenhof mit einer Bühne für musikalische Darbietungen und technischen Anschlüssen für eine Außenbar und Kochstelle für enorme Paellas ausgestattet. Im Schatten einer Pergola aus Weinreben steht eine improvisierte Bank aus einem übrig gebliebenen Holzbalken.
„Das alte Gebäude hatte so viele Schichten, dass wir uns für eine archäologische Herangehensweise entschlossen und die Materialien behutsam entfernt haben, um sie an anderer Stel­le möglicherweise wiederzuverwenden“, erklärt Architekt Boris Strzelczyk. „Wir haben Graffiti, Wandbilder, handbemalte Wandfliesen und hydraulisch gepresste Zementfliesen entdeckt, die wir entweder direkt vor Ort hervorgehoben oder an anderer Stelle wieder eingebaut haben.“ Das Ergebnis ist ein Palimpsest; ein exquisiter Leichnam. Es ist die kollaborative Konstruktion einer Collage, die im Laufe der Zeit Schicht über Schicht aufgetragen wurde. Das Resultat umgeht jegliche Konzepte individueller Urheberschaft und Genialität.
Im neuen Nebengebäude wird ein wunderbar provokantes Stück Despektierlichkeit architektonisch zum Ausdruck gebracht: Ein einzelnes Fenster, das den gewölbten Gebäudeöffnungen des originalen Bauwerks gleicht, wird plötzlich auf dem Kopf gedreht und erhält eine lächelnde Fensterbank. Dieses Fenster ist eine eindeutige Anspielung auf das historisches Por­trät von Felipe V, das bekanntlich kopfüber in einem Museum im nahe gelegenen Xàtiva hängt – einer Stadt, die 1707 während des Erbfolgekrieges vom ersten Bourbonenkönig vollständig niedergebrannt wurde. Heute ist diese verdrehte Abbildung spanischer Monarchen in ganz Spa­nien zu einem gängigen Symbol für Anarcho-Punk und antimonarchische Proteste sowie regionale Unabhängigkeitsbewegungen geworden.
Ideologisch gesehen sind Architektur und Punkmeilenweit voneinander entfernt: Erstere ist exklusiv und aristokratischen Ursprungs, während Letzterer aus modernen Klassenkämpfen hervorgegangen ist. Spanien mit seiner wachsenden Ungleichheit, Ungerechtigkeit und Autori­tarismus ist heute ein besonders fruchtbarer Boden für Punk, sogar für „Punk-Architektur“. Doch anstelle von avantgardistischen Manifesten und „radikaler“ Architektur, die weltweit zum Markenzeichen von Neoliberalen und Despoten geworden sind, lässt die spanische Punk-Architektur nun eine Sensibilität für den lokalen Kontext erkennen, die traditionelle und kontempo­räre Aspekte mit subtiler Despektierlichkeit verbindet.
Aus dem Spanischen von Sigrid Ehrmann



Fakten
Architekten Francisco Herrero, David Estal
aus Bauwelt 8.2021
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