The Shed in New York
Ist der rollende Kunstkomplex mehr als eine extravagante Luxusbrosche am Revers des neuen Quartiers der Milliardäre am Hudson River? The Shed entstand – ohne Bauherr und ohne Programm – in der Zeit der Lehman-Brothers-Krise, als große Investoren-Projekte ins Gerede gekommen waren. Die Architekten Diller Scofidio + Renfro entwarfen eine Kulturmaschine, deren interdisziplinäre Öffnung sich auf Cedric Price beruft. Sind solche Ideen noch zeitgemäß?
Text: Geipel, Kaye, Berlin
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Wenig Bewegungsspielraum inmitten der neuen Hochhausgruppe. The Shed markiert das Ende des Highline-Parks auf der Westseite von Manhattan.
Foto: Iwan Baan
Wenig Bewegungsspielraum inmitten der neuen Hochhausgruppe. The Shed markiert das Ende des Highline-Parks auf der Westseite von Manhattan
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Foto: Iwan Baan
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Um den Bauplatz für The Shed (rote Fläche) und die Hochhäuser zu nutzen, musste die Gleisharfe teilweise überdeckelt werden.
Foto: Architekten
Um den Bauplatz für The Shed (rote Fläche) und die Hochhäuser zu nutzen, musste die Gleisharfe teilweise überdeckelt werden.
Foto: Architekten
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Knapp 40 Meter hoch ist der Veranstaltungs- und Performance-Raum, der von der angrenzenden Fassade aus bespielt wird. Je nach Anforderung lassen sich alle Verdunkelungen zum Verschwinden bringen.
Foto: Iwan Baan
Knapp 40 Meter hoch ist der Veranstaltungs- und Performance-Raum, der von der angrenzenden Fassade aus bespielt wird. Je nach Anforderung lassen sich alle Verdunkelungen zum Verschwinden bringen.
Foto: Iwan Baan
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148 mit Luft gefüllte ETFE-Folienkissen spannen sich über das innenliegende Stahltragwerk.
Foto: Iwan Baan
148 mit Luft gefüllte ETFE-Folienkissen spannen sich über das innenliegende Stahltragwerk.
Foto: Iwan Baan
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Foyer an der West30th Street
Foto: Iwan Baan
Foyer an der West30th Street
Foto: Iwan Baan
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Eine Eröffnungsveranstaltung
Foto: Iwan Baan
Eine Eröffnungsveranstaltung
Foto: Iwan Baan
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Auf einer 80 Meter langen Gleisstrecke rollt das Dach mithilfe der 6 sogenannten „Bogie Wheels“ vor und zurück.
Foto: Ivan Baan
Auf einer 80 Meter langen Gleisstrecke rollt das Dach mithilfe der 6 sogenannten „Bogie Wheels“ vor und zurück.
Foto: Ivan Baan
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Die ausfahrbare Hülle umfasst einen knapp 40 Meter hohen Veranstaltungsraum, der sich völlig schließen lässt.
Abb.: Architekten
Die ausfahrbare Hülle umfasst einen knapp 40 Meter hohen Veranstaltungsraum, der sich völlig schließen lässt.
Abb.: Architekten
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Im zurückgefahrenen Zustand kann der Open-Air-Raum von der angrenzenden Fassade aus bespielt werden.
Abb.: Architekten
Im zurückgefahrenen Zustand kann der Open-Air-Raum von der angrenzenden Fassade aus bespielt werden.
Abb.: Architekten
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Die Visualisierung zeigt den riesigen Department Store (blau) inmitten der neuen Bebauung, ...
Grafik: HudsonYardsNew-York.com
Die Visualisierung zeigt den riesigen Department Store (blau) inmitten der neuen Bebauung, ...
Grafik: HudsonYardsNew-York.com
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... daneben die Treppenskulptur von Thomas Heatherwick, ...
Foto: Kaye Geipel
... daneben die Treppenskulptur von Thomas Heatherwick, ...
Foto: Kaye Geipel
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... daneben die Treppenskulptur von Thomas Heatherwick, die The Shed den knappen öffentlichen Raum streitig macht.
Foto: Kaye Geipel
... daneben die Treppenskulptur von Thomas Heatherwick, die The Shed den knappen öffentlichen Raum streitig macht.
Foto: Kaye Geipel
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Die Aufnahme von Iwan Baan im Werk des italienischen Stahlbauers Cimolai (2015) macht die Größenverhältnisse der Konstruktion deutlich.
Foto: Iwan Baan
Die Aufnahme von Iwan Baan im Werk des italienischen Stahlbauers Cimolai (2015) macht die Größenverhältnisse der Konstruktion deutlich.
Foto: Iwan Baan
Eine Reinkarnation der Ideen des legendären, nie realisierten Londoner Fun Palace von 1961 war versprochen. Der britische Visionär Cedric Price, der mit seiner Kulturmaschine Fun Palace die anonyme Technologie der Moderne wieder zurück in die Hände der Stadtbewohner legen wollte, hatte die Architekten von The Shed für ihren Entwurf an der 30th Street inspiriert.
Schon einmal führte Cedric Price Vision zu einer beispiellosen Architektur: Beim Pariser Centre Pompidou 1977 orientierten sich Renzo Piano und Richard Rogers an der Idee eines Volkspalasts für die gesamte Stadtbevölkerung von Paris – einem neuartigen, technologischen Stadtspielzeug, in dem jeder Besucher Platz für seine individuellen kulturellen Bedürfnisse finden sollte. Die Klassenschranken zur Hochkultur waren in dieser französischen Version des Fun Palace abgeschafft. Doch das Pompidou wirkt aus heutiger Perspektive, aller Innovation zum Trotz, immer noch wie ein sehr konventionell gegliedertes Gebäude: großes, multifunktionales Foyer, darüber vier gestapelte Ausstellungsgeschosse plus Aussichts- und Café-Terrasse.
Geballtes Kunst-Paket
Jetzt also New York. Als die fertigen Pläne für The Shed vor drei Jahren vorgestellt wurden und einige Fotos der in Italien produzierten, rollbaren Stahlstruktur im Netz kursierten, wurde deutlich, dass die Architekten Diller Scofidio + Renfro genau diese räumlichen Konventionen mithilfe von mobilen Elementen aufbrechen wollten. Ein „responsive building“ war auf den Plänen zu sehen, ein kraftvoller Versuch, auf engstem Raum alle möglichen Kultur- und Kunstfunktionen zusammenzuballen, die sich durch die Beweglichkeit der Hülle jeweils neu konfigurieren lassen. The Shed versprach eine neue Architekturtypologie für Installationen und Events und verzichtete dabei weitgehend auf architektonische Repräsentation. Die Grundidee ist simpel: Eine fahrbare Hülle umfasst auf der einen Seite mehrere große Ausstellungsräume und einen Theatersaal, auf der anderen Seite einen knapp 40 Meter hohen Performance-Raum, der den angrenzenden Geschossen aus bespielt werden kann. Wenn diese teleskopartige Hülle wie ein Kamera-Objektiv zurück in ihre Ausgangslage fährt, gibt sie einen Open-Air-Space frei, der von der porösen Schicht der innenliegenden Fassa-de als vertikales Theater bedient werden kann: mit Treppen, hängenden Zuschauertribünen, Videoleinwänden, Kranarmen usw. Liz Diller nennt ihren Entwurf eine Architektur der Infrastruktur. Zwei andere Referenzen kommen einem in den Sinn: Von seiner gestapelten Vertikalität gleicht The Shed Rem Koolhaas einstigem Wettbewerbsgewinn für das Karlsruher ZKM. Und von der provozierenden Leere des turmhohen Performance-Raum erinnert es an die vibrierende Leere des entkernten Palasts der Republik in Berlin, in dessen Mitte für einige Monate der eindrucksvollste Ausstellungsraum entstand, den Berlin aufzuweisen hatte (
Heft 42.05).
Richtiges Projekt am falschen Ort?
Anfang April wurde The Shed mit einem mehrteiligen Konzert, das die Geschichte afroamerikanischer Musik nacherzählt, eröffnet. Björk trat bereits auf, tagsüber laufen Installationen, die Steve Reich, Gerhard Richter und Arvo Pärt mit einem Chor aus Brooklyn zusammenbringen und es gibt ein Programm für ortsansässige Künstler, die bisher noch keinen Namen haben. Die Bemühungen sind unübersehbar, auch den lokalen Kulturszenen große Auftrittsmöglichkeiten zu bieten.
Doch seit der Eröffnung ist auch die Kritik an dem mehr als 475 Millionen Dollar teuren Bau nichtzu überhören. Unmut erregt weniger das Konzept als der Standort des Baus. The Shed, teilweise öffentlich finanzierte Kulturinstitution, befindet sich im brandneuen, 25 Milliarden Dollar teuren Hochhausquartier Hudson Yards und ist dessen kulturelles Aushängeschild. Allerdings: Als die Idee zu The Shed 2008 als private Initiative von Diller Scofidio + Renfro entstand, warvon diesem Quartier noch keine Rede. Im Gegenteil, das Areal über der U-Bahn-Stellfläche galt als unbebaubar.
10 Dollar Tickets
Weithin sichtbar ist die weißglänzende, knuffig-abgesteppte Plastik-Hülle von Shed nur für die Besucher, die sich über den aufgeständerten High Line Park annähern. Unten, von der 30th Street aus, ist es kaum zu sehen. Weit oben schimmert noch ein Fetzen der ETFE-Membran, angelehnt an ein Hochhaus, dessen gläserne Doppelspitze aussieht, als sei sie in ein zu enges Kleid gepresst. Direkt nebenan liegt der riesige Luxus-Department Store Neiman Marcus. Dass die Programmmacher von The Shed mit dieser Nachbarschaft Schwierigkeiten haben würden, war abzusehen. Der künstlerische Direktor Alex Poots definiert The Shed als Teil eines kulturellen Austauschprogramms der die vier umliegenden Stadtteilen enger an Manhattan heranrücken lässt. Er hatte den Posten 2014 unter der Voraussetzung übernommen, dass die Tickets für das Gros der Veranstaltungen nicht mehr als 10 Dollarkosten. Die Architektur spielt das Understatement mit. Sie verzichtet auf Schranken und Hindernisse. Die Lobby ist bescheiden, links gibt es Bücher und die Kassen, rechts Sitzgelegenheiten und freie Getränke, und geradeaus führen zwei kreuzförmig angeordnete, massive Rolltreppen nach oben. Schneller und unprätentiöser kommt man selten in die Ausstellungs- und Veranstaltungsräume.
Beispiellose Programm-Maschine
Der wichtigste Trumpf, den die Architektur anbietet, ist die Offenheit der Räume in Bezug auf neue Formen der Zusammenarbeit unterschiedlicher künstlerischer Disziplinen. Viele Jahre lang haben sich Diller und Scofidio damit auseinandergesetzt, welche Raumformen die Künste in Zukunft brauchen, wenn das Dreieck zwischen Kunstproduktion, Nutzern und Ausstellungsräumen informeller wird und sich die Ausstellung vom starren Museum in die Stadt hinaus entwickelt. The Shed stimuliert gemeinsames Projektieren, seine Architektur denkt die soziale Berührungslogik des Fun Palace konsequent zu Ende. Das Neben- und Ineineinander von kleinen Labor- und Arbeitsräumen, großen neutralen Ausstellungsräumen und dem monumentalen Experimentierraum mit seiner rollenden Allzweck-Haut funktioniert mit einer bewundernswerten Selbstverständlichkeit. Das Problem liegt allerdings in der Größe des Gesamtapparats The Shed, die dem Ziel der sozialen Durchlässigkeit widerspricht. Die achtgeschossige Kunstmaschine ist nicht ohne enormen finanziellen Aufwand zu haben. Zwar braucht es nur die Kraft eines Toyota-Prius-Motors, um die Fassade auf ihren sechs tonnenschweren Stahlrädern in Bewegung zu setzen. Doch ein kontinuierliches Programm von „time-based urban interventions“ setzt eine Institution von 80 Mitarbeitern und 50 Millionen jährlichen Unterhalt voraus.
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