Wandelbarer Wohnungsbau in Zürich
In Zürich haben Edelaar Mosayebi Inderbitzin ein Wohngebäude realisiert, dessen Wohnungen sich mit flexiblen Elementen den Vorstellungen der Bewohnerinnen und Bewohner anpassen können.
Text: Gabler, Christiane, Zürich
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Die Stampfenbachstrasse ist eine Ausfallstraße im Norden des Stadtzentrums. Vor dem Neubau besetzte die Ecke ein Wohnhaus der 80er.
Foto: ©moyreal immobilien ag/Roland Bernath
Die Stampfenbachstrasse ist eine Ausfallstraße im Norden des Stadtzentrums. Vor dem Neubau besetzte die Ecke ein Wohnhaus der 80er.
Foto: ©moyreal immobilien ag/Roland Bernath
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Die Planung der Architekten reichte bis zur Detaillierung von Handgriffen und Türknäufen, die zum Anfassen und Bewegen der Elemente anregen sollen.
Foto: Roland Bernath
Die Planung der Architekten reichte bis zur Detaillierung von Handgriffen und Türknäufen, die zum Anfassen und Bewegen der Elemente anregen sollen.
Foto: Roland Bernath
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Die hofseitige Belichtung der Wohnungen im Untergeschoss ist möglich dank des Geländegefälles nach Westen.
Foto: Roland Bernath
Die hofseitige Belichtung der Wohnungen im Untergeschoss ist möglich dank des Geländegefälles nach Westen.
Foto: Roland Bernath
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Der vorfabrizierte Holztafelbau mit Wänden und Decken aus Massivholzplatten (CLT) baut auf dem bestehenden Untergeschoss auf.
Foto: ©moyreal immobilien ag/Roland Bernath
Der vorfabrizierte Holztafelbau mit Wänden und Decken aus Massivholzplatten (CLT) baut auf dem bestehenden Untergeschoss auf.
Foto: ©moyreal immobilien ag/Roland Bernath
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Foto: ©moyreal immobilien ag/Roland Bernath
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Foto: ©moyreal immobilien ag/Roland Bernath
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Ziel der Architekten war ein Wohnraum jenseits einer „verkleinerten“ Familienwohnung als auch eines Einraum-Lofts.
Foto: ©moyreal immobilien ag/Roland Bernath
Ziel der Architekten war ein Wohnraum jenseits einer „verkleinerten“ Familienwohnung als auch eines Einraum-Lofts.
Foto: ©moyreal immobilien ag/Roland Bernath
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Foto: ©moyreal immobilien ag/Roland Bernath
Foto: ©moyreal immobilien ag/Roland Bernath
Die Erforschung unkonventioneller Wohnformen beschäftigt das Zürcher Architekturbüro Edelaar Mosayebi Inderbitzin in der Praxis wie in der Lehre an der ETH Zürich, obwohl oder gerade weil ein gesellschaftlicher Diskurs über die Qualität des zeitgenössischen Wohnungsbaus derzeit kaum stattfindet. Wohnungsbau wurde in der jüngeren Vergangenheit zunehmend dem Markt überlassen und häufig reduziert auf ein lukratives Anlageobjekt. In den großen Städten spitzt sich diese Situation gegenwärtig immer noch zu, da das knappe Angebot nahezu jede Art von Wohnraum vermietbar macht. So stehen in Zürich nur rund 0,5 Prozent der Wohnungen leer, die Mieten sind, wie in vielen europäischen Städten, in den letzten Jahren massiv gestiegen.
Dem aktuellen Wohnungsbestand mit dem Abbild einer vorherrschenden (klein-)bürgerlich westlichen Wohnkultur stehen die veränderten Lebensformen einer stark individualisierten Gesellschaft gegenüber. Aber Wohnungsbau ist häufig konservativ, die Monotonie der gewohnten Strukturen ist wenig offen für die gesellschaftlichen Veränderungen. Edelaar Mosayebi Inderbitzin glauben, dass diese Gleichförmigkeit die Auseinandersetzung des Einzelnen mit seinen Wohnbedürfnissen und die Möglichkeiten individueller Aneignung verhindert. Die Architekten entwickelten daher einen Ansatz zu neuen Wohnformen aus der Vorstellung eines „performativen Raums“. Das Wohnen soll dabei wieder eine architektonische Basis erhalten, die mehr ist als ein bloßes Aneinanderreihen von Räumen für gewisse Tätigkeiten. Dieser Ansatz scheint mehr als aktuell, unterscheiden sich doch Lebensentwürfe und Zusammensetzung der Bevölkerung stark im Vergleich zu den Bedürfnissen vor hundert oder fünfzig Jahren. Nur noch ein Drittel der Haushalte im Kanton Zürich sind Familien, die Mehrheit der Menschen dagegen lebt allein oder in Paarbeziehungen. Diese Gruppe ist sehr heterogen in Bezug auf Alter, kulturelle Hintergründe und Lebensentwürfe, die zudem auch rascher wechseln. Somit ist der Bedarf an Veränderbarkeit und individueller Aneignungsfähigkeit des architektonischen Rahmens hoch.
Auf einem Eckgrundstück an der Stampfenbachstrasse nördlich des Zürcher Hauptbahnhofs konnten die Architekten nun Forschung und Praxis verbinden und für einen mutigen Investor ein Haus mit Kleinwohnungen für Singles oder Paare entwickeln. Auf dem vorhandenen betonierten Untergeschoss eines abgebrochenen Gebäudes aus den achtziger Jahren wurden gleich einem Kartenhaus sehr individuelle Wohnungen aus vorgefertigten, im Inneren sichtbar gelassenen Holzelementscheiben gefügt. Fächerartig spreizen sich die Wohnungstrennwände über das Eckgrundstück auf, so dass jede der zwischen 35 und 65 Quadratmeter großen Wohnungen sich sowohl zur Straße als auch zum Hof hin orientiert. Kleine halbrunde Austritte zum öffentlichen Raum und Terrassen zum Hof ermöglichen den Kontakt zur Umgebung. Die Tiefe des Baukörpers bleibt erfahrbar, und eine beidseitige Belichtung ist möglich. Eine Haut als Aluminiumwellblech an Fassade und Dach bildet ein feines Gehäuse der „Wohnmaschine“ mit Erkern aus Chromstahl.
Die Treppen in den beiden Treppenhäusern bestehen wie in einem Schiff aus massivem Stahl. Von hier gelangt man direkt in den offenen, langgestreckten Raum der Wohnung. Ihn strukturieren drei bewegliche Elemente: eine rund zwei Meter hohe Drehwand, einen Drehschrank – beidseitig bestückbar – und zwei Drehleuchten. Durch die Stellung dieser Elemente erscheint der gesamte Raum in Dynamik. Nur in einem Punkt befestigt, lassen sich die Elemente immer wieder neu positionieren; Schrank und Wand werden zum „tanzenden Paar“. Elementhohe Spiegel an den Stirnseiten des Schranks verleihen dem Raum nicht nur Großzügigkeit, sondern bilden durch vielschichtige Spiegelungen überraschende Blickperspektiven. Die Grundbeleuchtung ist nicht an der Decke befestigt; die zwei überdimensionalen Drehleuchten belichten, flexibel, mehrere Bereiche.
Zwei herausnehmbare raumbreite Holzpodeste in den Nischen zur Straße und zum Hof erzeugen eine innere Topographie für Wohn- und Schlafbereich. Der Boden wird zum Möbel wie ein liegender Schrank. Mit Schubladen und Klappläden ausgestattet, sind die Podeste kleine Bühnen oder Sockel, aber auch Stauraum. Als Unterlage für ein Futon oder für großzügige Sitzkissen benutzbar, nehmen sie Bezug auf Wohnkulturen in Japan oder dem Nahen Osten. Die behördliche Abnahme der Wohnungen erfolgte vor dem Einbau der flexiblen Elemente: Podeste und Wände gelten bereits als Möblierung. Die Bewohner müssen nur noch sehr reduziert eigene Möbel ergänzen. Das erhält die Weite und den Zusammenhang der „Raumskulptur“.
Mit der dominanten, sorgfältigen Ausformung der Griffe unterstützen die Architekten die Lust an der Benutzung und Veränderung: Schwarze Metallklammern an der drehbaren Wand, zungenartige Metallgriffe in der Küche, Autogurte für Drehleuchten und Schubladen und Glasknäufe an den raumhohen Türen der Bäder laden ein zur Betätigung. Die Türen zum Korridor und zum Bad sind Teil der Raumfolge: Sie sind nicht als eingeschnittene Bauteile wie in einer Massivwand integriert, sondern addieren sich als weitere bewegliche raumhohe Scheiben zu den seitlich angrenzenden Holzelementwänden. Geöffnet bewirkt die durchgehende Boden- und Deckenebene eine Verbindung der Raumzonen.
Vorbereitender Versuchsbau
Dem Neubau voraus ging eine Art Versuchsphase. Während der Entwicklung des Projekts wurde auf dem Dach eines ETH-Gebäudes auf dem Hönggerberg bereits eine Wohnung in der gewählten Holzelementbauweise als Mock-up aufgestellt. Der Schriftzug „Vacancy“ in weithin sichtbarer Leuchtschrift an der Fassade wies auf die Bewohnbarkeit dieses Mock-up hin. Es diente zunächst dazu, die beweglichen Elemente zu entwickeln, konstruktiv zu verfeinern und die Robustheit der Mechanik zu prüfen, da diese mit einem höheren konstruktiven Aufwand verbunden ist und solche Elemente anfällig für Störungen sind. Zudem wurden Schallmessungen vorgenommen, da für die gewählte Konstruktion mit sichtbar belassenen Massivholzplatten keine Werte bekannt waren. Doch die Forschung am Mock-up betraf auch die Prüfung der Idee der Aneignung und Veränderbarkeit selbst. Für je eine Woche wohnten Menschen unterschiedlichen Alters allein oder zu zweit in der Testwohnung. Alle beweglichen Elemente – neben Fenstern, Türen, Vorhängen und Möbel auch Küchenschublade und Backofentür – wurden mit Sensoren ausgestattet, die alle Bewegungen aufzeichneten. So sollte deutlich werden, wie die Bewohner die Veränderungsmöglichkeiten nutzen – Erkenntnisse aus der Verhaltensforschung als Grundlage für die Entwicklung der Details. So entstanden Wohnungen, die eine alten Idee der Wohnung als Maschine weiterentwickeln zu Räumen, die eine neue spielerische Lust an der Aneignung hervorrufen.
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