Wohnhaus an der Via Andrea Massena in Mailand
Gespannte Verbundenheit: Wohnhaus von Luigi Caccia Dominioni, 1958–63
Text: Floridi, Giancarlo, Mailand
-
Das Wohnhaus hält die Balance auf der Grenze zweier unterschiedlicher Stadtideale ...
Foto: Piercarlo Quecchia
Das Wohnhaus hält die Balance auf der Grenze zweier unterschiedlicher Stadtideale ...
Foto: Piercarlo Quecchia
-
... mit zwei verschiedenen Fassaden ...
Foto: Piercarlo Quecchia
... mit zwei verschiedenen Fassaden ...
Foto: Piercarlo Quecchia
-
... und einem flexiblen Grundriss.
Foto: Piercarlo Quecchia
... und einem flexiblen Grundriss.
Foto: Piercarlo Quecchia
1934 begann Mailand die Gleise eines riesigen Güterbahnhofs zu überdecken, der als Ankunftsort aus Richtung Sempione diente. Der neue Stadtplan, der nach dem Zweiten Weltkrieg fertiggestellt wurde, ist ein Überbleibsel der Debatte und des kulturellen Klimas des modernistischen Vorschlags für das „Milano Verde“-Projekt. Es handelt sich um ein interessantes System, in dem eine Stadt des 19. Jahrhunderts, die aus großen und kompakten Blöcken besteht, einer Reihe von Interventionen mit parallelen und heliothermisch orientierten modernistischen Elementen gegenübersteht. Einerseits ist die Stadt kompakt und urban, andererseits ist sie offen, gespickt mit einsamen und eigenständigen Objekten.
Das Wohngebäude des Mailänder Architekten Luigi Caccia Dominioni (1913–2016) befindet sich am Ende des grünen Systems, welches als Bindeglied zwischen den beiden Situationen fungiert und die Wesenszüge beider Kulturen aufnimmt. Das Gebäude ist isoliert, schwenkt aber aus, um die letzte Ecke des angrenzenden Blocks zu verbinden. Es befindet sich in einer zweideutigen Spannung zwischen der Zugehörigkeit zur urbanen Dimension der kompakten Stadt und der gleichzeitigen Flucht zu Ausblicken und Licht, die durch die Autonomie der modernistischen Form garantiert werden. In dieser Spannung wird der abstrakte Block an den Ecken verformt. Diese entziehen sich der Definition des perfekten Parallelepipeds mit einer Reihe von Treppen, die dem Volumen mehr Gliederung verleihen und mit der städtischen Umgebung in Resonanz treten.
Das Volumen wird spezifisch, indem es einen Innen- und einen Außenbereich definiert, wie es bei einem vormodernen Gebäude der Fall wäre. Eine stark geöffnete, geometrisch auf den ersten Blick ungeordnete Seite ist nach Westen hin, zum offenen Raum des Parks, mit langen Balkonen ausgerichtet, während die gegenüberliegende Ostseite undurchsichtiger und sauber in regelmäßigen Rastern gestaltet ist, mit Fenstern, die durch Ziegelgitter vom Inneren des Blocks und schließlich von der Stadt verborgen sind.
Die Gestaltung der Fassaden weist den funktionalistischen Ausdruck der Wiederholung von Stockwerken zurück. Auf der Westseite setzt sich die Reihe der Balkonbänder sogar in den geschlossenen Fassadenpartien fort und bildet eine Einheit mit der scheinbar zufälligen Anordnung der Fenster, welche die Flexibilität des Innenraums widerspiegelt. Auf der Ostseite sind die Fenster übereinander angeordnet und bilden zusammen mit dem Fenster, durch das der Außenaufzug verläuft, raumhohe Schlitze, die den undurchsichtigen und abstrakten Charakter dieser Fassade noch betonen. Diese Fassade ist in braunem Putz mit rauer Oberfläche gehalten, während die Ostseite mit sechseckigen glatten Fliesen in Karamellfarbe verkleidet ist, die Caccia Dominioni nicht als Farbe, sondern als Material definiert hat, da es das Ergebnis des Kochens von Salz im Klinker ist. Als Gesamteindruck wirkt das Gebäude sowohl traditionell als auch modern: Die hölzernen Fensterläden bewegen sich autonom in der Fassadengestaltung, und die traditionell gestalteten Brüstungsbänder markieren wie ein Ornament die gesamte horizontale Dimension, sodass der krönende Streifen des flachen Daches als ein Ornament wirken kann.
In einem Interview sprach Caccia über den Entwurf einer Wohnung und die Konzeption eines Grundrisses als eine Aufgabe, die mit einer städtebaulichen Herangehensweise zu lösen sei. Das Wohnhaus an der Via Massena weist eine oder zwei Wohnungen pro Geschoss auf und kombiniert diese Festlegung von Räumen unterschiedlicher Größe und eigenen Charakters mit einer unerwarteten Flexibilität. Der Grundriss ist in gewissem Sinne maßgeschneidert und definiert jede Ebene neu: Die Struktur ist standardisiert, aber jedes Geschoss ist anders. Ein raffinierter bourgeoiser Charakter definiert durch die Verteilung der Wohnungen ein System von Korridoren und Galerien als Elemente, die schrittweise die verschiedenen Dimensionen von städtisch bis wohnlich und intim auf eine elegante Weise begleitet, die noch heute, sechzig Jahre später, neuartig und anregend wirkt.
Treppe und Aufzug betonen noch die zweideutige Spannung zwischen Pragmatismus und Ausdruck. Die Treppe ist das Ergebnis einer konstanten Suche nach einem Element, das sein Wesen aus der Tradition bezieht, obwohl es eine äußerst pragmatische Rolle spielt, ebenso wie der Metallaufzug, der in dem Schlitz entlang der Fassade hängt, als mechanisches und letztlich poetisches Element.
x
Bauwelt Newsletter
Immer freitags erscheint der Bauwelt-Newsletter mit dem Wichtigsten der Woche: Lesen Sie, worum es in der neuen Ausgabe geht. Außerdem:
- » aktuelle Stellenangebote
- » exklusive Online-Beiträge, Interviews und Bildstrecken
- » Wettbewerbsauslobungen
- » Termine
- » Der Newsletter ist selbstverständlich kostenlos und jederzeit wieder kündbar.
Beispiele, Hinweise: Datenschutz, Analyse, Widerruf
0 Kommentare