Wohnmaschine Weinlager in Basel
Mit dem Umbau eines Weinlagers in ein Wohngebäude in Basel zeigen Esch Sintzel Architekten, wie man herausfordenden Bestand zum Glänzen bringt.
Text: Stumm, Alexander, Berlin
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Mächtige Stahlbetonpilze prägen die Erschließungs- und Wohnräume. Dank der Integration des bestehenden Rohbaus konnte 42 Prozent der grauen Energie im Vergleich zum Neubau eingespart werden.
Foto: Paola Corsini
Mächtige Stahlbetonpilze prägen die Erschließungs- und Wohnräume. Dank der Integration des bestehenden Rohbaus konnte 42 Prozent der grauen Energie im Vergleich zum Neubau eingespart werden.
Foto: Paola Corsini
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Ansicht des Weinlagers vor dem Umbau.
Foto: Raphael Schicker
Ansicht des Weinlagers vor dem Umbau.
Foto: Raphael Schicker
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Im Erdgeschoss befinden sich gemeinschaftlich genutzte Waschmaschinen und „Joker-Zimmer“, die mittelfristig vermietet werden.
Foto: Philip Heckhausen
Im Erdgeschoss befinden sich gemeinschaftlich genutzte Waschmaschinen und „Joker-Zimmer“, die mittelfristig vermietet werden.
Foto: Philip Heckhausen
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Die gemeinschaftliche Dachterrasse bietet unter anderem Ausblicke auf den Gehry-Bau des Novartis-Campus.
Foto: Paola Corsini
Die gemeinschaftliche Dachterrasse bietet unter anderem Ausblicke auf den Gehry-Bau des Novartis-Campus.
Foto: Paola Corsini
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Die Architekten haben die Längsfassaden des Bestands abgeschnitten und eine 70 Zentimeter dicke Betonschicht plus Holzstützen hinzugefügt, an der die selbsttragenden Stahlfassaden angesetzt sind.
Foto: Philip Heckhausen
Die Architekten haben die Längsfassaden des Bestands abgeschnitten und eine 70 Zentimeter dicke Betonschicht plus Holzstützen hinzugefügt, an der die selbsttragenden Stahlfassaden angesetzt sind.
Foto: Philip Heckhausen
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Die Duplex-Wohnungen mit ausladenden Wendeltreppen sind über die rue interiéur (mit Le Corbusier-Leuchten) der dritten Etage zu betreten.
Foto: Philip Heckhausen
Die Duplex-Wohnungen mit ausladenden Wendeltreppen sind über die rue interiéur (mit Le Corbusier-Leuchten) der dritten Etage zu betreten.
Foto: Philip Heckhausen
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Bei der ungewöhnlichsten Wohnung erwartet einen an der Eingangstür eine Betonstütze, durch den an-geschlossenen Unterzugist die Deckenhöhe im Flur teils nur zwei Meter hoch.
Foto: Philip Heckhausen
Bei der ungewöhnlichsten Wohnung erwartet einen an der Eingangstür eine Betonstütze, durch den an-geschlossenen Unterzugist die Deckenhöhe im Flur teils nur zwei Meter hoch.
Foto: Philip Heckhausen
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Die Fassaden der Schmalseiten übernehmen die Aluminiumverkleidung des alten Weinlagers konzeptuell, schneiden, falten und klappen sie dabei auf.
Foto: Paola Corsini
Die Fassaden der Schmalseiten übernehmen die Aluminiumverkleidung des alten Weinlagers konzeptuell, schneiden, falten und klappen sie dabei auf.
Foto: Paola Corsini
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Die Stützen werden zu Mitbewohnern.
Foto: Paola Corsini
Die Stützen werden zu Mitbewohnern.
Foto: Paola Corsini
Mit vergünstigten Mieten und vielen Extras integriert sich das Projekt der Habitat Stiftung auch sozial ins Gefüge des neuen Quartiers Lysbüchel Süd.
Der nördliche Abschnitt des Stadtteils St. Johann in Basel ist vielfältig. Südlich bis zum Voltaplatz eine bürgerliche Gründerzeit-Block-randstruktur, im Osten der Novartis Campus mit spektakulären Neubauten von Gehry, Chipperfield, Sanaa und anderen, im Norden und Westen ein ehemaliger Güterbahnhof, viele Gleise, und ein halb brachliegendes Industrieareal, dahinter gleich Frankreich. Lange hatte die Schweizer Supermarktkette Coop hier ausgedehnte Lagerflächen. 2013 kaufte die private Habitat Stiftung das gesamte Grundstück auf, mit dem Ziel günstigen innerstädtischen Wohnraum zu schaffen. Den nördlichen Bereich „Volta Nord“ verkaufte die Stiftung 2016 an den Kanton, das südliche, 12.400 Quadratmeter umfassende Viertel „Lysbüchel Süd“ teilte sie in 15 Parzellen auf. Ziel ist ein durchmischtes Quartier mit Gastronomie, Schule, Kultur- und Gewerbehaus (von baubüro in situ) und Freizeitangeboten wie Boulderhalle. Der Stiftung zufolge sollen bis zu 2500 Arbeitsplätze hinzukommen und rund 1500 Menschen ein neues Zuhause zu finden.
Zwölf kleinere Parzellen gab die Habitat Stiftung an Genossenschaften und Baugemeinschaften, drei entwickelte die Stiftung selbst. Das größte und komplizierteste Projekt davon war die Transformation des ehemaligen Coop-Wein- und Spirituosenlagers in ein Gebäude mit 64 Wohnungen für 150 Menschen, Café-Bar, Gewerbe- und Gemeinschaftsräume, „Joker“- und Gästezimmer, Dachterrasse, großen Musik-Proberäumen und Velokeller inklusiver Wasch- und Reparierstation.
In einem Studienauftrag in Konkurrenz mit drei anderen Büros setzte sich Esch Sintzel aus Zürich durch. Lebenszyklus und Betriebsenergie waren wichtige Parameter für den Entwurf. Eine Photovoltaik-Anlage und eine Grundwasser-Wärmepumpe sorgen beim Energieverbrauch für zwei Drittel Autarkie. Der Rohbau des Bestands sparte durch seine Weiterverwendung auch immerhin 42 Prozent der grauen Energie ein – und die prägenden Pilzstützen sind architektonisch ausdrucksstark integriert.
Ausgangspunkt: Bestandserhalt
Das Weinlager hatte schon mehrere Transformationen durchgemacht. Der Ursprungsbau ist von 1955. Das Herz schlug damals gute zehn Meter tief im Boden. Im „Eisberg“ des zweiten Untergeschosses lagerten Weinfässer, später reinbetonierte Weintanks. Bis in die 1970er Jahre baute man den Wein hier auch aus. Über Schlauchsysteme lief der gereifte Beerensaft ins erste Obergeschoss, das mit einer Überhöhe von 3,85 Meter ausgestattet ist, wo er in Flaschen abgefüllt wurde. Die zwei obersten Etagen dienten als Lagerfläche. In den 1970er Jahren transformierte man den Bau zum reinen Lager und vergrößerte ihn zugleich wuchtig mit einer Aufstockung um drei Etagen und neuer Aluminiumfassade, Farbe: Cappuccinobraun. Die Stahlstruktur des angebauten „Rucksacks“ veränderte die äußere Erscheinung hin zu einer hermetischen Kiste, die mit sechs Etagen überdimensional aus dem benachbarten Wohnviertel hervorstach. Möglich war das, weil die in den 1950er Jahren gebaute Tragkonstruktion mit den ausladenden Stahlbetonstützen für extrem hohe Lasten ausgelegt war – gute Voraussetzungen für Bauen im Bestand also.
„Anspruch war, innerhalb der geltenden Regelbauweise möglichst viel der bestehenden Struktur zu erhalten“, sagt Laurent Burnand, Projektleiter bei Esch Sintzel. Alles konnte aber nicht übernommen werden. Der 2023 fertiggestellte Umbau hatte einige Einschränkungen und Bedingungen, insbesondere galt es baurechtliche Voraussetzungen des Masterplans des Areals zu beachten. Die Kubatur war in den oberen Stockwerken zu breit, und zeigte sich als zu lang und vor allem zu tief, um genügend Licht in den Wohnraum zu bekommen. Deshalb entschied sich Esch Sintzel für den Rückbau der später angebauten Obergeschosse 3 bis 6 sowie für einige „feine Schnitte“. Diese Operationen setzte man an den beiden Schmalseiten im Osten und Westen sowie an beiden Längsfassaden an. Zurück blieb also der entkernte Rumpf des 1950er Jahre-Baus.
Von außen ist davon heute nichts zu sehen. Denn da die abgeschnittenen Längsfassaden tragend waren, bedurfte es nun einer neuen tragenden Außenstruktur. Hier entschied man sich für Holzstützen, die mit neuen, 70 Zentimeter dicken Betondecken und -wänden mit dem Bestand verbunden sind. Davorgestellt ist eine Stahlstruktur für die Balkone. Um das Regal weiter zu stabilisieren, fügte man an den Schmalseiten zwei Erweiterungen an. Hierfür mussten teils auch die Fundamente ersetzt werden, was wegen der in der Schweiz geltenden Pflicht für ausreichend Schutzraum im Falle natur- oder zivilisationsbedingter Katastrophen notwendig war. Wie zwei „Buchstützen“ fassen die Schmalseiten den Bestand ein. Dazu stockten die Architektinnen und Architekten wieder ordentlich auf: Zwei Vollgeschosse und zwei Attikageschosse entstanden als Neubau auf dem Bestehenden.
Grundriss: Wohnmaschine, Fassaden: Maschinengrün
Der Bestand des Weinlagers ist also ein Ausgangspunkt. Ein zweiter ist unverkennbar die Wohnmaschine par excellence, Le Corbusiers Unité d’Habitation. Das lässt sich schon am Grundriss ablesen. Die vier (ab dem 3. Geschoss noch zwei) Erschließungskerne der Scheibe gruppieren sich um zwei rue intérieures im Erd- und im 3. Obergeschoss sowie eine rue éxterieur im 5. Obergeschoss, darüber liegt der Dachgarten. Die Wohnungen dieser Unité-Neuinterpretation sind jedoch horizontal und vertikal derart verschachtelt und verzahnt, dass selbst der Schweizer Großmeister zweimal hinschauen würde. Die Wohnungen sind 1,5 bis 7,5 Zimmer groß, keine gleicht der anderen. Nahezu alle sind durchgesteckt und ab der Neubauaufstockung via Wendeltreppen zu Duplex-Versionen ausgebaut. Von 64 Wohnungen haben nur sechs keine Ausrichtung nach Süden.
Der vorgesetzte Stahlbau für die breiten Balkone ist eine selbsttragende Struktur. Die Längsseiten der Fassaden werden vom Stahlbau der vorgesetzten Balkone dominiert. Farbe „Maschinengrün“, RAL 6011. Dazu entschied man sich komplementär für Rot bei den Diagonalstreben, Schiebetüren- und Fensterrahmen der Balkone sowie den als Sonnenschutz dienenden Rollos. Einzelne Elemente wie Knotenpunkte und Befestigungen sind en Detail ausgearbeitet und zeugen von einer Freude an Gestaltung.
Die „Buchstützen“ an den Schmalseiten beziehen sich auf den vormaligen Gebäudezustand mit den Aluminiumfassaden. Die blechernen Fensterüberstände und das zackenartige Dachelement über dem Erdgeschoss soll das Aufschneiden, Aufklappen und Auffalten des Bestandes beschreiben. Ursprünglich sollten die existierenden Aluminiumpaneele der Fassaden wiederverwendet werden, weshalb 1500 Quadratmeter Bleche sorgfältig rückgebaut wurde. Jedoch stellte sich heraus, dass das Vorbehandeln, Ausbessern, Waschen und neu Lackieren kostenmäßig fünfmal so teuer kommt wie neues Blech. So ist die 1970er Jahre-Ästhetik der Fassaden heute konzeptuell in Neubau integriert.
Hausbegehung: Verschachtelte, längliche und krasse Räume
Nehmen wir uns Zeit für den Rundgang, denn jeder Wohnungsgrundriss ist anders und mit den unterschiedlichen Deckenhöhen auch die Raumwahrnehmung. Das Hochparterre punktet mit Zugang zum hinter dem Haus liegenden Garten. Vor den Schiebetüren zum Balkon stehen die tragenden Holzstützen. Die Baumstämme aus dem Jura (sie wurden schon vor drei Jahren gefällt, um ein Jahr zu trocknen) geben den Sichtbetonelementen kontra. Sie sind im Erdgeschoss 38 Zentimeter dick und werden nach oben hin dünner. Um die Ecke laufende Vorhänge untergliedern optional größere Räume.
Im ersten Obergeschoss springt die Deckenhöhe auf üppige 3,85 Meter, die man sich im Neubau heute kaum mehr leisten würde. Durch das Stützenraster war man im Bestand auf Raumbreiten von 2,8 Meter beschränkt. Das kann, zumal bei durchgesteckten Wohnungen, schnell zu schlauchförmigen Räumen ausarten. Mit gewissen Tricks haben die Architekten entgegengewirkt. Denn die Räume gehen ineinander über und einspringende Ecken geben Großzügigkeit: Mal mit Oberlicht, mal als lichtleitenden Spiegel. Lange Wandstücke hat man durch Unterbrechungen vermieden.
Die Architekten wollten bewusst „mit den Stützen arbeiten“, sie also immer freistellen und nie mit Wandflächen durchschneiden, um den Charakter zu betonen. Da die Bestandsdecken gerichtet sind, konnte man nicht überall durchbohren. Deshalb sind die Nasszellen in gewissen Bereichen organisiert. Im zweiten Obergeschoss die krasseste Wohnung. Zwar liegt ihre Deckenhöhe mit 2,5 Meter noch im Rahmen, allerdings zieht sich ein 50 Zentimeter tiefer Unterzug über die ganze Länge des Flurs. Um überhaupt erst in diesen zu gelangen, muss man zudem an einer massiven Stütze vorbei, die direkt vor der Wohnungstür steht! Es ist offensichtlich: Hier wurde mit dem gearbeitet, was da war. Die räumliche Gliederung ist durch die Bestandsstruktur vorgegeben. „Die Stütze wird zur Mitbewohnerin“, so Burnand.
Dritte Etage: rue intérieure. Zentrale Schwachstelle der Unité. Zwei Dinge tragen in Basel dazu bei, nicht klaustrophobisch zu werden. Erstens die engere Taktung der Treppenhäuser, die mehr Luft zulassen, und zweitens die Glasbausteine vor den Wohnungen, die Licht geben. Da bei Letzteren zwei klare und zwei matte Steine hintereinandergelegt sind, kann man erkennen, wenn jemand zu Hause ist, aber man sieht nicht hinein. Die Leuchten der rue interiéur sind eine Reminiszenz an Le Corbusiers Unité. Die Bodendecke ist noch aus dem Bestand, darüber beginnt der Neubau mit den Duplex-Wohnungen. Ähnlich wie bei den Paneelen am Außenbau scheiterte im Inneren der Versuch, die Stahlstützen aus den 1970er Jahren wiederzuverwenden. Dies lag zum einen am Abbruchunternehmen, das radikal abräumte, zum anderen an rechtlichen Problemen, denn jedes tragende Bauteil muss brandschutztechnisch und statisch nach einem Ausbau neu kontrolliert werden. Heute stehen neue Stahlbetonstützen.
Im fünften Obergeschoss landet man in der rue extérieur. Der Laubenhang ist zugleich Balkon, von welchem man in die Küchen der einzelnen Wohnungen gelangt. Auf der Dachterrasse wird die Schiffsmetapher offensichtlich. An Deck ist Platz für Yoga, Kochen oder große Feiern mit Blick übers schöne Basel. Außerdem findet hier, fast verschwenderisch, ein weiterer Waschraum Platz sowie ein Gemeinschaftsraum mit eigener Küche, der zusätzlich angemietet werden kann. Idee der Habitat Stiftung ist, Mieter miteinzubeziehen: Eine Nutzergruppe soll sich für den Gemeinschaftsraum verantwortlich fühlen, eine andere für den Garten etc. Die Solaranlagen bilden das Dach des Dachgartens und fallen so gar nicht auf: „Wir wollten kein Solarhaus – aber trotzdem ein kleines Kraftwerk“, sagt Burnand.
Zum Ende des Rundgangs nochmal nach ganz unten. Das zweite Untergeschoss, dort wo die Weintanks lagerten, hatte vor dem Umbau mit über sechs Metern Höhe kathedralenartige Anmutung. Hier zog Esch Sintzel ein Zwischengeschoss ein. Im heutigen zweiten Untergeschoss ist eine Tiefgarage, und darunter versteckt sich ein weiterer Höhepunkt: In der immer noch gewaltigen Etage finden mit dem Raum-im-Raum-Konzept Musikproberäume für Schlagzeuger Platz, insgesamt sieben großzügig gemauerte Kisten und eine eigene kleine Küche. Der rohe Betoncharme erinnert an einen Underground-Club. Die Idee kam Musikerinnen und Musikern, die dank des ebenfalls von der Habitat Stiftung unterstützten Musikerhauses schon auf dem Lysbüchel-Areal angesiedelt waren. Sie suchten für laute Probesessions Räume in der Nähe, die musikaffine Stiftung konnte hier weiterhelfen.
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