Bauwelt

Württembergische Landesbibliothek in Stuttgart


In der vertrackten Situation an der Straßenschneise B 14 sucht der Erweiterungsbau der Württembergischen Landesbibliothek so gut es geht den Dialog mit Bestand und Geschichte.


Text: Heißenbüttel, Dietrich, Esslingen am Neckar


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    Stuttgart-Stadtautobahn, Ecke Ulrichstraße: Der Erweiterungsbau der Landesbibliothek ...
    Foto: Brigida González

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    Stuttgart-Stadtautobahn, Ecke Ulrichstraße: Der Erweiterungsbau der Landesbibliothek ...

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    ... prägt einen urbanen Großraum mit.
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    Die Erweiterung platzierten Lederer Ragnarsdottír Oei dort, wo schon Horst Linde, Architekt des Altbaus, in den 1960er Jahren ein Volumen skizziert hatte.
    Foto: Brigida González

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    Die Erweiterung platzierten Lederer Ragnarsdottír Oei dort, wo schon Horst Linde, Architekt des Altbaus, in den 1960er Jahren ein Volumen skizziert hatte.

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    Die weiten Sichtbetonoberflächen und die Shed-Dächer ... Foto: Brigida González

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    Die weiten Sichtbetonoberflächen und die Shed-Dächer ...

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    ... verleihen der Bibliothek nicht nur eine re­duzierte Ästhetik, ...
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    ... verleihen der Bibliothek nicht nur eine re­duzierte Ästhetik, ...

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    ... sondern auch eine leicht brutalis­tische Anmutung.
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    ... sondern auch eine leicht brutalis­tische Anmutung.

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    Zwischen Altbau und Erweiterung haben LRO einen Vorplatz angelegt, mit einer Treppe, die hinab zur Stra­ße führt.
    Foto: Brigida González

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    Zwischen Altbau und Erweiterung haben LRO einen Vorplatz angelegt, mit einer Treppe, die hinab zur Stra­ße führt.

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    Die Laibungen der Sägezahn-Fassade sind außen mit Kupfer verklei­det – ...
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    Die Laibungen der Sägezahn-Fassade sind außen mit Kupfer verklei­det – ...

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    ... eine Referenz an den Alt­bau aus den sech­ziger Jahren.
    Foto: Brigida González

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    ... eine Referenz an den Alt­bau aus den sech­ziger Jahren.

    Foto: Brigida González

Mit den ersten Blüten des Jahres begrüßte die Württembergische Landesbibliothek bis vor kurzem im Frühjahr ihre Besucher. Eine kleine Bogenbrücke führte über einen Steingarten hinweg zum unteren Eingang. Ein langgestrecktes Wasserbassin im Inneren, mit großen Pflanzen, verstärkte den ostasiatischen Eindruck. Mit einer einzigartigen Sensibilität hatten Architekt Horst Linde (1912–2016) und die Planer des Staatlichen Hochbauamts die Empfangssituation gestaltet. Die Brücke ist längst weg, das Bassin stand lan­-ge Zeit trocken, und die beiden japanischen Zierkirschen am Eingang sind der Baustelle für den Erweiterungsbau zum Opfer gefallen. Derzeit wächst auf der Fläche vor dem 1970 fertig gestellten Bau kein Grashalm.
„Merkwürdig fanden wir den Umstand, dass erst durch die Einlassung der Architekten die Bibliothek unter Denkmalschutz gestellt wurde“, bemerkt Arno Lederer, der an sein Studium einst ein Jahr Denkmalschutz angehängt hat, beiläufig in einem Text zu dem von seinem Büro Lederer Ragnarsdóttir Oei (LRO) geplanten Erweiterungsbau, der nun im Oktober Eröffnung feierte. Ein vier-, straßenseitig fünfgeschossiger, hellgrauer Kubus mit gezacktem Dach, teils schräg gestellten, teils bullaugenartigen Fensterlöchern und einem geschwungenen Entlüftungskamin steht nun ganz vorn an der Ecke zur Ulrichstraße und drängt den Bestandsbau in den Hintergrund.
„Es war in erster Linie eine städtebauliche Aufgabe“, beschreibt Lederer den Ausgangspunkt für den Erweiterungsbau. Drei konträre Visionen liegen an dieser Stelle seit Jahrzehnten miteinander im Clinch. Zuerst die autogerechte Stadt: 100.000 Autos rauschen täglich auf der Bundesstraße 14 zwischen Landesbibliothek und Akademiegarten vorbei. Aber schon Linde hatte auch das Gegenüber im Blick. Zehn Jahre vor der Bibliothek hatte er den Landtag entworfen, von den Plänen Kurt Viertels ausgehend. Zu diesem, zur Oper und zum Park öffnete die Bibliothek ihre beiden Arme, stieg der Bau vom Hauptlesesaal aus stufenweise hinab. Nur führte kein Weg über die achtspurige Straße.
Von Linde als Leiter der Hochbauabteilung des Finanzministeriums stammte auch das städtebauliche Gesamtkonzept, vom flachen Bau des ungefähr gleichzeitig entstandenen Hauptstaatsarchivs bis hin zum Landtag. Beide Gebäude stehen längst unter Denkmalschutz, die Landesbibliothek bisher nicht. Zudem liegt der Hauptlesesaal als höchster Baukörper exakt auf der Achse zwischen dem Mittelrisalit des Neuen Schlosses und der Verfassungssäule vor dem Landgericht auf der Rückseite.
Für Lederer war klar: Es verbot sich, diese Sichtachse zu stören – wie manche Mitbewer-ber im Wettbewerb 2010 dies taten (Bauwelt 6.2011). Oder wie andere in die Substanz des Bestandsbaus einzugreifen, der nun nach der Eröffnung des Neubaus ebenfalls von LRO denkmalgerecht saniert wird. Somit blieb nur die vordere nördliche Ecke des Grundstücks, wo sich tatsächlich schon in Plänen James Stirlings von 1987, und sogar in einer Skizze Horst Lindes, ein Quadrat für den Erweiterungsbau eingezeichnet findet. Auch wenn der voluminöse Baukörper damit die Blickbeziehung zwischen den beiden Linde-Bauten unterbricht.
Stirlings Pläne und Lindes Skizzen stammen aus einem „Internationalen Symposium zur mu­sealen und städtebaulichen Entwicklung der Landeshauptstadt Stuttgart“ im April 1987, an dessen Ergebnisse im Herbst letzten Jahres mit einer Ausstellung im BDA-Wechselraum erinnert worden ist. Im Anschluss an Stirlings Neue Staatsgalerie war eine dritte städtebauliche Vision entstanden: Lothar Späths „Kulturmeile“. Es war die Zeit der Postmoderne. Die Architekten wollten die Straßenkanten wieder schließen, am besten mit monumentalen Kolonnaden.
Auch LRO wollten nun den Straßenrand wieder neu einfassen. Ihr Neubau steht direkt in der Flucht zu Stirlings Staatsgalerie. Aber Arno Lederer erkennt eben auch die hohe Qualität des Bestandsbaus: eine Großzügigkeit, wie sie heute nirgends mehr zu finden ist. Lindes Entwurf bestand in einer Choreographie des Wegs zu Katalogen und Leihstelle, über eine breite Rampe und Treppe, gefolgt von Büros und Lesesälen. Die Bücher fanden sich in die unterirdischen Magazine verbannt.
Mehr als vier Millionen Bücher waren bisher überwiegend dort untergebracht, ein kleinerer Teil in Lesesälen und an zwei Standorte ausgelagert. Möglichst viel davon sollte nun im Freihandbereich des Neubaus Aufstellung finden. Doch auch wenn im ersten Obergeschoss – das halbe Geschoss zur Straße wird in den Plänen als Untergeschoss bezeichnet – Archivregale mit Handkurbeln zum Einsatz kommen: Mehr als 350.000 Bände, knapp zehn Prozent des Bestands, passen nicht hinein. Der Rest wird während der Sanierung des Altbaus in ein externes Magazin ausgelagert. Aber danach sollen alle Bücher vor Ort Platz finden.
Dies und die rund 350 Arbeitsplätze, die während der Sanierung im Neubau gebraucht werden, bedingen den hohen Flächen- und Raumbedarf. LRO hatten zu kämpfen: bei den Deckenhöhen, bei der Dimensionierung des Lichtschachts in der Mitte des knapp 40 Meter tiefen Gebäudes und bei der Treppe zwischen den Obergeschossen, die nicht ganz so großzügig geraten ist wie bei Linde. Nur gedämpftes Tageslicht fällt in die betongrauen Büchersäle. Doch immerhin: der Ausstellungs- und Veranstaltungsraum, der sich auf der Straßenseite über die gesamte Län­-ge des Gebäudes erstreckt und von dem sich an beiden Enden Vortragssäle abtrennen lassen, vermittelt ein Gefühl von Weite. Innen eingeschossig, schwingt sich die Decke nach außen um eine Etage nach oben.
Auf derselben Ebene, also eine Etage über Straßenniveau, befindet sich der Haupteingang, und zwar auf der Südseite. Zwischen Hauptstaatsarchiv, Neubau und den Bestandsbauten ist hier ein neuer Vorplatz entstanden, von dem aus auch der eingangs beschriebene untere Eingang in den Linde-Bau führt. Darunter befand sich bisher die Tiefgarage, mit einem Eingang von der B 14 her. Mit dem Argument, dass eine Sanierung teurer käme, weil das Gewicht des Erweiterungsbaus eine neue Fundierung nötig gemacht hätte, gelang es Lederer, diese unter den Neubau zu verschieben. Denn er wollte, dass an der Vorderkante Treppen zur Hauptstraße hinab führen, die zum Hinsetzen einladen.
Dies ist einstweilen, wie manches an dem Konzept, noch eine offene Wette auf die Zukunft. Eine doppelte Baumreihe, die von Stirlings Staatsgalerie bis zum Abgeordnetenhaus den Gehweg säumt, soll vor der Landesbibliothek und nach Möglichkeit bis zum Charlottenplatz weiter geführt werden und zum Flanieren einladen. Am straßenseitigen Eingang, unter dem Ausstellungssaal, befinden sich rechts die Garderobenschränke und links ein Café. Bei schönem Wetter sollen Tische und Stühle nach draußen wandern. Im derzeitigen Zustand der Stra­ße scheint dies gewagt. Aber dieser Zustand kann und soll sich ändern.
Es ist kein Zufall, dass der BDA mit seiner Ausstellung an die Pläne von vor 33 Jahren erinnert. Denn soeben wurde ein Städtebaulicher Planungswettbewerb zum Thema „Neuer Stadtraum B 14“ entschieden, mit dem Ziel, den Autoverkehr zu halbieren (Bauwelt 24.2020). Eindeutige Gerichtsurteile zu den viel zu hohen Schadstoffwerten, die Initiativen „Aufbruch Stuttgart“ und „Stuttgart lauf nai“ sitzen der Stadt im Nacken, die sich freilich noch nicht ganz sicher scheint, ob sie den siegreichen Entwurf des Büros asp auch umsetzen will. Den Autoverkehr einschränken? Das schien in Stuttgart bisher völlig undenkbar.
„Es braucht noch Zeit“, seufzt Lederer. Wenn der Prozess schon weiter wäre, hätte er ganz anders planen können. Aber: „Man kann nicht warten, bis der große Wurf kommt, man muss etwas setzen. Das ist vielleicht auch schlauer.“ Zu der Setzung des Büros LRO gehört auch, den Vorplatz mit den Fritz-Faller-Brunnen zu möb­lieren, die zur Bundesgartenschau 1961 im Unteren Schlossgarten aufgestellt worden waren und dann 2012 der großen Bahnhofsbaustelle Platz machen mussten. So holt Lederer sogar ein StückStadtgeschichte buchstäblich wieder aus der Versenkung hervor. Dies wird zwar die Wunden nicht heilen, aber doch, wie Roland Ostertags Reminiszenz an das Kaufhaus Schocken im Kopfbau des Bosch-Areals, wenigstens die Erinnerung bewahren.
Die Materialien sind schlicht: innen Sichtbeton und Schwarz-Weiß-Kontraste, Schieferboden, auf der Straßenebene Birkenholz wie im Wilhelmspalais, früher Stadtbücherei, das Lederer zuvor zum Stadtmuseum umgebaut hat. Außen ist der Beton aufgehellt. Aber er bestimmt das Bild: ein Bunker. Trotz der spielerischen Fensteröffnungen, die jeweils zwei Etagen zu gezackten Bändern zusammenfassen. Straßen- und Erdgeschoss bilden eine Einheit, zweites und drittes Obergeschoss auch. Dazwischen eine Reihe Bullaugen, oben nur schmale Schießscharten. Das gezackte Sheddach mit den symmetrischen Reitern, die jeweils von der Nordseite Tageslicht einlassen, erinnert an eine Fabrik.
In der Lernfabrik sind die Arbeitstische, soweit sie ihr Licht nicht von dort empfangen, rundum entlang der Fassade aufgestellt. Die im 45-Grad-Winkel schräg gestellten Fenster der zweiten und dritten Etage eröffnen den Blick mal auf das Stadtzentrum, dann wieder auf Landtag und Oper oder über die Dächer hinweg in Richtung Uhlandshöhe. Die zweite Schräge ist jeweils außen mit Kupfer verkleidet, als Reverenz an den Altbau.
Die Erweiterung lässt den Bestand intakt, stellt ihn aber ein wenig in den Schatten. Schade, aber im gegenwärtigen Zustand der Automeile kaum zu vermeiden. Was hätte man tun können? Etwas weniger Beton und mehr Kupfer hätten den Bezug zum Linde-Bau deutlicher gemacht. Das Volumen auflockern, leicht verdrehen wie Rolf Gutbrods Baden-Württembergische Bank auf dem Kleinen Schlossplatz, weiter an die Straßenkante rücken? Viel Spielraum blieb nicht. Nicht solange eine neunspurige Straße die Verbindung zum Akademiegarten blockiert.



Fakten
Architekten Lederer Ragnarsdóttir Oei, Stuttgart; Horst Linde (1912–2016)
Adresse Konrad-Adenauer-Straße 10, 70173 Stuttgart


aus Bauwelt 3.2021
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