Bauwelt

Wandel! Fantasie! Dekolonisierung! Dekarbonisierung!

Nach Kazuyo Sejima, Yvonne Farrell und Shelley McNamara wird mit Lesley Lokko ein drittes Mal eine Frau die Architekturbiennale in Venedig kuratieren – und zum ersten Mal den Fokus auf Afrika legen.

Text: Klingbeil, Kirsten, Berlin

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    Manchmal braucht es ein Megafon, um sich Gehör zu verschaffen.
    Foto: Festus Jackson Davis

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    Manchmal braucht es ein Megafon, um sich Gehör zu verschaffen.

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    Lesley Lokko mit Biennale-Präsident Roberto Cicutto bei der Pressekonferenz zur 18. Architekturbiennale in Venedig
    Foto: Jacopo Salvi/Courtesy La Biennale di Venezia

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    Lesley Lokko mit Biennale-Präsident Roberto Cicutto bei der Pressekonferenz zur 18. Architekturbiennale in Venedig

    Foto: Jacopo Salvi/Courtesy La Biennale di Venezia

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    Andrew Ó Murchú: Grassland Science Department, Carlow, Ireland 2021
    Foto: BothAnd Group

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    Andrew Ó Murchú: Grassland Science Department, Carlow, Ireland 2021

    Foto: BothAnd Group

Wandel! Fantasie! Dekolonisierung! Dekarbonisierung!

Nach Kazuyo Sejima, Yvonne Farrell und Shelley McNamara wird mit Lesley Lokko ein drittes Mal eine Frau die Architekturbiennale in Venedig kuratieren – und zum ersten Mal den Fokus auf Afrika legen.

Text: Klingbeil, Kirsten, Berlin

Nach allem, eher wenigem, das bisher über das diesjährige Hauptthema der Biennale – „The Laboratory of the Future“ – bekannt ist, dürfte es für viele Besucher der westlich geprägten Welt unangenehm werden. Wie schon die Documenta 15, die weltgrößte Kunstausstellung in Kassel, wird sich auch die 18. Biennale, die weltgrößte Architekturausstellung in Venedig, dem globalen Süden widmen – und brechen mit dem, was lange Zeit als allgemeingültige Norm gehandelt wurde. Und ja, die Zeit dafür ist überfällig.
„Es wird oft gesagt, dass Kultur die Summe der Geschichten ist, die wir uns über uns selbst erzählen. Das ist zwar richtig, doch fehlt in dieser Aussage jede Anerkennung dessen, wer das betreffende wir ist. Vor allem in der Architektur war die dominierende Stimme historisch gesehen eine einzige, exklusive Stimme, deren Reichweite und Macht große Teile der Menschheit ignoriert – finanziell, kreativ, konzeptionell – als ob wir nur in einer Sprache zugehört und gesprochen hätten. Die Geschichte der Architektur ist daher unvollständig. Nicht falsch, aber unvollständig.“
Um nichts weniger, als diese Geschichte zu vervollständigen, geht es Lesley Lokko, von der dieses Statement stammt. Sie macht auch kein Geheimnis daraus, wessen Stimmen hier Ge­-hör verliehen werden sollen – denen des afrikanischen Kontinents. Die ghanaisch-schottische Architektin, Akademikerin und Romanautorin hat in ihrer Karriere auf verschiedenen Wegen versucht, diesen Stimmen Gewicht zu verleihen, beispielsweise gründete sie gleich zwei Architekturschulen: 2015 die Graduate School of Architecture an der Universität von Johannesburg und 2020 das African Futures Institute in Accra, Ghana. Mit der Biennale wird sie ihnen nun ein wei­teres Mal Gehör verschaffen – und fragt: Was wollen wir sagen? Wie wird das, was wir sagen, etwas ändern?
Darauf werden in Venedig 89 Teilnehmer, deren namentliche Bekanntgabe auf der Pressekonferenz Mitte Februar den größten Raum einnahm, in der Ausstellung Antworten präsentieren, die in sechs Themenfelder eingeteilt sind. Die Hälfte der Teilnehmer stammt aus Afrika oder der afrikanischen Diaspora. Statt nur auf etablierte, große Büros zu setzen, finden sich in Lokkos Auswahl viele kleine und auch Ein-Frau/Mann-Büros. Das Geschlechterverhältnis ist 50/50, das Durchschnittsalter der Teilnehmer liegt bei 43 Jahren, die Jüngste ist 24 Jahre alt. Allein anhand der statistischen Analyse der Teilnehmer ließe sich laut Lokko bereits ein seismischer Wandel in der Kultur der Architekturproduktion ablesen: „Das Gleichgewicht hat sich verschoben. Die Dinge fallen auseinander. Das Zentrum kann sich nicht mehr halten.“ Statt von Architektinnen oder Urbanisten, Designerinnen, Landschaftsarchitekten, Ingenieuren oder Akademikerinnen wird daher auch von „practitioners“, also Praktizierenden, gesprochen. Es wird schnell klar, dass mit dieser Biennale ein Wan-del gefordert wird, die Parameter neu gesetzt und der Blick geweitet werden sollen.
Dass es längst an der Zeit war, dass dieses Thema nach Venedig kommt, können wir aus der eigenen Praxis belegen: Die Stadtbauwelt zu Lagos erschien 2004, die zur Subsahara 2021 – zwei Hefte zu Afrika in knapp zwanzig Jahren. Die Lagos-Ausgabe thematisierte unter anderem, welchen Schaden die Kolonialmächte auch auf städtebaulicher Ebene angerichtet haben durch die Implementierung europäischer Vorstellung von Stadtplanung – und zu welcher Entwurzelung der Gesellschaft dies führte. Auf der Biennale ist der Dekolonisierung, zusammen mit der Dekarbonisierung, ein Themenbereich gewidmet.
„Alle Teilnehmer dieser Biennale sprechen aus der reichhaltigen kreativen „Sowohl-als-auch“-Position, die für diejenigen typisch ist, die mehr als eine Identität haben, mehr als eine Sprache sprechen oder von Orten aus sprechen, die lan­-ge Zeit als außerhalb des Zentrums betrachtet wurden“, sagt Lesley Lokko. Was diese knapp neunzig Teilnehmerinnen und Teilnehmer außerdem eint? „The imagination“, die Fantasie! Denn, „um eine bessere Welt zu schaffen, muss man sie sich zuerst vorstellen können.“
Dass die Begrifflichkeit „The Laboratory of the Future“, die ähnlich anderer Biennale-Titel wie „Freespace“ oder „How will we life together?“ Raum zum Experimentieren lässt, zeigen die Interviews mit einigen Kuratoren der Länderpavillons auf den folgenden Seiten. Der afrikanische Kontinent spielt bei ihnen vordergründig keine Rolle.

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