Archipel fala
Ein Blick hinter die Kulissen: Projekte und Arbeitsweise vom portugiesischen Atelier fala
Text: Landes, Josepha, Berlin
Archipel fala
Ein Blick hinter die Kulissen: Projekte und Arbeitsweise vom portugiesischen Atelier fala
Text: Landes, Josepha, Berlin
Palmen, Sand, Meer – farbenfrohe Vorstellungen von der Insel sind oft trügerisch. Tatsächlich bekommt man im Süden schneller Sonnenbrand als zuhause, manchmal regnet es auch dort, und überhaupt weiß man, dass es den Einheimischen häufig deutlich schlechter geht als den Touristen mit ihren Drinks aus Kokosnüssen am Strand. Vor Bildern ist Vorsicht geboten, vor allem, wenn sie allzu bunt daherkommen. Was für Reisen ins Warme bestimmt oft wahr ist, stellen die Architekten und Architektinnen des portugiesischen Ateliers fala für ihr Metier seit fast zehn Jahren sehr nachdrücklich in Frage: Warum dürfen wir nicht, sollten wir nicht – ? Auf den ersten Blick mag es scheinen, sie wollten die Frage auf „– ein bisschen Spaß haben“ hinauslaufen lassen. Diesen Blick haben facebook und instagram geschult – jene Netzwerke, die sich fala früh zu Nutze gemacht haben. Er erfasst jedoch nicht die ganze Wahrheit. Viel wichtiger, und das konnte ich während eines Besuchs bei ihnen in Porto beobachten, ist die Ergänzung „– gute Architektur machen.“ Ihre liebevollen Collagen sind dabei nur eine vieler Inseln, deren Gesamtheit sie als Archipel bezeichnen. Betrachten wir mehr als das Bildwerk. Ein Thementeil über das Atelier und darüber, was seine Projekte ausmacht: die Zusammenarbeit mit Kolleginnen, Bauherren, Fotografen und Flexibilität noch auf der Baustelle.
Meine erste Begegnung mit Ana Luisa Soares und Filipe Magalhães fällt auf den portugiesischen Nationalfeiertag, den 25. April. Nur die beiden und ihr Hund Taxi begrüßen mich in der Rua do Gêres, gelegen im ersten Ring um die Altstadt von Porto. Das Büro befindet sich im Untergeschoss des Hauses, in dem sie und Ahmed Belkhodja auch wohnen. Beide haben in Porto studiert. Ihn haben sie in Basel im Studio von Harry Gugger kennengelernt. Seit 2016 ist er ihr Partner; seit dem vergangenen Jahr ist auch Lera Samovich Partnerin, die 2013 als Praktikantin, damals bei „Filipe Ana Luisa Architects“, angefangen hat. Heute ergeben ihre Namen auf andere Art und Weise „fala“ – sie nehmen es als einen Spaß, nicht Schicksal. Ahmed und Lera unterrichten derzeit in Paris, weshalb ich sie nur in einem Video-Call sprechen werde.
Filipe wurde 1987, Ana Luisa 1988 geboren. Sie sind so alt wie ich. Wenn die beiden von ihren „Lieblingsarchitekten“ sprechen, geht es um „al-te Japaner“, Architekten der 1970er Jahre, zum Beispiel um Kazuo Shinohara – sie sind verrückt nach Shinohara –, Toyo Ito etc. Das Risiko, denen in die Arme zu laufen, hält sich in Grenzen, wenn beide auch immer wieder in Japan waren, sogar im Nakagin Capsule Tower gewohnt und darüber 2013 für die italienische domus einen Erlebnisbericht geschrieben haben. (Schauen Sie mal danach! In der Bebilderung treten sie äußerst beiläufig selbst auf.) Diese Beiläufigkeit, „unprätentiös“ trifft den Nagel auf den Kopf, umgibt sie auch noch heute, fast zehn Jahre danach. Es ist erfrischend, das zu bemerken.
Ich möchte einräumen, dass ich falas Arbeit bereits vor dem Besuch sehr geschätzt habe, und daran hat sich nichts geändert – im Gegenteil. Auch in der Journalistin schlägt ein Herz. Es schlägt für eine Architektur, die Mut erkennen lässt, gegen einen Status Quo aufzubegehren – und dem Ausdruck verleiht. Für gestaltete Architektur.
fala geht es bei allem, was sie tun, in erster Linie um den Kern von Architektur, um Konzept, um Form, Material, Ausdruck, Zusammenhalt – darum, etwas mit Raum anzufangen, nicht Raum hinzunehmen. Sie verschwenden nicht ihre Zeit mit Attitüde. Sie sind eins von wenigen Ateliers, die zeitgenössisch bauen, ohne dabei zu banalisieren. Sie wissen, was sie tun, wenn sie Farben nutzen, mit Materialien spielen, Formen ausprobieren und sogar, wenn sie Topfpflanzen in einer Visualisierung platzieren. Glücklicherweise ist die Zeit vorbei, in der Topfpflanzen Naserümpfen hervorriefen. Und glücklicherweise retten fala uns vor der Pinterestisierung der Topfpflanze.
Es gab eine Zeit des Ornaments, es gab eine Zeit nach dem Ornament. Es gab eine Zeit des Weniger-ist-mehr und eine Zeit des Doch-wieder-mehr. In Lehrbüchern war die Rede von Moderne, von Postmoderne. Und mittlerweile liest keiner mehr Lehrbücher. Außer vielleicht Ahmed, dessen Wohnung sie durchaus dominieren. Eine Auseinandersetzung mit fala befördert zwangsweise den Stil-Begriff zutage. Einen Begriff, zu dem Architektinnen und Architekten in den letzten zwanzig Jahren eine zunehmend schräge Beziehung entwickelt haben. Als gäbe es keinen visuellen Ausdruck, sind viele dazu übergegangen, ihn zu ignorieren oder gar zu negieren. fala hingegen akzeptieren, was Architektur visuell liefert, ja sie setzen darauf, ohne es dabei bewenden zu lassen. Stil sei eine Folge von Entscheidungen, erklärt Ahmed. Was mir noch wichtiger scheint, ist der Nachsatz: „Stil ist nichts, was man anhand eines Lehrbuchs entwickelt.“ Es ist mutig, das zu sagen, geradezu rebellisch, subversiv. Man mag kaum glauben, wie sehr Miami-Vice-Farben und -Formen manch einen aus der Fassung bringen können.
Dabei ist alles sehr ordentlich, sehr rational gemacht bei fala. Alles was sie tun ist, ihren Lösungsansätzen einen jeweils eigenen Ausdruck zu verpassen. Ein Raum ist zu lang? Wie kann trotzdem die Spannung beibehalten werden? Wellen wir die Begrenzungen! Eine Treppe ist zu dicht an der Decke geführt? Treppen wir die Decke ab – und zwar mit Mehrwert, denn nun hat der darüberliegende Duschraum ein stufenförmiges Regal. Lösungen dieser Art finden sich in ihrem eigenen Haus mehr als einmal. Darüber hinaus ist ihnen die jedem Bauteil innewohnende Eigenkraft wichtig, um innerhalb eines Projekts die Balance zu halten – ein Akt, erst erreicht durch Reibungsenergie, die sie auch am Austausch mit einander und anderen schätzen. Ahmed: „Wir sind alle Individuen – keine Ableger der Marke fala.“
Ana Luisa erklärt mir das mit den Bauteilen am Beispiel des Hauses in der Rua do Gêres. Zum einen liege ein Augenmerk auf den Stützen: Es gibt statische und architektonische; zudem ei-ne, die zwar nötig war, jedoch aus dem Raster gerückt wurde, um neben Tragwerk auch Raumgliederung zu sein. Die architektonische steht einfach nur dekorativ auf der Terrasse herum, aber nein – das tut sie eben nicht! Sie steht zwar ohne tragende Funktion, jedoch proportional gliedernd vor der Fassade: Wer hat eigentlich behauptet, die tragende Funktion sei das Wesentliche an Architektur?
Fragen wie diese haben fala in sogenannte Tropen gegliedert, Themen, die sie mal mehr, mal weniger vordergründig bedienen. Darunter verstehen sie etwa Farben, Materialien, Formen. Lera: „Alles entwickelt sich weiter, manche Aspekte behalten wir im Hinterkopf, aber diskutieren sie nicht mehr so sehr. Wir sind Kinder mit einer sehr kurzen Aufmerksamkeitsspanne, wir fangen schnell an, uns zu langweilen.“ Für mich klingt das nach einer organischen Vorgehensweise, nach einem gewissen Grundvertrauen, vielleicht weniger in die Welt als in sich selbst.
Mit sehr viel Lässigkeit tun sie so, wovon Lehrer in der Architekturausbildung meist abraten: Isolieren, Rekombinieren. Ein Ganzes aus einzelnen Wunschvorstellungen entwickeln und sich überraschen lassen. Das führt zu teils spitzfindigen Überschneidungen wie Fenstern in Balken oder Ideen, die bestimmt bei manch einem Maurer Kopfzerbrechen auslösen: ein Fenster dort, wo eine Wand anschließt? „Jedes Element ist Teil einer Ordnung mit eigener Logik“, sagt Ana Luisa. Im Atelierhaus nimmt zum Beispiel der schachbrettartige Terrazzo-Boden gewissenhaft keinerlei Bezug zu Wänden, Treppe oder Mobiliar auf, während er sich exakt gleich ausgerichtet über alle drei Geschosse zieht. fala formulieren mit jeder ihrer Setzungen eine Frage aus. Ahmed:„Wir alle verstehen Architektur als einen Denkprozess, unsere Projekte haben eine innere Logik. Die aus den Gesprächen entsteht. Form ist das Resultat von Denken. Wir beziehen uns zwar gern auf Referenzen, aber am Ende sollte niemand diese alte japanische Architektur kennen müssen, um unsere Projekte genießen zu können.“
Eine Marmorplatte unterm Fenster, ein Spiegel rund um einen Unterzug, eine farbige, geschwungene Decke – jedes dieser „Stilmittel“ lässt sich in ihrer Suche nach einer ehrlichen Architektur verorten. „Ob eine Wand aus Gipskarton oder Ziegel ist, interessiert mich wenig“, sagt Filipe. Er meint, sie muss etwas tun, womit sie den Raum bereichert. Das Mittel zum Zweck ist dabei nicht vorrangig: „Wir arbeiten mit sehr niedrigen Budgets, und trotzdem ist vieles machbar, wenn man nur will.“ fala wollen, dass klar ist, was Raum ausmacht: Grundelemente wie Boden, Wände, Decke. Einrichtung und Funktionsteile wie Schalter, Dosen usw. Sie zeigen deren Verhältnis zueinander. Außerdem experimentieren sie mit grundständiger Geometrie, mit Punkt, Linie, Fläche, Kreis, Quadrat, Dreieck –in ihren Zeichnungen, aber bestechenderweise kommt die Realität diesen Bildern schließlich oft sehr nah.
Die zwölf Kollegen und Kolleginnen im Büro sprechen eine gemeinsame Sprache, auch weil sie gut sortierte Grundlagen nutzen. Vier Tage war ich dort, es ging stets ruhig zu. Kam ich nach 18 Uhr, waren nur noch Ana Luisa und Filipe da, mich zu begrüßen. Sie machen irgendwas richtig, denke ich. Und es könnte mit dem zu tun haben, was mir ihre Kollegin Joana am Dienstag erklärt: Mit der Arbeitsweise – ich darf ihr über die Schulter schauen, in die unzweideutigen Ordnerstrukturen hinter den Projektnummern. Ich kann glauben, dass die jährlich wechselnden Praktikanten und Praktikantinnen sich schnell zurechtfinden. Beinahe selbsterklärend.
„Manche Berufskollegen sagen, dass sie bis zum Bauantrag ein Jahr brauchen. Das ist Zeit, die die Kunden bezahlen. Wir machen das in zwei Monaten. Sie denken, wir zerstören den Markt. Der Markt ist gestört“, sagt Filipe. Sie verplempern sich nicht, sondern ihren unkonventionellen Ideen liegt effizienter Umgang mit klassischem Handwerkzeug zugrunde: Referenzmappen für Klienten, Objektsammlungen für Collagen, Vorlagen für Bauanträge und sogar eine eigens entwickelte Typographie. Ana Luisa: „Wir halten uns lieber mit Inhalten auf, als mit Bürokratie.“ fala wissen, welche Reibungen ihre Anliegen bereichern, und auf welche sie gern verzichten. Sie erfinden nur neu, was ihrer Ansicht nach die Welt bereichert: Zum Beispiel Türen mit Magnetmechanismus statt Schließmechanik. Die kann sogar ein Hund öffnen.
fala wurde 2013 in Porto (PT) gegründet. Ihre Projektarbeit präsentierten die Partner und Partnerinnen unter anderem am RIBA und am Barbican in London, an der Columbia University in New York, an der Graham Foundation in Chicago, am Centre of Fine Arts in Brüssel und an der Casa dell’ architettura in Rom. Ihre Arbeiten waren u.a. auf den Architekturbiennalen in Venedig und Chicago ausgestellt, in der Serralves Foundation in Porto und im Pavillon d’Arsenale in Paris. Publikationen wie domus, L’Architecture d’aujourd’hui, Architectureal Review und 2G widmeten sich ihrem Werk. fala wurden 2020 mit dem Spotlight Award der Rice University ausgezeichnet und vom domus-Magazin unter die weltweit wichtigsten 50 jungen Büros gewählt.
Filipe Magalhães wurde 1987 in Porto (PT) geboren. Er studierte Architektur in Porto und Ljubljana. 2011 war er Praktikant im Studio Harry Gugger, Basel. 2012 arbeite er als Junior-Architekt bei SANAA, Tokio. 2013 gründete er mit Ana Luisa Soares in Porto fala. Filipe unterrichtet derzeit an der ISCTE Lissabon und am Politecnico di Milano.
Ana Luisa Soares wurde 1988 in Porto (PT) geboren. Sie studierte Architektur in Porto. 2011 war sie Praktikantin im Studio Harry Gugger, Basel. 2012 nahm sie an einem Austauschprogramm an der Universität Tokio teil und arbeitete als Junior-Architektin bei Toyo Ito, Tokio. 2013 gründete sie mit Filipe Magalhães in Porto fala. Ana Luisa unterrichtet derzeit an der HEAD Genève.
Ahmed Belkhodja wurde 1990 in Lausanne (CH) geboren. Er studierte Architektur in Lausanne und Zürich. 2011 war er Praktikant im Studio Harry Gugger, Basel. 2012 arbeitete er als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am ETHZ Future City Laboratory in Singapur. Seit 2014 ist er Partner bei fala. Ahmed unterrichtet derzeit an der HEAD Genève und an der Paris-Est.
Lera Samovich wurde 1991 in Novokuznetsk (RU) geboren. Sie studierte Architektur in Moskau. 2012 war sie Praktikantin im Bureau Alexander Brodsky, Moskau. Sie arbeitete als Architektin bei Asse Architects und Nowadays Office, beide Moskau. Seit 2014 ist sie Architektin bei fala, seit 2021 Partnerin. Lera unterrichtet derzeit an der ISCET Lissabon und an der Paris-Est.
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