Bauwelt

Grüße aus Berlin

Ich lebe seit jeher in West-Berlin und bin auch nach der Wiedervereinigung dort geblieben. Doch bis zum West-Berliner Tellerrand habe ich immer schon geschaut.

Text: Schulz, Bernhard, Berlin

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Grüße aus Berlin

Ich lebe seit jeher in West-Berlin und bin auch nach der Wiedervereinigung dort geblieben. Doch bis zum West-Berliner Tellerrand habe ich immer schon geschaut.

Text: Schulz, Bernhard, Berlin

Die Mauer, dieses absurde und doch so niederschmetternd reale Bauwerk bildete oft genug für meine Ausflüge Ziel und Grenze zugleich. Zu Studentenzeiten habe ich vor dem Reichstag Fußball gespielt, der ganze sich anschließende Spreebogen war leergeräumt, aber noch nicht frei von den Spuren der Vergangenheit, die an Straßenschildern wie „In den Zelten“ ebenso haften geblieben war wie im Asphalt, der die einstigen Straßen nachzeichnete.
So wandere ich in dieser Gegend heutzutage immer noch ganz ungläubig: Ist das alles neu, oder ist es ein Traum- oder Trugbild? Über die Spree hinweg schimmert die gläserne Haut des Hauptbahnhofs, der auf dem letzten Zipfel West-Berliner Bodens steht, ehe sich die Gleise der Stadtbahn gen Osten schwingen. Ich mag den Hauptbahnhof; einmal, weil ich als Kind des Eisenbahnzeitalters ohnehin Bahnhöfe liebe, zum anderen, weil ich den Entwurf von Meinhard von Gerkan für einen der richtig großen architektonischen Würfe halte, die nach der Wiedervereinigung Gestalt angenommen haben. Eigentlich – so wenige sind es gar nicht, jedenfalls nicht im „Regierungsviertel“, in dem allein die Schweizerische Botschaft mit ihrem Anbau von Roger Diener daran erinnert, dass hier einmal anderes stand, andere Straßen verliefen, ein anderes Leben sich abspielte.
Nun hat Berlin den Hauptbahnhof, den visionäre Architekten bereits vor dem Ersten Weltkrieg als Lehrter Bahnhof an seine jetzige Stelle gezeichnet hatten, und der nur entstehen konnte, weil die Teilung der Stadt hier eine weiträumige Brache ließ. Ich quere die grüne Fußgängerbrücke über die Spree – Berlin hat so wenig Fußgängerbrücken, immer muss es was fürs Auto sein! – und lasse mich in den Bahnhof hineintreiben, hineinsaugen, in dieses herrlich piranesihafte Gewirr von Treppen und Geschossen, Öffnungen und Durchblicken, auf die unter der immer weiter wachsenden Zahl der Reisenden viel zu schmal gewordenen Bahnsteige oben, mit dem Durchblick zurück auf den Spreebogen ...
Wer jetzt Hunger verspürt, ist im Bahnhof richtig, hier wird alles für die schnelle Sättigung getan. Die anfängliche Austernbar auf der oberen Ebene hat sich nicht halten können, Berlin ist nicht der Ort, wo man im Bahnhof Haute Cuisine erwartet. Stattdessen hat sich eine Imbisskette etabliert, die nicht nur ich in London sehr schätze, mit dem gleichwohl französischen Namen „Pret a Manger“. Jaja, hier ist alles bereit zum Verzehr, Nahrung von der Stange – immerhin, so verspricht es das Filialkonzept, laufend frisch angerichtet. Wem das zu prosaisch ist, der gehe hinaus aus dem Bahnhof, halte sich rechts bis irgendwann das Hutzelhäuschen auftaucht, in dem das Restaurant „Paris – Moskau“ den Zeitläuften trotzt, denn es ward schon vor der Wende etabliert. Nur der Zug, der einst auf den Stadtbahngleisen vorüberfuhr, von Paris nach Moskau, den gibt es nicht mehr, und es wird ihn vielleicht nie wieder geben. So muss man zwischen den beiden Zielorten auf der geografischen Mitteverharren, hier, am Berliner Hauptbahnhof. Mit unbestimmtem Ausgang. Das passt zu Berlin, für immer gelegen an der ebenso imaginären wie wirkmächtigen Grenze zwischen West und Ost.
Lohnenswerter Umweg
Es gibt nichts in Berlin, das nicht in einem Reiseführer aufgeführt wäre. Ganz neu und daher vielleicht noch nicht verzeichnet ist das „Forum an der Museumsinsel“ (Bauwelt 21.23) zwischen Oranienburger Straße und Spree, ein bemerkenswerter Versuch, Bestandsbauten unterschiedlicher Epochen zu revitalisieren und dabei eine Balance zwischen Erhaltung und Kommerz zu finden.
Kulinarisches
Konditoreien gabʼs früher in Berlin zuhauf; heute muss man sie suchen. Eine originelle Variante mit Torten ohne schädliche Ingredienzien bietet „Sinless Cakes“, Ludwigkirchstraße 5, Berlin-Wilmersdorf.
Literaturempfehlungen
Das Berlin der Weimarer Zeit wird in unzähligen Spielfilmen zurechtgebogen. Authentische Stimmen finden sich auf knapp 500 Seiten bei Ruth Glatzer (Hrsg.): Berlin zur Weimarer Zeit. Panorama einer Metropole, Siedler Verlag, Berlin 2000.

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