Bauwelt

Der virtuelle Wettbewerb

Wettbewerbe sind wertvoll. Gewinnt oder verliert dieses zugleich viel geschätzte und kritisch diskutierte Instrument durch die von der Covid-19-Pandemie angestoßene „Virtualisierung“? Was wird übrig bleiben nach diesen ungewöhnlichen Monaten?

Text: Hossbach, Benjamin, Berlin

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    Internationale Jurysitzung für den Lafarge Holcim Award. Am Tisch rechts Marilyne Andersen, links Benjamin Hossbach und Ronny Kutter. Auf dem Bildschirm von oben nach unten rechts: Mitch Joachim, Luisa Pas­tore, Christophe Levy, Reed Kroloff, Sarah Johnston, Jesse LeCavalier, Sarah Burch und Sarah Whiting.

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    Internationale Jurysitzung für den Lafarge Holcim Award. Am Tisch rechts Marilyne Andersen, links Benjamin Hossbach und Ronny Kutter. Auf dem Bildschirm von oben nach unten rechts: Mitch Joachim, Luisa Pas­tore, Christophe Levy, Reed Kroloff, Sarah Johnston, Jesse LeCavalier, Sarah Burch und Sarah Whiting.

Der virtuelle Wettbewerb

Wettbewerbe sind wertvoll. Gewinnt oder verliert dieses zugleich viel geschätzte und kritisch diskutierte Instrument durch die von der Covid-19-Pandemie angestoßene „Virtualisierung“? Was wird übrig bleiben nach diesen ungewöhnlichen Monaten?

Text: Hossbach, Benjamin, Berlin

Homeoffice und Videokonferenzen sind das Mittel der Stunde, um Prozesse einigermaßen weiterlaufen zu lassen. Sicher werden manche der jetzt gemachten Erfahrungen auch nach der Pandemie Gültigkeit behalten: weniger Reisen, flexiblere Arbeitszeiten, schnellere Entscheidungen und mehr Digitalisierung in der Kommunika-tion. Was gilt jedoch in diesen Wochen und künftig auch für Wettbewerbe?
Zunächst, die Branche ist ohnehin in Vielem bereits stark digitalisiert, sodass viele Prozesse vergleichsweise leicht an die Situation angepasst werden konnten. Das gilt auch für Wettbewerbe. Sowohl die Vorbereitung von Wettbewerben, als auch die Teilnahme kann weitgehend in gewohnter Form erfolgen, gegebenenfalls aus dem Homeoffice mit den entsprechenden Hürden bei der Kommunikation. Vermutlich jeder Wettbewerb, egal ob noch in der Vorbereitung oder bereits am Laufen, wurde ein wenig durchgeschüttelt und in der Regel etwas verzögert. Vieles kann aber im Prinzip weitgehend seinen gewohnten Gang fortsetzen.
Schwierig bis unmöglich erschien die Durchführung der Preisrichter- und Teilnehmerkolloquien und die Sitzungen der Preisgerichte, die zu viele Menschen zusammenbringen, und da das Reisen aus dem Ausland untersagt war. Vor diesem Hintergrund und der Sorge, dass Wettbewerbe allein aus diesem Grund verschoben oder gar aufgehoben werden müssen, lag schnell eine optimistische juristische Einschätzung vor, die von mehreren Kammern kommunizierte wurde: Kolloquien und Preisgerichtssitzungen sind auch über Videokonferenzen zulässig, eine physische Anwesenheit ist nach RPW keine Pflicht und die Änderung auf eine rein digitale Abgabe der Unterlagen ebenso. Die Aussage wird auch nach der Pandemie Auswirkungen haben.
So gab es erste über Video organisierte Kolloquien und sogar Preisgerichtssitzungen. Wird also alles besser, und der Wettbewerb erhält in seinem Dornröschenschlaf durch die Krise einen Innovationsschub? Vielleicht. Beglückt stellt man nach diesen Sitzungen jedenfalls zunächst fest, dass der CO2-Fußabdruck des per Video geführten Kolloquiums kleiner blieb und man weniger Zeit auf Reisen verbrachte. So blieb sogar mehr Zeit für anderes. Für den Moment eine erhebende Erkenntnis, insbesondere wenn man die gewonnene Zeit nicht anderweitig im Hamsterrad verbringt. Corona hilft dann bei der Entschleunigung und schubst uns in eine bessere Zukunft! Sicher?
Auf den ersten Blick mag das so scheinen, und es ist gut, dass für einzelne Projekte flexible Notlösungen gefunden werden konnten, zum Beispiel um die zweite Phase eines laufenden Wettbewerbs abzuschließen oder um den Start eines Wettbewerbs mit einer Video-Preisrichtervorbesprechung zu ermöglichen. So kommt das Rad unserer Kreativwirtschaft nicht ganz zum Erliegen, und die Gefahr wird reduziert, dass Vergabestellen jetzt auf die Idee kommen, die Vergabe nicht über Wettbewerbe, sondern über Verhandlungsverfahren auszuschreiben.
Nach einigen Wochen voller Videokonferenzen bestätigen sich aber auch Zweifel. Es gibt Grenzen im Austausch über „GoToZOOM-BLIZZ-TEAMS“. Auch wenn wir alle immer geübter in der Anwendung der Programme werden, sind, im Vergleich zum physischen Miteinander, entscheidende Zwischentöne nicht zu vermitteln. Sicher, das Medium hilft bei der Fokussierung, und viele unnötige Beiträge entfallen. Die ganztägige Fokussierung auf den Bildschirm bedeutet aber auch eine ganz andere Belastung, was der Konzentration wieder abträglich ist. Vor allem entfallen die Blicke in die Augen der anderen, die Nebengespräche in der Kaffeepause und die Debatten vor dem Plan und den Modellen, die weit mehr Sinne ansprechen, als über den Bildschirm transportiert werden können. Dieser Austausch ist für die Klärung und den Aufbau von gegenseitigem Verständnis jedoch unabdingbar. Architektur ist kein Gesetzestext, und Preisgerichtssitzungen dienen ja nicht nur der fachlichen Entscheidung, sondern sind die Plattform für die gesellschaftliche Konsensbildung.

Onkel und Tanten

Für uns Architekten ist das nächtelange Ringen um die beste Idee, die Selbstreflexion über die Aufgabe und die Diskussion im Team das Besondere am Entwerfen. Der Wettbewerb erlaubt eine Teilhabe an diesem Prozess und hebt den kreativen Moment und das Glück über die vermeintlich beste Lösung auf eine Ebene, die in der Öffentlichkeit und unter Kollegen positiv wahrgenommen wird. Der Wettbewerb hat also etwas vom Zusammenkommen und Feiern des besonderen Moments, der Geburt der Projekte. So weit die etwas pathetische Innensicht des Architekten und Planers.
Für Bauherren und andere Projektbeteiligte schafft der Wettbewerb den Rahmen für ein intensives Mitwirken an diesem „Schöpfungsmoment“, anders als bei einem Direktauftrag oder bei über Verhandlungsverfahren vergebenen Projekten. Beim Wettbewerb, und insbesondere in der Preisgerichtssitzung, sind alle dabei: Vertreter von Politik, Verwaltung, Fachdisziplinen und eventuell Bürgervertreter, Betriebsräte oder andere Interessenvertreter. Schon durch die Abstimmung der Aufgabenstellung des Wettbewerbs werden sie zu einem größeren Miteinander gefordert. Durch den Prozess werden sie alle frühzeitig ein Teil dieses Moments, in dem das Projekt zu laufen beginnt. Alle kommen an Bord und werden in Abstimmungsrunden, Kolloquien und Jurysitzungen „Onkel und Tanten“ der Projekte und damit Teil der Familie, die dieses zarte Geschöpf bis zur Realisierung begleiten werden.
Das Zusammensitzen und Diskutieren vor den Plänen, der Austausch über die Ideen wird zum Akt der Aneignung und des Erfassens der besten Idee. Die Gestaltung dieser Situation ist daher in jedem Wettbewerbsverfahren eine besondere Chance. Nicht nur organisatorisch muss alles stimmen – vom Einladungsschreiben zum Namensschild, von der Hotelreservierung bis zum Catering. Noch wichtiger ist die Choreografie des Gesprächs, das all die technischen Belange auffängt, damit jedes Fachgebiet und jede Sichtweise auf das Projekt Berücksichtigung findet. Entscheidend sind die Atmosphäre und der Spaß am gemeinsamen Tun, der der Gruppe das Gefühl verleiht, die richtige Entscheidung getroffen zu haben und vertreten zu können.

Jedesmal abwägen

Alle, die diese Prozesse kennen, werden bestätigen, dass bei vielen Projekten die Wettbewerbsphase und die Preisgerichtssitzung als wichtige Momente in Erinnerung bleiben. Momente, in denen Lösungen akzeptiert werden, die sonst keine Chance gehabt hätten. Kann all das auch virtuell stattfinden? Die Geschichte wird uns eines Tages lehren, ob wir gerade ein kurzes Strohfeuer erleben oder, ob Wettbewerbe, angestoßen durch die Corona-Krise, einen neuen positiven Dreh erhalten oder einen Verlust erlitten haben. Jeder Wettbewerb betrifft eine andere Personengruppe und eine andere Aufgabenstellung. Ob Sitzungen per Video ratsam sind oder nicht, ist für jedes Projekt und jede Veranstaltung sorgfältig und projektbezogen abzuwägen.
Beim Preisrichterkolloquium lernen sich die Preisrichter kennen und beginnen den Vertrauensaufbau untereinander. Kern des Kolloquiums ist die Debatte über die richtige Formulierung der Aufgabe und letzten Details des Verfahrens. Der hierzu erforderliche Austausch kann in vielen Fällen auch über Video angemessen stattfinden. Das erforderliche Kennenlernen des Ortes kann durch Drohnenvideos und eine gute mündliche Einführung durch den Bauherren stattfinden. So können Verluste durch das Medium weitgehend ausgeglichen werden.
Das Teilnehmerkolloquium, bei dem im Normalfall die Konkurrenz und das Miteinander mit den Kollegen physisch spürbar ist, verliert an Qualität, wenn es über Videokonferenz stattfindet. Der persönliche Kontakt mit dem Bauherren und anderen Beteiligten ist für die Teilnehmer genauso wichtig wie die Klärung von Rückfragen.
Die Frage, ob eine Preisgerichtssitzung ohne physische Anwesenheit der Mitglieder des Gremiums sinnvoll ist, ist deutlich komplexer. Unter der Voraussetzung der Zustimmung aller Beteiligten lässt sich auch für diesen Verfahrensschritt eine technische Lösung finden – und man kann ihn auch bei Preiswettbewerben praktizieren. Für Planungswettbewerbe bestehen insofern erhebliche Zweifel, ob die Abwicklung der Preis­gerichtssitzungen über Videokonferenz, von Ausnahmen abgesehen, eine für das Projekt sinnvolle Lösung darstellt. Relativ leicht umzustellen wäre die Anpassung der Formate für eine digitale Abgabe, sodass Projekte technisch auch über einen 17-Zoll-Bildschirm erläutert werden können. Die Gewährleistung der Anonymität bei der Abgabe lässt sich bei einer toleranten Vergabestelle mit einfachen Lösungen sicherstellen. Um alle Anforderungen des Vergaberechts zu gewährleisten, ist der Aufwand nicht unerheblich und für kleinere Wettbewerbsbetreuer kaum zu leisten. Der entscheidende und relevante Punkt bleibt der Verlust der direkten Debatte und die fehlende Haptik der Pläne und Modelle. Letzteres bedeutet auch in der anschließenden Ausstellung, bei der Vermittlung des Ergebnisses in der Öffentlichkeit, einen relevanten Verlust.
Summa summarum: Man kann alle Ereignisse in Wettbewerbsverfahren durch technische Lösungen auch als Videokonferenz abwickeln. Die Beteiligung aller oder einzelner Preisrichter über Video bei Kolloquien und virtuelle Teilnehmerkolloquien sind Instrumente, die auch künftig für viele Verfahren eine Bereicherung darstellen werden, im Interesse des Klimaschutzes einen Beitrag leisten können und entsprechend in einer neuen RPW verankert werden sollten. Über Video durchgeführte Preisgerichtssitzungen müssen aber eine seltene Ausnahme bleiben, um nicht wichtige Qualitäten des Wettbewerbs und damit auch der Resultate zu verlieren. Die Olym­piade der Architektur atmosphärisch nicht zum Videospiel verkommen.

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