Bauwelt

Freie Fahrt

Kirsten Klingbeil blickt aus ihrer Wohnung auf ein Gebäude von Álvaro Siza, eines von Otto Steidle und noch immer auf eine sehr große Baustelle.

Text: Klingbeil, Kirsten, Berlin

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Freie Fahrt

Kirsten Klingbeil blickt aus ihrer Wohnung auf ein Gebäude von Álvaro Siza, eines von Otto Steidle und noch immer auf eine sehr große Baustelle.

Text: Klingbeil, Kirsten, Berlin

In weiser Voraussicht, dass etwas Besonderes entstehen würde, zierte vor 40 Jahren eine Zeichnung aus dem Wettbewerb für ein Seniorenwohnhaus den Titel der Bauwelt 23.1982 „daheim im Heim“. Ein Gebäude von Otto Steidle, das als Teil der IBA ‘87 unter der Vorgabe der behutsamen Stadterneuerung realisiert wurde. Es ist beispielhaft für diese Wohntypologie geworden – und steht quasi in meinem Hinterhof. Nur durch einen Zufall konnte ich es besichtigen; am Eingang prangert „Betreten verboten“. Ein Glashaus, wie man es aus Botanischen Gärten kennt, bindet einen langgestreckten Neubau an die Brandwand eines Altbaus. Mit einer Rampenkonstruktion, die sich durch den Dschungel aus großen Grünpflanzen zieht, werden die Se-nioren- und Familienwohnungen in Alt- und Neubau weitgehend barrierefrei erschlossen. Ein Paradebeispiel kommunikationsstiftender Architektur.

Entstanden aus einer Kreuzberger Ini­tiative als der Stadtteil durch den Mauerverlauf noch am Rand von Westberlin lag und die Straßen in Sackgassen mündeten. Jetzt kommt man von hieraus in alle Himmelsrichtungen – solange man gut zu Fuß ist. Die nächstgelegene U-Bahn-Station ist nur über Treppen erreichbar. Für die Auszeichnung „Barrierefreie Stadt“, die die Hauptstadt 2013 erhielt, genügen demnach 78 Prozent barrierefrei zugängliche U-Bahnhöfe. Die Zahl findet man auf der Seite der Berliner Verkehrsbetriebe. Klickt man in deren App „Fahr­info“ die Wahlmöglichkeit „barrierefrei“ an, verlängert sich die Fahrtzeit in der Regel um das Doppelte und ist meist mit längeren, fußläufigen Wegstrecken und einigen Umstiegen verbunden. Dass nun gerade die weniger mobilen Bewohner und Bewohnerinnen dieses Gebäudes am Treppenabsatz der U-Bahn-Station auf kräftige Träger angewiesen sind, könnte wohlwollend als ein weiterer Akt zur Kommunikationsförderung interpretiert werden – ist in der Re-gel für viele Menschen aber ein großes Hindernis.
Daher ist der Anlass für die Kolumne erneut die seit nunmehr zwei Jahren andauernde Sanierung der U-(Hoch-)Bahn-Station vor meiner Tür, diesmal aber ein erfreulicher: Die Gerüste für die längst überfälligen Aufzüge stehen.

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