Bauwelt

Gefährdet der Zehlendorfer Fassadenstreit potenzielles Welterbe?

Wie denkmalgerecht energetisch sanieren? Das Fassadenmaterial Aerogel, ein nanokleiner Hochleistungsdämmstoff, stößt im Berliner Landesdenkmalamt auf Ablehnung.

Text: Homann, Shirin Sherazade, Berlin

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    Das Landesdenkmalamt verbietet eine Außendämmung der Fassaden – trotz Vorga­ben der UNESCO-Welterbekommission, der Kultus­ministerkonferenz und des neuen Berliner Koalitionsvertrags, der eine Änderung des Denkmalschutzgesetzes zugunsten des Klimaschutzes vorsieht.
    Foto: Brenne Architekten

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    Das Landesdenkmalamt verbietet eine Außendämmung der Fassaden – trotz Vorga­ben der UNESCO-Welterbekommission, der Kultus­ministerkonferenz und des neuen Berliner Koalitionsvertrags, der eine Änderung des Denkmalschutzgesetzes zugunsten des Klimaschutzes vorsieht.

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    Taut-Typ II Gartenfassade, Materialschichten v.r.n.l.: bauzeitliches Holzkastendoppelfenster rot, gelb, materialsichtig; bauzeitlicher Putz über Mauerwerk, nicht denkmalgerechtes Oberputzpaket, nicht denkmalgerechtes Farbschicht­paket
    Foto: Doro Carl, Mark Herterich, Shirin Homann, Uta Homann, Henry Lohse, Helge Pitz, Sebastian Schurig, Felix Wellnitz

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    Taut-Typ II Gartenfassade, Materialschichten v.r.n.l.: bauzeitliches Holzkastendoppelfenster rot, gelb, materialsichtig; bauzeitlicher Putz über Mauerwerk, nicht denkmalgerechtes Oberputzpaket, nicht denkmalgerechtes Farbschicht­paket

    Foto: Doro Carl, Mark Herterich, Shirin Homann, Uta Homann, Henry Lohse, Helge Pitz, Sebastian Schurig, Felix Wellnitz

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    Der von Bruno Taut entwickelte „schmale Typ II“
    Zeichnungen: Architekturwerkstatt Pitz Brenne

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    Der von Bruno Taut entwickelte „schmale Typ II“

    Zeichnungen: Architekturwerkstatt Pitz Brenne

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    Die Waldsiedlung steht unter Ensembleschutz. Trotzdem ist der Umbau von EG-Gartenfassaden und Veranden in Wintergärten genehmigungsfähig. Sie sind somit am Schwinden.
    Foto: Shirin Homann

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    Die Waldsiedlung steht unter Ensembleschutz. Trotzdem ist der Umbau von EG-Gartenfassaden und Veranden in Wintergärten genehmigungsfähig. Sie sind somit am Schwinden.

    Foto: Shirin Homann

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    Statt Aerogel empfahl das LDA im März eine acht Zentimeter starke Innendämmung, was den Wohnraum verkleinert.
    Grafik: Mark Herterich

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    Statt Aerogel empfahl das LDA im März eine acht Zentimeter starke Innendämmung, was den Wohnraum verkleinert.

    Grafik: Mark Herterich

Gefährdet der Zehlendorfer Fassadenstreit potenzielles Welterbe?

Wie denkmalgerecht energetisch sanieren? Das Fassadenmaterial Aerogel, ein nanokleiner Hochleistungsdämmstoff, stößt im Berliner Landesdenkmalamt auf Ablehnung.

Text: Homann, Shirin Sherazade, Berlin

Beim Zehlendorfer Fassadenstreit treffen Ansichten von Denkmalschutz und Klimaschutz hart aufeinander. Unsere selbst betroffene Autorin gibt Einblicke in die Diskussion.
1918 plante der mutige Verfechter sozialen Städtebaus, Martin Wagner, als Stadtbaurat seine erste am Gartenstadtmodell Ebenezer Howards orientierte Berliner Siedlung, für die Bruno Taut ein Ledigenheim entwarf. Zeitgleich setzte eine Baurechtsänderung dem weiteren Bau muffiger Berliner Hinterhöfe ein Ende. Wagner reformierte Wohnungsbau-Trägergesellschaften, Bruno Taut erhielt 1924 die Position als Chefarchitekt der GEHAG. Zwei Jahre darauf, von 1926–31, wurde die zwanzigjährige Ludmilla Herzenstein Bauleiterin der in sieben Bauabschnitten von Hugo Häring, Otto Rudolf Salvisberg und Taut entworfenen 1100 Siedlungswohnungen und 800 Reihenhäusern, von denen hier die Rede sein wird. Bis 1933 studierte Herzenstein beim Reform- und Gartenstadtarchitekten Heinrich Tessenow, 1945 wurde sie Referentin für „Forschende Statis­-tik“ in Hans Scharouns Bebauungsplan-Kollektiv für das kriegszerstörte Berlin. Im Laufe der 100-jährigen Siedlungsgeschichte führte sie, anders als die Herren Architekten, auch in der Rezeptionsgeschichte der Bauwelt, bis heute ein Schattendasein. Die von der jungen Frau verantwortlich geleitete Baustelle befindet sich derzeit im Welterbeverfahren.
Koalitionsvertragsbedingt stehen Änderungen des Berliner Denkmalschutzgesetzes an, die „fiskalisch, insbesondere beim Klimaschutz, in Bezug auf gewichtige öffentliche Interessen“ den vermeintlichen drei Prozent schützenswerter deutscher Bausubstanz den denkmalbehördlichen Schutzraum rückbauen. Die Denkmalpflege, die sich bislang am Nektar konservativer Mindeststandards labte und über „Denkmale brauchen keinen Energiepass“ philosophierte, wird zu best practice verdonnert. Denkmale müssen „weltweite Katalysatoren innovativer Beispiele für Nachhaltigkeit“ werden, somit Standards für den globalen Baubestand, inklusive angedachter Entwürfe, setzen! Was manisch klingt, wurde 2017 von der UNESCO für das Welterbe faktisch vorgeschrieben. Die Kultusministerkonferenz empfiehlt für „Katastrophensituationen“, wozu die Lage unseres Planeten zählen dürfte: „rapid response“ und „situationsspezifische Partnerschaften.“
Wer heute von Architektur-Avantgarde träumt, lässt das Bauen sein, situationsspezifische Partnerschaften beiseite, und aktualisiert die Denkmalpflege. Welterbereferentin Sabine Ambrosius und Landeskonservator Christoph Rauhut vom Landesdenkmalamt (LDA) Berlin sind schon Denkmalpfleger. Ob sie Teil der neuen Avantgarde werden, bleibt abzuwarten: Passend zur Wohnungsnot, schickten sie 2021 die in der Obhut von Ludmilla Herzenstein errichteten 1100 Wohnungen und 800 Reihenhäuser, damit die schönste Berliner Siedlung der 1920er Jahre, auf die lange Reise der Welterbenominierung: Es ist die im wald- und seenreichen Südwesten Berlins gelegene „Papageiensiedlung“ – so der von den Nationalsozialis­ten verfemend gemeinte, inzwischen von den Bewohnerinnen gerne angenommene Name – in Zehlendorf. Das LDA nennt sie „Waldsiedlung“. Ob dieser Name trägt, ist fraglich, da Hitzesommer den Wald der Siedlung zerstören. Trotz klimafreundlicher Lippenbekenntnisse und allerlei LDA-„Leitfäden“ belegen die aktuellen Vorschläge zur Außenraumgestaltung und energetischen Sanierung der Siedlungsfassaden, dass etwas im Land Berlin faul ist.
Worum dreht sich der Zehlendorfer Fassadenstreit nun genau? Um die straßen- und gartenseitigen 1600 Reihenhausfassaden energetisch zu ertüchtigen, könnte der nanokleine Hochleistungsdämmstoff Aerogel aufgebracht werden. Diesen lehnt das LDA aber als „nicht genehmigungs­fähig“ ab und schlug stattdessen im März eine acht Zentimeter starke Innendämmung vor, was den Wohnraum verkleinert.
Der Ausschreibungstext zur Aktualisierung des Denkmalpflegeplans, der im Rahmen der Welterbenominierung im Oktober 2021 verfasst wurde, bezieht sich auf die gesamte Siedlung. Im „vorläufigen Leitfaden“ (der kein Denkmalpflegeplan ist) werden jedoch nur 800 Reihenhäuser genannt. Wer aber Eigentümer und Mieter von 1100 Wohnungen ignoriert, weckt sogar Zehlendorfer auf. Man kann sich fragen, ob die persistierende LDA-Ignoranz mit Deutsche Wohnen/Vonovia verquickt ist, die einen Großteil dieser Wohnungen vermieten und seit Fernwärmeanschluss ihres Eigentums „keinen weiteren Bedarf für energetische Maßnahmen sehen“. Community Involvement, notwendiges Kriterium in Welterbeverfahren, sieht anders aus.
Argument des LDA gegen das Aerogel ist, dass der Bestandsputz erhalten werden muss - dieser ist jedoch ohnehin vielfach marode und wird bei Gartenfassaden seit Jahren durch Umbauten der bauzeitlichen Veranden zu Wintergärten zerstört. Weiteres Argument: Die Aufbau­stärke sei zu dick, die markanten Fenster würden im Putz verschwinden. Hier wurde jedoch mit falschen Zahlen gearbeitet, wie mehrere Aerogelhersteller der Autorin bestätigten.
Die empfohlene Innendämmung gefährdet wegen der Taupunktverschiebung die Bausubstanz und verlegt energetische Sanierung in den privaten Raum. Es würde weniger energetisch ertüchtigt, da die Häuser bewohnt sind, und somit das UNESCO-geforderte Nachhaltigkeitsprin­zip vernachlässigen.
Dazu kommt, dass das LDA bis Redaktionsschluss nicht einmal eine Messung der Wärmeleitfähigkeit der bauzeitlichen Außenwände durch­geführt hat. Die Messanordnungen (Bauabschnitt VII/Wohnblock, Bauabschnitt V/Typ II Taut-Reihenmittelhaus) haben stattdessen Eigentümer in Zusammenarbeit mit Prof. Felix Wellnitz, Berliner Hochschule für Technik, selbst durchgeführt. Ergebnis: Aerogel könnte den U-Wert des Bau­teils Fassade an jedem der 800 Reihenhäuser um circa 50 Prozent senken, ohne die markanten, bündigen Fenster im Putz zu versenken. Die Berli­ner Energieagentur machte bereits im März 2023 auf Unstimmigkeiten der vom LDA angegebenen Aussagen aufmerksam.
Aerogel wurde schon bei Sanierungsprojekten der frühen Moderne, namentlich der Mathildenhöhe Darmstadt, verbaut und ist somit inzwischen Welterbe. Obendrein verputzt man derzeit die Fassaden des denkmalgeschützten Rathauses Zehlendorf mit Aerogel. Hinter diesen hochleistungsgedämmten Mauern arbeitet die wackere Michaele Brunk von der Unteren Denkmalbehörde, die Aerogel demnächst für die Papageiensiedlungsfassaden verbieten und damit den Unsachverstand ihrer Kollegen vom LDA ausbaden muss. Bleibt zu fragen, wieviel Steuergelder das LDA für die Nichterfüllung der eigenen Ausschreibung ausgaben und wann die sonst so besonnenen Worte von Landeskonservator Rauhut zu hö­ren sein werden?
Im Ausschreibungstext für den Denkmalpflegeplan tauchen nur LDA-Gebietsreferent Björn Schmidt und LDA Welterbereferentin Sabine Ambro­sius auf. Beide waren Anfang 2023 bei dem neuartigen Material offensichtlich unterschiedlicher Meinung: Während die LDA-Welterbereferentin die Bürger zu den genannten Messanordnungen ermutigte, ließ LDA-Gebietsreferent Björn Schmidt gegenüber der Autorin verlauten, dass „er“ keine Aerogelfassade fördere. Die Misere bleibt in der Verantwortung des Landeskonservators, die Verwirrung blieb im Taut und wächst in Zehlendorf, denn während einige fröhlich Taut-Bestandswände messen, kontaktieren andere World Heritage Watch. In der farbenfrohen, von Martin Wagner so sozial konzipierten Siedlung toben Nachbarschaftsstreitigkeiten, und LDA-Kollegen fremdeln untereinander.
Wie es gehen könnte
Dabei wäre alles so einfach: Landeskonservator Rauhut lädt 1100+800 Bewohnerinnen und Bewohner der Siedlung samt Juristen und World Heri­tage Watch zu zwei weiteren Bürgerwerkstätten, bei denen Bürger sprechen dürfen und Dienstleister aktiv zuhören. Steuergelder finanzieren den von Bürgern formulierten DinA4-Einladungstext und Fragebogen. Alleswird analog versendet, um alle Anwohner zu inkludieren. Die Bürgerwerkstätten werden ordnungsgemäß protokolliert. Man reißt sich zusammen und gibt Martin Wagner, nicht Christoph Rauhut, die Schuld. Denn hätte sich der mutige Wagner vor hundert Jahren nicht dem angeordneten Baustopp widersetzt, würde es die Papageiensiedlung und damit den Zehlendorfer Ärger nicht geben. Kurz, man refokussiert sich und kratzt, im Interesse der Allgemeinheit, nochmal an sämtlichen Fassaden, sonst arbeiten alle Beteiligten weiterhin so unpräzise wie bisher und der Welterbetitel ist dahin.
--- --- Termin-Hinweis --- ---
Begleitend zum Projekt findet die Ausstellung Real Labor Bruno Taut statt
Ort: Waldsiedlung Zehlendorf Berlin (derzeit im Welterbeverfahren)
Bruno Taut Reihenmittelhaus 1929-30 / Bauabschnitt V und Bruno Taut Wohnung 1931 / Bauabschnitt VII
Die Objekte werden derzeit restauriert und bauklimatisch ertüchtigt
Das Master Modul Bauforschung und Bauwerksdiagnostik der Berliner Hochschule für Technik FB IV Architektur und Gebäudetechnik präsentiert auf den Baustellen ihre Mid-Term-Ergebnisse zu den beiden Taut Architekturen. Beschränkte Besucherzahl / Anmeldung erforderlich: welterbe@lastingware.com
Wann: 01.07 & 02.07.2023

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