Bauwelt

Gegen den Strom geschwommen

1973 schlossen sich Lübeck, Bamberg und Regensburg zusammen, um für den Er­halt historischer Bausubstanz zu kämpfen. Nun feiert die „Arbeitsgemeinschaft Historische Städte“ ihr Bestehen.

Text: Jäger, Frank Peter, Berlin

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Blick über die unsanierte Altstadt von Regensburg in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre
Foto: Stadt Regensburg, Bilddokumentation

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Blick über die unsanierte Altstadt von Regensburg in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre

Foto: Stadt Regensburg, Bilddokumentation


Gegen den Strom geschwommen

1973 schlossen sich Lübeck, Bamberg und Regensburg zusammen, um für den Er­halt historischer Bausubstanz zu kämpfen. Nun feiert die „Arbeitsgemeinschaft Historische Städte“ ihr Bestehen.

Text: Jäger, Frank Peter, Berlin

Vor 50 Jahren, im September 1973, trafen sich im fränkischen Bamberg Verwaltungsleute und Baupolitiker aus Lübeck, Bamberg und Regensburg, um sich zu einer Arbeitsgemeinschaft zusammenzuschließen, die den etwas sperrigen Namen BaLüRe tragen sollte. Ziel war es, das zwei Jahre zuvor eingeführte Instrument der Städtebauförderung besser für die Erneuerung ihrer Altstadtensembles nutzen zu können, außerdem um Erfahrungsaustausch und Lobby-Arbeit in Sachen Alte Stadt. Denn das verband die drei Städte: Sie besaßen eine weitgehend unversehrt durch die Zeitläufe und den Krieg gekommene hochkarätige historische Bausubstanz und unverfälschte Stadtbilder.
Was auf den ersten Blick wie ein Beispiel interkommunaler Zusammenarbeit unter vielen klingt, war in Wirklichkeit revolutionär. Denn Stadtsanierung bedeutete Anfang der 1970er Jahre hierzulande fast immer Kahlschlagsanierung. Die Selbstverständlichkeit, mit der dies geschah, und der damit einhergehende Denkmalfrevel sind aus heutiger Sicht unvorstellbar. Das 1971 verabschiedete Gesetz zur Städtebauförderung war dementsprechend anfangs auf ein Sanierungsverständnis von Abriss und anschließendem Neubau ausgelegt. Ein Anliegen der Arbeitsgemeinschaft war, dass der Bund die Fördermodalitäten ändere, sodass sie gleichermaßen ein Werkzeug für Sanierungen im Bestand würden. Kurzum: Sie suchten nach Alternativen zur Abrisspolitik. Zwar hatte man schon in den 1950erJahren einzelne Bauten erneuert, etwa in Regensburg. Aber mit dem Sanieren ganzer Viertel hatte niemand wirklich Erfahrung. Notwendig war ein neues Verständnis von Stadterneuerung, kombiniert mit einer qualifizierten gesetzlichen Grundlage für die Denkmalpflege.
Bald mehrten sich die Zeichen, dass die drei Städte mit ihrem von manchen Seiten belächelten Ansinnen auf dem richtigen Weg waren. Schon im Gründungsjahr von BaLüRe gab der Europarat den Anstoß, 1975 das Europäischen Denkmaljahr auszurufen. Es stand unter dem Motto „Eine Zukunft für unsere Vergangenheit“. In der gleichnamigen Wanderausstellung wurde der erhaltungsorientierte Kurs der drei Städte bereits als Vorbild präsentiert.
Dieses Themenjahr war ein Einschnitt: Es markiert den Beginn moderner Denkmalpflege in der Bundesrepublik. Auch das Potenzial der nicht denkmalwürdigen Altbausubstanz wurde entdeckt. Ab 1974 erprobte der Architekt Hardt-Waltherr Hämer zunächst am Klausenerplatz in Berlin-Charlottenburg und später in Kreuzberg die blockweise Altbausanierung unter Einbeziehung der Bewohner: Die „Behutsame Stadterneuerung“ war geboren. Die Erfolge dieser Bestandserneuerung und der damit einhergehende Bewusstseinswandel führten dazu, dass sich um 1985 die erhaltungsorientierte Stadterneuerung als Leitbild durchsetzen konnte.
Die BaLüRe-Mitglieder hätten 1985 also getrost im Bamberger Braukel­ler gemeinsam ein letztes Rauchbier heben und auf die Auflösung ihres erfolgreichen Zweckbündnisses anstoßen können – Mission erfüllt! Doch es kam anders. Zuerst die deutsche Einheit. Ohne langes Zögern nahm die Arbeitsgemeinschaft die Städte Meißen, Görlitz und Stralsund in die Run­de auf und nennt sich seitdem „Arbeitsgemeinschaft Historische Städte“. Die Dimension der Nachwende-Erneuerungsaufgaben im Osten war beispiellos – wodurch rasch klar wurde, dass sie eine Neuausrichtung von Städtebauförderung und Baugesetzbuch erforderte. Die Städte der AG konnten bei Bund und Ländern erfolgreich auf die praxisgerechte Ausgestaltung neuer Rechtsinstrumente Einfluss nehmen.
In kurzen Intervallen tauchten nun immer neue Herausforderungen auf: die konfliktträchtige Umsetzung der Energieeinsparverordnung (EnEV) in städtebaulichen Denkmalensembles, Schrumpfung und demographischer Wandel, die Krise des stationären Einzelhandels, Barrierefreiheit im Stadtraum, nicht zu vergessen das Dauerthema Individualverkehr und Parken im historischen Zentrum sowie jüngst die Klimakrise. Damit wird die Daseinsberechtigung dieses Zusammenschlusses ein ums andere Mal mit neuem Leben erfüllt. Ein Erfolg des mittlerweile von einer dritten Genera­tion von Planern und Baupolitikern vorangetriebenen Engagements: Vier der sechs Städte sind heute als UNESCO-Welterbe-Stätten gelistet.
Mit der Zeit kamen neue Erkenntnisse hinzu. Eine lautet: Bestandsorientierte Stadtentwicklung ist eine Daueraufgabe. Sie lebt von einem kontinuierlichen Reagieren auf veränderte Rahmenbedingungen. Doch außerhalb dieses informellen Clubs fremdeln heute nicht wenige Planer mit dem Thema Alte Stadt. Ist das nicht ein Revier von Nostalgikern und konservativen Traditionsvereinen? Deren Engagement skeptisch verfolgend sehen manche Stadttheoretiker in der alten Stadt ein geschichtsverklärendes, wegen hoher Mieten für Normalsterbliche ohnehin unerreichbares Disneyland. Daraus folgt die zweite Erkenntnis: Die Pflege des Kulturerbes und eine gemeinwohlorientierte Planung sollten ein untrennbares Paar sein. Wenn man verfolgt, wie die Verantwortlichen in den sechs Städten ihre Zukunftsaufgaben angehen, dann bestehen wenig Zweifel, dass ihr Ziel eben nicht kommerzialisierte Touristenauslaufgebiete und das bloße Aufpolierenhistorischer Kulissen ist. Vielmehr kämpfen sie mit großem Einsatz darum, dass im dichten Gefüge der alten Stadt alles zueinander findet: Einzelhandel, nachhaltige Mobilität, Kultur, bezahlbares, auch familiengerechtes Wohnen, Handwerk und – ja, auch Tourismus. Aber um die vitale Mischung muss hartnäckig gerungen werden. Das größte Sorgenkind zurzeit ist bekanntlich der Einzelhandel.
Der Arbeitsgemeinschaft, diesem erfolgreichen Think-Tank der Stadterneuerungspraxis, werden die kniffeligen Aufgaben so bald wohl nicht ausgehen. Zum 50. Geburtstag möchte man sie zu ihren Erfolgen beglückwünschen, die sie oft genug wacker gegen den Strom schwimmend errungen hat. Möge sie sich diese Beharrlichkeit und Ausdauer für die kommenden Jahrzehnte beibehalten.

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