Bauwelt

Die Großsiedlung weiterbauen

Als die Gropiusstadt und andere Großsiedlungen in den sechziger Jahren gebaut wurden, beherrschten Ideen des Modularen und Seriellen die Architektur- und Urbanismusdiskussion. Ob und welche Relevanz diese Ansätze heute noch haben können, zeigt sich spätestens dann, wenn es gilt, die Siedlungsareale der „Urbanität durch Dichte“-Epoche zu ergänzen, nachzuverdichten.

Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin

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    Baustelle Gropiusstadt: ...
    Foto: Ulrich Brinkmann

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    Neue Entwicklungen an Fritz-Erler- ...
    Foto: Ulrich Brinkmann

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    ... und Wutzkyallee
    Foto: Ulrich Brinkmann

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    ... und Wutzkyallee

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Die Großsiedlung weiterbauen

Als die Gropiusstadt und andere Großsiedlungen in den sechziger Jahren gebaut wurden, beherrschten Ideen des Modularen und Seriellen die Architektur- und Urbanismusdiskussion. Ob und welche Relevanz diese Ansätze heute noch haben können, zeigt sich spätestens dann, wenn es gilt, die Siedlungsareale der „Urbanität durch Dichte“-Epoche zu ergänzen, nachzuverdichten.

Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin

„Die schwierige Aufgabe ist, die Balance zwischen einer Verklärung des Status quo zum Gesamtkunstwerk und einem allzu sorglosen Überschreiben des Vorhandenen nach heutigen Kriterien auszutarieren“, schrieben wir vor neun Jahren, als wir uns das letzte Mal ausführlicher der Gropiusstadt gewidmet haben (Bauwelt 7.2013). Damals wurden Überlegungen zur Nachverdichtung der Großsiedlung im Berliner Süden publik; ein städtebauliches Werkstatt-Verfahren hatte soeben Orte aufgespürt, die als Bauplatz tauglich schienen, um der steigenden Nachfrage nach Wohnraum auch hier, am Rand des Bezirks Neukölln und in Nähe zum Flughafen BER, mit neuen Angeboten zu begegnen.
Wie könnte ein angemessener Umgang mit dem städtebaulichen und architektonischen Erbe der sechziger Jahre aussehen? Ansätze wie modulares Bauen und Vorfertigung werden schließlich auch heute noch verfolgt, vor allem im Schulbau, im Zuge der wachsenden Bedeutung des Holzbaus aber mehr und mehr auch im Wohnungsbau. Doch auch entwerferische Aspekte, die noch vor Überlegungen zur Umsetzung stehen, können sich in der Gropiusstadt neu diskutieren lassen: etwa das Verhältnis von Figur und Grund, von Objekt und Raum.
Inzwischen sind etliche Neubauten im Entstehen begriffen oder bereits fertig gestellt, vor allem im dritten Bauabschnitt der Gropiusstadt, der 2013 im Zentrum der Nachverdichtungsüberlegungen stand. Ob man die Gropiusstadt über ihre Tangenten streift oder sich in die Wohnstraßen in ihrem Inneren begibt – vielerorts drehen sich Kräne, entstehen große und kleinere Neubauten, die die Großsiedlung nicht nur auffüllen, sondern mit neuen Qualitäten bereichern könnten. Vier da­-von werden auf den folgenden Seiten vorgestellt: zwei Wohnprojekte und zwei öffentliche Gebäude, bei denen sich ein solcher Beitrag bereits abzeichnet.
Das Oberstufenzentrum Lise-Meitner vom Architekturbüro Numrich Albrecht Klumpp und das Zentrum für Sprache und Bewegung von AFF sind als Bildungsbauten berechtigt, als Solitär aufzutreten, mit viel umgebendem Freiraum und ohne notwendige Bezugnahme auf die Umgebung. Doch auch sie zeigen den Willen, sich einzugliedern, das Ensemble Großsiedlung ernst zu nehmen. Im Wohnungsbau aberhat sich das Rad weitergedreht: Wohnungsbau sollte heute selbstverständlich auch Stadtbau sein. Was heißt das hier, im Kontext der „Urbanität durch Dichte“ der sechziger Jahre?
Die Neubauten am Feuchtwangerweg von Bollinger + Fehlig und Bernrieder Sieweke Lagemann, entstanden auf einer bisherigen Parkplatzfläche, stehen gegenüber einer Wohnanlage von Kleihues und Moldenschardt, die ein frühes Beispiel für die ab den siebziger Jahren zunehmende Rückbesinnung auf den Berliner Block-rand und seine Unterscheidung von Straßen und Höfen darstellt. Das Umlenken des öffentlichen Raums von der Straße in einen gemeinsamen Freiraum zwischen Bestand und Neubebauung ist eine ebenso überraschende wie überzeugende Antwort der Gegenwart, um auch in der Tiefe des langgestreckten Grundstücks so etwas wie Adressbildung möglich zu machen, die Lagedifferenzierung in „vorne und hinten“ zu relativieren.
Die nahegelegene Wohnbebauung von Eike Becker Architekten dagegen bildet mit einem blockhaften Baukörper an der Straßenecke und einem zurückgesetzten Hochhaus einen klassischen Vorplatz aus, der für Laden- und Dienstleistungsangebote prädestiniert erscheint. Während es diskussionswürdig bleiben mag, heutige gestalterische Vorstellungen auch in einer Großsiedlung wie der Gropiusstadt zu implementieren, ist in derartigen Angeboten in den Erdgeschossen eine tatsächliche Aufwertung des Siedlungsraums im Sinne einer Belebung zu erreichen: Das Café, das bereits im Hochhaus eröffnet hat, ist schon jetzt, im ersten Frühjahr seines Daseins, ein Anziehungspunkt für die Nachbarschaft – welch ein Gewinn gegenüber der abweisenden zweigeschossigen Parkpalette, die zuvor hier aufs Gemüt drückte!
Urbanität durch Qualität
Diese neue Situation ist nur ein anschauliches Beispiel dafür, dass „Urbanität“ nicht automatisch durch mehr „Dichte“, mehr Baumasse, mehrWohnungen entsteht, sondern definierte Orte benötigt, um sich zu entfalten – letztlich geht es dabei nicht in erster Linie um Quantitäten, sondern um Qualitäten. An einem belebten Platz mit gut besetzten Bistro-Tischen können diese sichtbar werden, aber auch anhand der Existenz und Akzeptanz anderer Räume für Begegnung und Austausch. Dahinter steht jedoch weit mehr, für das Leben eines Ortes Entscheidenderes: ein wacher Gemeinsinn der Bewohner, die Bereitschaft, das Leben nicht ins Private zurückgezogen zu führen, sondern zu einem gewissen Maß zusammen mit anderen, Nachbarn, Mitbewohnern. In einer Großsiedlung, in der es so gut wie keine privaten Bauherren, keine einzelnen, persönlich bekannten Hauseigentümer, vielleicht nicht einmal Genossenschaften gibt, sondern nur große Wohnungsunternehmen, die oft als anonyme „Kümmerer“ wahrgenommen wer-den, persönlich präsent allenfalls in Gestalt eines Hausmeisters, ist es nicht einfach, Nachbarschaft als Gemeinschaft wahrzunehmen, für die Architektur und Freiraum als gestalteter und geschätzter Rahmen fungieren.
Die degewo ist mit rund 5500 Wohnungen einer der größten Akteure in der Gropiusstadt und hat die Wohnanlage am Feuchtwangerweg realisiert; mehrere Projekte befinden sich derzeit im Bau, darunter ein Wohnhochhaus am Friedrich-Kayßler-Weg, ein Holz-Hybrid-Gebäude an der Fritz-Erler-Allee und ein neues Parkhaus an der Wutzkyallee. Seit 1963 in der Gropiusstadt aktiv, will die Wohnungsbaugesellschaft mit ihren Neubauten einen Mehrwert für das Ganze erzielen, nicht bloß neuen Wohnraum schaffen. Mit Nachverdichtung allein aber werden sich die heutigen politischen Ambitionen im Wohnungsbau nicht erreichen lassen, ist sich Dirk Seubert, Leiter der Abteilung Neubau bei der degewo, sicher: Um 2030 tatsächlich die 200.000. neue Wohnung übergeben zu können, wird es nötig sein, wieder über ganze Stadterweiterungen nachzudenken –wie Anfang der sechziger Jahre, bei der Planung der Gropiusstadt.

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