Gutes, buntes Deutschland
Josepha Landes fand den Balkon-Bedarf ihrer Wahl im Baumarkt. Dort gab es auch Trikolore-Flaggen, mehrfarbigere eher nicht.
Text: Landes, Josepha, Berlin
Gutes, buntes Deutschland
Josepha Landes fand den Balkon-Bedarf ihrer Wahl im Baumarkt. Dort gab es auch Trikolore-Flaggen, mehrfarbigere eher nicht.
Text: Landes, Josepha, Berlin
Architektur ist politisch. Bitte, nicht vorschnell „Natürlich!“ sagen, es ist sehr komplex. Also: Die Münchner Allianz-Arena schaffte es Mitte Juni auf die Zeitungstitel, in die News Feeds. Dank seiner leuchtenden Kissen-Haut kann das Stadion nicht nur in den Farben Bayerns (und Bayern-Münchens), sondern auch jenen des Regenbogens strahlen. Durfte es nun aber nicht, jedenfalls nicht als Deutschland zum EM-Vorrundenspiel Ungarn begegnete. Das ist politisch, obwohl es doch laut UEFA eben gerade das nicht sein sollte. Der Aufschrei dürfte bekannt sein, Wimpel, Schminkstreifen und eine Kapitänsbinde von Rot nach Lila. Das ist politisch. Liken ist politisch. Sich empören, das ist sehr politisch, das überhaupt fast Politischste. Und so viel bequemer als Straßenschlacht.
Andere Stadien der Republik, etwa jenes im Berliner Olympiapark, übernahmen denn auch ganz offiziell die Aufgabe, die „Guten Deutschen“ zu positionieren. Und die Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock, alias ACAB, rief auf Instagram ihre Follower auf, Regenbogen-Statements zu setzen. Ich hatte mir zum Glück gerade einen bunten Streifenvorhang für die Balkontür gekauft. Der funktionierte! Ich fühlte mich so politisch. Das war aufregend. Und alles wegen eines Stadions, also wegen Architektur.
Verstehen Sie mich nicht falsch: Es ist toll, wie bunt Deutschland zu sein scheint. Die Regenbogen machen sich viel besser als die Deutschland-Flaggen dazumal beim Sommermärchen, finde ich. Ich frage mich nur, ob es wahr ist. Wo sind sie denn im Alltag?
Heute tanzt mein Streifenvorhang im Wind. Er macht dabei raschelnde Geräusche. Die Streifen von Rot nach Lila verheddern sich manchmal, dann gehe ich hin, sie zu entwirren. Dafür muss ich mich aus der etwas unbequemen Position an meinem Home-Office-Ess-Tisch erheben. Es wäre ganz schön, wenn der Vorhang eine Art Anti-Verhedder-Mechanismus hätte. Ich schätze aber, ein bisschen was muss man noch selbst tun. Mein Vorhang ist so herrlich unpolitisch.
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