Heidelberger Balanceakt
Einer der ambitioniertesten Beiträge der IBA Heidelberg, der Vorzeigestadtteil Patrick-Henry-Village, wird erst nach dem Ende der IBA-Phase realisiert werden. Eine Reihe von Belastungsproben sind zu bestehen. Eine davon, bei der es um die Integration eines neuen Ankunftszentrums für Geflüchtete geht, zeigt, vor welchen Herausforderungen die Umsetzung eines solchen Vorbild-Quartiers heute steht. Die Landesregierung steht in der Pflicht, flexibler als bisher zu reagieren.
Text: Holl, Christian, Stuttgart
Heidelberger Balanceakt
Einer der ambitioniertesten Beiträge der IBA Heidelberg, der Vorzeigestadtteil Patrick-Henry-Village, wird erst nach dem Ende der IBA-Phase realisiert werden. Eine Reihe von Belastungsproben sind zu bestehen. Eine davon, bei der es um die Integration eines neuen Ankunftszentrums für Geflüchtete geht, zeigt, vor welchen Herausforderungen die Umsetzung eines solchen Vorbild-Quartiers heute steht. Die Landesregierung steht in der Pflicht, flexibler als bisher zu reagieren.
Text: Holl, Christian, Stuttgart
Die IBA Heidelberg wird im nächsten Jahr zu Ende gehen. Von einem ihrer wichtigsten Projekte wird dann allerdings vor Ort noch nichts zu sehen sein. Das Patrick-Henry-Village, kurz PHV, soll ein Vorzeigestadtteil werden, in jeder Hinsicht: ökologisch, technisch, sozial und funktional gemischt. Ein wesentlicher Teil wird in Erbpacht bebaut, ein Teil der Bebauung der ehemaligen US-amerikanischen Kaserne wird erhalten bleiben. Auch der Baumbestand soll, wo möglich, geschützt werden. Über 100 Hektar groß, wird das PHV als zukünftiger 16. Stadtteil Heidelbergs einmal mindestens 10.000 Bewohnerinnen aufnehmen, 5000 Arbeitsplätze sind geplant.
Schon der Prozess ist einer IBA würdig: Vier international renommierte Büros haben Ideen für den Stadtteil entwickelt, das Büro KCAP aus Rotterdam und Zürich hat sie zu einem Konzept zusammengeführt, das die Grundlage für Fachstudien zu Bebauung, Freiraum, Mobilität, Nutzung und digitaler Stadt bildete. Die Ergebnisse dieses Prozesses wurden in einem „Dynamischen Masterplan“ koordiniert, der Offenheit mit festen programmatischen und gestalterischen Regeln verbindet, so dass ein Gleichgewicht gewahrt werden kann – zwischen Bebauung und Freiraum, Experiment und Bewährtem, zwischen Nutzungen, Funktionen, Interessen. Eine kommunale Gesellschaft soll nach dem Ende der IBA gewährleisten, dass sich das PHV im Sinne des Dynamischen Masterplans entwickeln wird.
Soweit die helle Seite der bisherigen Geschichte. Doch Stadtentwicklung wäre kein so mühseliges Geschäft, hätte sie nicht auch dunkle Seiten. Dass das seit 2013 leerstehende Areal noch nicht früher ins Visier der Stadtentwickler genommen wurde, hat mit der Lage zu tun: isoliert im Südwesten der Stadt, von ihr durch Felder und die Autobahn getrennt. Vor sechs Jahren wurde hier ein provisorisches Ankunftszentrum eingerichtet. Auf einem großflächigen Terrain von 35 Hektar leben hier durchschnittlich etwa 2000 Geflüchtete die ersten Wochen nach ihrer Ankunft in Deutschland. Hier wird über Asylanträge entschieden, werden erste Schritte zur Integration unternommen, bevor die Menschen im Land verteilte Unterkünfte angeboten bekommen.
Doch weder die Größe von 35 Hektar noch die Vorschriften dafür, wie nach Vorstellung des Landes Baden-Württemberg ein solches Ankunftszentrum auszusehen hat – unter anderem mit Zaun sowie kontrollierten Zu- und Ausgängen – sind mit den Ideen für das PHV so kompatibel. Deswegen sollte das Provisorium dauerhaft in die Wolfsgärten verlegt werden, einem Areal nahe dem Stadtteil Wieblingen. Eine Bürgerinitiative vertrat die Meinung, das sei kein Ort für ein Willkommen, und wandte sich gegen die Verlegung. Mit Erfolg. Der Bürgerentscheid, den sie herbeiführen konnte, lehnte den neuen Standort mit 70,3 Prozent der abgegebenen Stimmen ab.
Was tun? Der Entscheid ist bindend, doch so, wie es aktuell aussieht, kann auch das Ankunftszentrum nicht aufrechterhalten werden, will man an den Zielen für das PHV-Quartier festhalten, zumal die Stadt die Flächen ohnehin nur befristet zur Verfügung gestellt hatte. Mit gutem Grund: Die vorgegebenen Regeln für die Gestaltung eines solchen Zentrums sind star und unter solchen Voraussetzungen würde im neuen Stadtteil keine Freude aufkommen. Auch nicht, wenn man, was realistisch ist, die Größe der Einrichtung auf acht bis zehn Hektar konzentrierte, wenn sie für 800 bis 1000 Neuankömmlinge ausgelegt würde. Was aber helfen könnte, wäre, die verfahrene Lage als Chance zu begreifen. Als Chance, darüber nachzudenken, ob die Art, wie sich das Land Baden-Württemberg vorstellt, ein Ankunftszentrum zu konzipieren und zu betreiben, eigentlich noch die richtige ist. Ob der erste Ort, an dem Menschen in ein neues Leben starten, an ein Lager erinnern muss. Oder ob dieser Ort nicht lieber ausdrücken sollte, dass die Menschen, denen wir aus gutem Grund Asyl gewähren, willkommen sind. Man könnte, so Michael Braum, der Direktor der IBA Heidelberg, eine dezentrale, modularisierte Einrichtung planen.
Immerhin: Die Stadt Heidelberg ist weiterhin bereit, das Ankunftszentrum zu beherbergen. Der von Stadt und IBA gewünschten Verlegung in den Nordosten, der den Beginn der Entwicklung des Patrick-Henry-Village im Süden ermöglichen würde, hat das Land bereits zugestimmt. Nun sollte das Land auch den zweiten Schritt gehen: sich darauf einlassen, ein Ankunftszentrum so zu planen und zu bauen, dass es ein Teil des neuen Stadtteiles werden kann, und nicht als Fremdkörper isoliert bleibt. Eine solche Konzeption stünde er grün geführten Landesregierung gut zu Gesicht. Und der neue Stadtteil wäre dann auch in dieser Hinsicht vorbildlich. An dieser Belastungsprobe könnte sich schließlich erweisen, dass sich die viele Vorarbeit gelohnt hat.
0 Kommentare