Bauwelt

Helmut Jahn 1940–2021

Der amerikanische Architekt aus Franken starb am 8. Mai bei einem Fahrradunfall in Campton Hills, Illinois. Unser Autor sieht in Helmut Jahns globalisierter Architektur ein emanzipatorisches Freiheitsversprechen der Hypermoderne. Auch in Deutschland entstanden zahlreiche Großbauten, darunter der Messeturm in Frankfurt, das Sony-Center und Neue Kranzler-Eck in Berlin, der Post-Tower in Bonn, der Flughafen Köln/Bonn, Terminal 2, das Airport-Center MAC in München und zuletzt mit Werner Sobek der TK-Elevator-Testturm in Rottweil.

Text: Mönninger, Michael, Berlin

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„I hate rain“. Helmut Jahn 1997 im Nieselregen auf der Baustelle seines Sony-Centers am Potsdamer Platz in Berlin.
Foto: Erik-Jan Ouwerkerk

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„I hate rain“. Helmut Jahn 1997 im Nieselregen auf der Baustelle seines Sony-Centers am Potsdamer Platz in Berlin.

Foto: Erik-Jan Ouwerkerk


Helmut Jahn 1940–2021

Der amerikanische Architekt aus Franken starb am 8. Mai bei einem Fahrradunfall in Campton Hills, Illinois. Unser Autor sieht in Helmut Jahns globalisierter Architektur ein emanzipatorisches Freiheitsversprechen der Hypermoderne. Auch in Deutschland entstanden zahlreiche Großbauten, darunter der Messeturm in Frankfurt, das Sony-Center und Neue Kranzler-Eck in Berlin, der Post-Tower in Bonn, der Flughafen Köln/Bonn, Terminal 2, das Airport-Center MAC in München und zuletzt mit Werner Sobek der TK-Elevator-Testturm in Rottweil.

Text: Mönninger, Michael, Berlin

Im Roman „The Fountainhead“ kämpft ein junger Architekt in Chicago gegen die alte Garde der Beaux-Arts-Anhänger in der Politik und Bauwirtschaft. Erst werfen ihn seine Lehrer wegen Renitenz aus der Universität, dann sprengt er seinen ersten Entwurf, weil er von den Auftraggebern verhunzt wurde, noch im Rohbau in die Luft, aber schließlich steigt er doch noch zum weltberühmten Hochhausarchitekten auf. Eigentlich hatte die Schriftstellerin Ayn Rand ihren Roman von 1943 an die Biographie von Frank Lloyd Wright angelehnt, aber in der Verfilmung von King Vidor 1949 hätte anstelle von Gary Cooper auch Helmut Jahn die Hauptrolle spielen können.
Der Deutsch-Amerikaner mit seinem markanten Nussknacker-Profil, den langen Haaren, italienischen Maßanzügen, breitkrempigen Chicagoer Gangsterhüten und rotem Porsche war die erste überzeugende Verkörperung des Stararchitekten, der auch von einem größeren Publikum wie ein Filmidol wiedererkannt wurde. Der 1940 geborene Lehrerssohn aus dem fränkischen Zirndorf war nach seinem Architekturdiplom an der TU München 1966 zum Masterstudium an das Illinois Institute of Technology (IIT) in Chicago gegangen. Seine erste Anstellung fand er in der Architekturfabrik C.F. Murphy, wo er vom Zeichner zum Leiter bis zum Inhaber aufstieg und entscheidend daran mitwirkte, die Architektur des Corporate America zu erneuern.
Dabei eiferte Jahn seinem Vorbild Mies van der Rohe ebenso nach, wie er sich von ihm absetzte. Während Mies nach seiner Emigration 1938 als Leiter der Architekturabteilung des IIT gegen den ausgelaugten Art déco-Stil kämpfte, so wollte Jahn mit seinem High-Tech-Expressionismus die Diktatur der Kistenarchitektur aus der Mies-Schule überwinden. So ist es der Nachkriegsgeneration von Architekten wie Helmut Jahn zu verdanken, dass Unternehmen ihre Leistungsfähigkeit nicht mehr hinter anonymen Fassaden verstecken, sondern ihr Prestige auch in ihren Gebäuden ausdrücken.
Trotz seines internationalen Erfolgs mit über hundert Großbauten in vier Kontinenten – fast doppelt so viele wie der Weltbaumeister Le Corbusier – blieb Helmut Jahn allerdings die volle Anerkennung durch Kritiker und Theoretiker der Architektur versagt. Lange vor den Schmähungen und Warnungen, die seine deutschen Bauten seit dem Frankfurter Messeturm 1991 und dem Sony-Center 2000 in Berlin provozierten, wurde er vom Propheten der Postmoderne mit Nichtbeachtung gestraft. Nur zwei Sätze verlor der deutungsmächtige amerikanische Publizist Charles Jencks in seinen Architekturbestsellern über Jahn, den er einen „Ornamentalisten“ und „Eklektizisten“ nannte.
Jahn war kein Intellektueller und auch kein großer Redner, geschweige denn Schreiber. Stattdessen zeichnete er wie ein Besessener. Er fertigte mit seinem Montblanc-Füller in rotbrauner Tinte tausende von Grundrissen, Aufrissen und Perspektiven an, die er mehr schätzte als alle computergenerierten Renderings. Doch mit seinen schlichten Selbstbeschreibungen – „Ich bin ein praktizierender Architekt und kann mich am besten durch meine Gebäude ausdrücken“ – galt Jahn in der akademischen Diskussion als nicht theoriefähig. Seine universelle Formensprache nannte er „romantisches High-Tech als authentischer Ausdruck der neuen Bautechnik“. Und sein oberstes Gestaltungsziel war entwaffnend naiv: „Meine Gebäude sollen aufregend und überraschend sein und den Leuten ge­fallen.“
Jahn kombinierte High-Tech mit High-Touch, überzog seine ortlose Bling-Bling-Architektur mit dem erotisierenden Nass-Look reflektierender Glashäute und verlieh Turmhelmen den Diamantschliff von billig wirkenden Broschen. Freilich bestand ein Großteil seiner Bauten aus profes­sioneller, industrietauglicher Dutzendware für Messe- und Kongresshallen, Flughäfen und Bahnhöfe, Verwaltungs- und Konzernzentralen, die in ihrer Auffälligkeit einander oft zum Verwechseln ähnlich sind. Gleichwohl sollte man nicht den popartistischen Publikumsappeal verkennen, der in vielen seiner Zirkus- und Festival-Bauten steckt.
Der erste Paukenschlag, das 1985 in Chicago eröffnete Regierungsgebäude des Bundesstaates Illinois, war tatsächlich eine Überraschung, weil es den zuvor nur halböffentlichen Plaza-Typus von Frank Lloyd Wrights Büro- und John Portmans Hotelbauten mit voller Wucht an die Straße und unters Volk brachte. Die 100 Meter hohe und 50 Meter weite Atrium-Rotunde mit ihren gläsernen Aufzügen, Schaufensterbüros, Läden und kunterbuntem konstruktivem Metall-Efeu auf allen Geschossen war Augenpulver vom Feinsten und entwickelte sich zu einem kommerziell-adminis­tra­ti­ven Hybriden, der eine innere Stadterweiterung, aber keinen Stadtersatz schuf.
Als 1991 der 256 Meter hohe Frankfurter Messeturm eröffnet wurde, Jahns erstes Gebäude in seinem Heimatland, reagierte die Architekturkritik nicht amüsiert. Der schlanke Obelisk mit seinem nachts illuminierten Pyramidendach wurde „leuchtender Grabstein“ genannt, dessen faszinierende Fernwirkung in krassem Widerspruch zu seiner monotonen Nutzung als Büroturm ohne jedes öffentliche Angebot in Form von Atrium, Gastro­nomie oder Aussichtsterrasse stand. Und die extreme Fassaden-Detaillierung – pilasterartige Halbsäulen als Fenstergewände aus rotem schwedischen Granit, kannelierte Metall-Schmuckleisten, Erker-Blenden und Zikkurat-Stufen – erschien ganz aus der Nahsicht des Reißbretts entworfen worden zu sein, was aber auf größere Distanz zum postmodernen Pepita verschwamm. Im Vergleich jedoch zu den seelentötenden, blausilbern glitzernden Spiegelschränken, die Jahn zuvor von Nordamerika bis Südafrika entworfen hatte, war der Frankfurter Messeturm eine sorgfältig historisierende Augenweide, die auch bei Laien die Sehnsucht nach dem Vertikalismus der amerikanischen Hochhauspioniere weckte.
Schon beim Wettbewerb für das 2,3 Hektar große Grundstück des Sony-Center am Potsdamer Platz in Berlin 1992 (Bauwelt 38.1992) wurde Jahns siegreicher Entwurf eines überdachten Plaza-Ensembles aus neun zusammengeschobenen Einzelgebäuden scharf attackiert. Diese Amerikanisierung des gedeckten Stadtraums, so hieß es, würde sich von der individuellen Bauparzelle und dem unkontrollierten Straßenleben verabschieden. Anstelle von Öffentlichkeit, wie sie Hannah Arendt als politischen Handlungsraum beschrieben hatte, sahen Kritiker hier nur einen privat-konsumistischen Disziplinarraum entstehen, streng überwacht durch Video­monitore und schwarze Sheriffs. Selbst der verehrungswürdige Architekturhistoriker Jonas Geist, der die Großbaustelle von seiner Wohnung am Schöneberger Ufer täglich vor Augen hatte, sah bei der Eröffnung 2000 rabenschwarz, verfing sich aber in einer ungewollten kultur-optimistischen Prophezeiung: Das Sony-Center sei „ein gläserner Fels ohne Affen“, ein „Dampftopf mit Überdruck“, der „im Rummel erstickt“, ein „japanisierter Amerikanismus, der nur „Bewusstlosigkeit“ produziere und als Ausdruck des „entfesselten globalen Kapitals alle lokalen, ethnischen und sprach­lichen Barrieren beseitigen“ werde. (Bauwelt 22/2000).
Doch nach zwanzig Jahren Betrieb und einigen Eigentümerwechseln ist am Potsdamer Platz der Untergang der abendländischen Stadt noch nicht eingetreten. Statt einer hermetisch klimatisierten Mall zeigt sich das Sony-Center als ein fast klassischer, ovaler Turbinenplatz mit jahreszeitlich sehr wechselhaften Außenraumqualitäten, über dem ein stürmisches Zeltdach mit exzentrischem Himmelsauge alle Blicke auf sich zieht. Die geneigten Innenseiten der Randbebauung mit ihren hochtransparenten Weißglasfassaden verschleifen die Raumgrenzen zwischen Innen und Außen zusätzlich. Alle Erdgeschossflächen sind, weil die Versorgungswege im Keller liegen, nicht mit Liefer- und Fluchtwegen blockiert, sondern durchgängig benutzbar, so dass reichlich Bewegungsraum übrig blieb. Der ursprüngliche Branchenmix aus Kino-, Kongress-, Kultur- und Bildungsbetrieben sowie Büros war vielfältiger als in manchen deutschen Fußgängerzonen.
Einen ähnlichen Palast der Winde entwarf Jahn für das Airport-Center des Münchner Flughafens, das unter seinem vibrierenden Flugdach auch als Bühne und Festraum dient. Jahns Großbauten vereinen alle Merkmale, die gemeinhin für die Gattung der „Nicht-Orte“ gelten: Es sind transitorische Schwellenräume für nicht ortsgebundene Besucher, die auf ihrem Weg nur vorübergehend Station an solchen Knotenpunkten machen. Man empfindet sie nicht als konkrete, leibliche und bedeutungstragende Orte, sondern als Durchgangszonen in einer Welt der Ströme und Zeichen, die austauschbar und weitgehend geschichtslos sind.
In der von Helmut Jahn entworfenen Globalarchitektur ist es schwer, Eigenes und Fremdes säuberlich zu trennen, Heimat und Ferne zu definieren und dauerhafte Zugangsbeschränkungen nach Rasse oder Klasse durchzusetzen. Es sind Orte ohne festgelegte Eigenschaften, Kollektoren für Massen und Verteiler von Mischungen, die in der gegenwärtigen Epoche des wirtschaftlichen Protektionismus, der nationalen Abschottung auch in Europa, fremdenfeindlicher Rechtsparteien und lähmender Identitätsdebatten fast schon als utopische Residuen erscheinen. Angesichts der heutigen Kampfansagen gegen alle Formen der Freizügigkeit von Menschen und Gütern sind die „schnellen“, unbelasteten, eigenschaftslosen, egalitären Räume von Helmut Jahns Zirkulations – und Festivalbauten ein emanzipatorisches Freiheitsversprechen.
So stehen diese Architekturen – auch in der pandemischen Distanzwelt der Kontaktbeschränkungen – für einen einst gelungenen Hedonismus hybrider Bautypen, die eine unwiderstehliche Erotik des Sozialen ausstrahlten. Sie bilden das Gegenstück zu den Regionalismen, Ortstypen und Traditionspuren, die in der postmodernen Partystimmung der 1980er Jahre aufkamen und die auf der leergefegten Bühne der spätmodernen Architektur eine Bedeutungsstiftung einleiteten, die mittlerweile toxisch zu werden droht. Wenn heute identitäre Globalisierungsgegner, Wutbürger und Querdenker ihre Wagenburgen errichten, dann sehnt man sich nach den übermodernen „Nicht-Orten“ der Hotels, Malls und Flughäfen von Helmut Jahn in aller Welt, die bis auf Weiteres schwer zu erreichen sind.

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