José Forjaz 1936–2024
Von Maputo aus erweiterte der mosambikanische Architekt die Teilhabe Afrikas am weltweiten Diskurs über Architektur. Die Dekolonisation der Disziplin blieb sein großes Thema.
Text: Brandes, Nikolai, Dresden
José Forjaz 1936–2024
Von Maputo aus erweiterte der mosambikanische Architekt die Teilhabe Afrikas am weltweiten Diskurs über Architektur. Die Dekolonisation der Disziplin blieb sein großes Thema.
Text: Brandes, Nikolai, Dresden
„Was ist afrikanische Architektur“ lautete der Titel eines Vortrags, den José Forjaz 2007 in Ghana hielt, um sarkastisch gleich eine ganze Reihe stereo-typer Antworten (der Slum, die Geschäftsviertel von Johannesburg, „traditionelle“ Architektur) anzubieten. Für Forjaz waren die Antworten ebenso falsch wie die Frage selbst. Viel wichtiger war ihm, wie eine Architektur für Afrika aussehen könnte, die der vom Kolonialismus geerbten sozialen Segregation, dem Bevölkerungswachstum, der Macht privater Investoren und den ökologischen Herausausforderungen in den heterogenen Städten des Kontinents wirksam begegnet. 1
Seit längerem finden afrikanische Architektinnen und Architekten, die sich dieser Aufgabe stellen, internationale Aufmerksamkeit. Dabei ist es kein Zufall, dass einige der Bekanntesten unter ihnen – David Adjaye, Francis Keré, Mariam Kamara – ihre Arbeitssitze außerhalb des Kontinents haben. Forjaz, der vor allem in Afrika operierte, blieb trotz jahrzehntelangen Schaffens wenig sichtbar, trotz Vorträgen auf den großen Architekturbiennalen und Gastprofessuren zwischen San Diego und Cape Town.
Das erste Projekt in seinem Werkverzeichnis, das der 1936 in Portugal geborene Architekt auf seiner Website dokumentierte, ist von 1962, eine verwunschene, an Frank Lloyd Wright geschulte Villa mit Natursteinfassade in einem Nadelwäldchen bei Lissabon. Die letzten Einträge von 2020 umfassen Villen, Firmensitze und Consulting für kommunale Urbanisierungspläne. Tatsächlich dauerte sein Wirken noch länger: Seine Karriere begann Forjaz bereits 1953, vor der Aufnahme seines Architekturstudiums in Porto, als technischer Zeichner im öffentlichen Bauwesen im damals portugiesischen Mosambik. Forjaz’ Familie hatte es in die Kolonie am Indischen Ozean gezogen, wo hunderttausende Portugiesen und Portugiesinnen und ihre Nachkommen lebten. Und auch in diesem Frühjahr, bei unserem letzten Besuch im Büro des Architekten in Maputo, schien es trotz der Konkurrenz durch Firmen aus China und der Türkei nicht an Aufträgen zu mangeln.
Für Maputo sind die Entwürfe von Forjaz stilprägend. Gerade während des Wirtschaftsbooms vor rund zehn Jahren entstanden an exponierten Lagen repräsentative Firmensitze und Wohnanlagen mit hohem Wiedererkennungswert: geschwungene Grundrisse, die mit den topographischen Begebenheiten der Küstenstadt spielen, durchdachte Durchlüftungen und Verschattungselemente, breathing walls. Das transparente Mauerwerk mit seiner ornamentalen Geometrie hatte Forjaz aus dem tropical modernism der 1960er Jahre in die Gegenwart mitgenommen.
Nach dem Studium in Portugal und einem Master an der Columbia University richtete Forjaz seine erste Firma 1968 in Swasiland ein, unweit von Maputo. Pancho Guedes, der eigenwillige luso-mosambikanische Architekt, 2 hatte ihm einen Kollegen genannt, der sein Büro abgeben wollte. Guedes wusste, dass Forjaz als Unterstützer der mosambikanischen Unabhängigkeitsbewegung FRELIMO nicht in Mosambik leben konnte. Der Befreiungskrieg hatte 1962 begonnen. Sein Eintreten gegen die Herrschaft der weißen Minderheit verband Forjaz mit prominenten Gleichgesinnten im benachbarten Südafrika. Der große südafrikanische Fotograf und Antiapartheidsaktivist David Goldblatt sollte später seine Gebäude ablichten.
Nachdem Mosambik 1975 den Kolonialismus abgeschüttelt hatte, kehrte Forjaz zurück. Nach der Abwanderung der Portugiesen gab es nur noch eine Handvoll Architekten in dem riesigen Land. Forjaz, der sich als (undogmatisch) links verstand, folgte der Einladung des Präsidenten Samora Machel, dessen FRELIMO einen (durchaus dogmatischen) Marxismus-Leninismus vertrat. Die beiden mochten sich. Machel machte Forjaz zum Direktor für Wohnungsfragen. Die städtebauliche Agenda der FRELIMOproklamierte das Ziel, den kolonialen Hangover zu überwinden und die am Wohlergehen weniger ausgerichteten Städte des Landes zum Nutzen aller umzugestalten. Inmitten einer Bevölkerungsexplosion und eines aufflammenden Bürgerkriegs war das keine leichte Aufgabe. Retrospektiv bewertete Forjaz Entscheidungen wie die Verstaatlichung nahezu des gesamten Wohnungsbestands des Landes positiv. Kritischer fiel sein Rückblick auf die versuchte Umsiedlung der ländlichen Bevölkerung in Plan-dörfer aus. Auch der Versuch, gemeinsam mit der Bauakademie der DDR den Wohnungsbau in Mosambik zu industrialisieren, blieb erfolglos.3
Wichtig war Forjaz aber vor allem eine Raumplanung, die auch in den abgelegenen Provinzen des Landes die Lebensbedingungen verbessern sollte. Beistand erhielt er von Patrice Rauszer, der mit Anatole Kopp den Städtebau im revolutionären Algerien vorangetrieben hatte.4 Auch bei der Gründung der ersten Architekturfakultät des Landes, die das mosambikanische Bauwesen unabhängiger machen sollte, konnte Forjaz auf inter-nationale Kontakte zählen. Unterstützung kam aus Rom, auch aus dem Umfeld von Bruno Zevi. Die Fakultät sollte nicht den didaktischen Dogmen europäischer Architekturschulen folgen, sondern die Studierenden vor allem mit dem eigenen Land vertraut machen und einen Weg „zwischen Lehm und Stahlbeton“ suchen.5
Forjaz fragte sich im postkolonialen Mosambik aber auch, wie andere Länder eigene Wege der Modernisierung erprobten – und hatte den Anspruch, an internationalen Debatten zu partizipieren. In einem der wirtschaftlich ärmsten Länder der Erde ließ Forjaz als Direktor der Architekturfakultät etwa die weltweit erste portugiesische Übersetzung des „Lob des Schattens“ herausgeben, des berühmten architekturtheoretischen Essays des Japaners Tanizaki über die kulturelle Dominanz des Westens. José Forjaz, der Architekt und Übersetzer, ist im Juni gestorben.
1 „O que é arquitectura africana“, in: José Forjaz: Pensar arquitectura, Casal de Cambra und Maputo 2017, 136–14
2 Zu Pancho Guedes siehe Bauwelt 4.2014
3 Nikolai Brandes: „,Das Ziel waren Wohnungen für die ganze Bevölkerung‘. Ein Gespräch mit dem mosambikanischen Architekten Mário do Rosário, der in Maputo die Umsetzung eines der letzten Wohnungsbauprojekte der DDR im Ausland begleitete“, in: Andreas Butter, Thomas Flierl, Architekturexport DDR. Zwischen Sansibar und Halensee. Berlin 2022, 56–71
4 Sheila Crane: Algerian Socialism and the Architecture of Autogestion. Architectural Histories, 7(1), 2019, 205 José Forjaz: „...entre o adobe e o aço inox“ ou O papel do arquitecto e do urbanista no terceiro mundo. Arquitrave (7), 1990, 4–15
2 Zu Pancho Guedes siehe Bauwelt 4.2014
3 Nikolai Brandes: „,Das Ziel waren Wohnungen für die ganze Bevölkerung‘. Ein Gespräch mit dem mosambikanischen Architekten Mário do Rosário, der in Maputo die Umsetzung eines der letzten Wohnungsbauprojekte der DDR im Ausland begleitete“, in: Andreas Butter, Thomas Flierl, Architekturexport DDR. Zwischen Sansibar und Halensee. Berlin 2022, 56–71
4 Sheila Crane: Algerian Socialism and the Architecture of Autogestion. Architectural Histories, 7(1), 2019, 205 José Forjaz: „...entre o adobe e o aço inox“ ou O papel do arquitecto e do urbanista no terceiro mundo. Arquitrave (7), 1990, 4–15
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