Kein Nischenthema
Ein Gastspiel im Freilichtmuseum Hessenpark: Das Deutsche Architekturmuseum zeigt Architektur auf dem Land auf dem Land
Text: Scheffler, Tanja, Dresden
Kein Nischenthema
Ein Gastspiel im Freilichtmuseum Hessenpark: Das Deutsche Architekturmuseum zeigt Architektur auf dem Land auf dem Land
Text: Scheffler, Tanja, Dresden
Das Deutsche Architekturmuseum (DAM) kann in seiner Ausstellung „Schön hier. Architektur auf dem Land“ mit einer Fülle interessanter Projekte aufwarten, die zum Teil wenig bekannt sind. Werden doch ländliche Regionen von der gängigen Architekturberichterstattung mit ihrer Vorliebe für neue gestalterische Trends und spektakuläre Projekte in den Metropolen oft übersehen. Viele gelungene Bauten auf dem Land sind jedoch eher unscheinbar, weil sie die überlieferten Dorfstrukturen weiterentwickeln und ergänzen, statt auf den gezielten, Aufmerksamkeit heischenden gestalterischen Bruch zu setzen.
Während das denkmalgeschützte Museumsgebäude von O.M. Ungers am Frankfurter Schaumainkai saniert wird, ist das DAM an anderen Orten zu Gast – mit der Ausstellung zur Architektur auf dem Land im Hessenpark in Neu Anspach. Der Hessenpark im Hochtaunuskreis ist ein rund 65 Hektar großes Freilichtmuseum. Seit 1974 wurden dort mehr als 120 aus unterschiedlichen Dörfern und Jahrhunderten stammende Wohn- und Wirtschaftsgebäude, die an ihren ursprünglichen Standorten nicht erhalten werden konnten, wieder aufgebaut und zu neuen Gebäudegruppen zusammengestellt, die die regionalen Bauweisen (viel Fachwerk) und Siedlungsformen verdeutlichen.
Dazu gehören mehrere kleinere Hofanlagen, ein Marktplatz und ein Werkstätten-Ensemble, in dem alte Handwerkstraditionen vorgeführt werden. Da das dörfliche Leben über Jahrhunderte durch die Landwirtschaft geprägt wurde, können die Besucher des Freilichtmuseums auch die historische Landwirtschaft inklusive der Tierhaltung hautnah erleben. Die DAM-Ausstellung wird in einer aus dem Jahr 1742 stammenden, aus der Gemeinde Bad Emstal-Sand translozierten Scheune gezeigt – thematisch passend: Die Schau stellt auch etliche umgebaute und umgenutzte Stallgebäude, Scheunen und Hofanlagen vor.
In Wahrheit ist das Bauen auf dem Land gar kein Nischenthema. Rund 90 Prozent der Fläche der Europäischen Union ist ländlich oder zumindest überwiegend ländlich geprägt. Etwa die Hälfte der Bevölkerung lebt in diesen Gegenden, auch in Deutschland; nur knapp 200 der 10.800 deutschen Gemeinden haben mehr als 50.000 Einwohner. Der ländliche Raum gerät aufgrund der stetig steigenden Mieten in den Großstädten und dem pandemieverstärkten Trend zum Home-Office immer mehr in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit, denn er bietet bereits jetzt Orte zum Wohnen, Leben und Arbeiten, die allerdings eine zeitgemäße technische, soziale und bauliche Infrastruktur benötigen.
Die als Wanderausstellung konzipierte Schau des DAM präsentiert 70 Projekte aus ganz Europa – von Wohngebäuden über Gasthäuser, Werkstätten, Weingüter, Sportstätten bis hin zu Gemeindezentren und Rathäusern – mit Schautafeln und Modellen. Der geographische Schwerpunkt liegt auf Deutschland, Österreich und der Schweiz. Es sind aber auch interessante Beispiele aus anderen Ländern zu sehen. Viel Raum wird der Umnutzung und Sanierung von Gebäuden sowie den verschiedenen Formen des Umgangs mit dem jeweiligen historischen Erbe gegeben. Schließlich ist der Erhalt überlieferter Bauten nicht nur ein Ausdruck der anhaltenden Wertschätzung, er kann für das lokale Selbstbewusstsein auch identitätsstiftend sein.
Brückner & Brückner Architekten etwa gestalteten ein früheres Franziskanerkloster in Bad Kissingen zu einer Musikakademie mit Übungs- und Ausstellungsräumen, Tonstudio, Übernachtungsmöglichkeiten und Speisesaal um. In Tirschenreuth revitalisierten sie die historische Fronfeste mit ihren großen, vielfältig nutzbaren Gewölbekellern zu einem Hochschulstandort. Von Florian Nagler sind ein Kuhstall mit mehrschiffiger Vollholz-Binderkonstruktion im oberbayerischen Voralpenland (Bauwelt 41.2010) und der Umbau und die Erweiterung des ehemaligen Hofguts Karpfsee in der Gemeinde Bad Heilbrunn zu einer Kultur- und Begegnungsstätte zu sehen (Bauwelt 20.2017).
Größere Schlaglichter wirft die Ausstellung auf die aktuellen Entwicklungen im Schwarzwald und in Thüringen (IBA) sowie auf die Orte Krumbach in Österreich und Valendas in der Schweiz, die beide in den letzten Jahren auf unterschiedliche Weise versucht haben, ihre Zentren weiterzuentwickeln. In Krumbach im Bregenzerwald wurden etwa unkonventionelle, von jungen ausländischen Architekten entworfene „Buswartehüsle“ aufgestellt (Bauwelt 34.2017) und neue Mehrfamilien- und Mehrgenerationenhäuser errichtet. Im Bergbauerndorf Valendas in Graubünden revitalisierte Gion A. Caminada im Auftrag einer Bürgerstiftung das historische „Gasthaus am Brunnen“, ergänzte es um einen Gemeindesaal und weckte so den Dorfplatz aus dem Dornröschenschlaf (Bauwelt 17/18.2015). Die bekannteste „Ortskernaufwertung“ ist vermutlich das vom Münchner Architekten Peter Haimerl entworfene, als gekippter Kubus in den Hang hineingebaute Konzerthaus in Blaibach im Bayerischen Wald (Bauwelt 5.2016), das Kulturtouristen in den 2000-Einwohner-Ort lockt.
Die Ausstellung lenkt den Blick auch auf viele gut durchdachte und gestaltete kleinere Projekte, die Ausgangspunkt für weitere, umfangreichere Entwicklungen sein können. Dies reicht von Infrastrukturmaßnahmen über die Etablierung von Landbäckereien, Dorfläden, Handwerks- und Dienstleistungsbetrieben bis hin zu nachhaltigem Tourismus. Solche Projekte können für junge Architekten ein vielversprechender Berufseinstieg sein. Max und Jakob Giese etwa planten nach ihrer Bürogründung 2016–19 Baumaßnahmen des Bioland-Hofes Schürdt in der Gemeinde Altenkirchen im Westerwald: den Umbau des alten Fruchtspeichers, einen neuen Schweinestall und die Erweiterung des Hofladens. Mittlerweile beschäftigen sie sich mit der Revitalisierung des Ortskerns von Altenkirchen.
Es fällt auf, dass die meisten der vorgestellten Projekte – im Gegensatz zu den Beispielen anderer Architekturausstellungen – von ihrer Funktionalität und ihrer Gestaltung her den lokalen Bedürfnissen entsprechen und keine übertrieben repräsentativen Ansprüche erfüllen sollen. Viele der Bauten überzeugen durch eine enge Verzahnung der neuen Architektur mit der überlieferten Dorfstruktur oder der Landschaft, einen bewussten Umgang mit den Ressourcen und ihren handwerklich-konstruktiven Details. Häufig werden regionale, eher einfache Bautraditionen zeitgemäß weiterentwickelt.
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