Bauwelt

Macchina

Eine Espressomaschine wie gute Architektur – zweckmäßig, aneignungsoffen und robust, stilistischer Zeitzeuge und erfahrungsbereichernd für den Nutzer. Ohne WLAN.

Text: Thein, Florian, Berlin

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    Foto: Jasmin Schuller

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    Sämtliche Bauteile der Gaggia Espresso. Nummer 38 beispielsweise zeigt das Gruppenventil (Assieme Valvolina erogazione).
    Abb.: Gaggia S.p.a

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    Sämtliche Bauteile der Gaggia Espresso. Nummer 38 beispielsweise zeigt das Gruppenventil (Assieme Valvolina erogazione).

    Abb.: Gaggia S.p.a

Macchina

Eine Espressomaschine wie gute Architektur – zweckmäßig, aneignungsoffen und robust, stilistischer Zeitzeuge und erfahrungsbereichernd für den Nutzer. Ohne WLAN.

Text: Thein, Florian, Berlin

Auf der Suche nach einer neuen Espressomaschine begegnete mir vor einigen Jahren die Gaggia Espresso auf einem großen Online Auktionspor­tal. Verglichen mit den chromglänzenden Boliden im Gastrolook, die inzwischen zur Grundausstattung des ambitionierten Heimbarista gehören, erfreute mich ihr unprätentiöses Kunststoffkleid in keckem Rosso Corsa. Auch die etwas ungelenke, im ausgehenden Jahrtausend verhaftete Formgebung des Geräts weckte mein Interesse. Für knappe fünfzig Euro kam es in meinen Besitz.
Die Freude über das neue Objekt zur Herstellung des beliebten Heißgetränks währte nur kurz – ein permanentes Tropfen hatte seine Ursache in einem gebrochenen Gruppenventil. Kaum geschehen, offenbarte die Gaggia jedoch ihre wahre Schönheit – die Innere. Eine kurze Recherche brachte zutage, dass besagtes Ventil, wie auch jedes weitere Bauteil der Maschine, bis hin zur kleinsten Schraube, lückenlos nachzubestellen war – und das fast 25 Jahre nach Produktion des Geräts. Man möchte meinen, dass diese Tatsache darin begründet liegt, dass die gegenwärtig praktizierte, geplante Obsoleszenz und verminderte Reparaturfähigkeit von Haushaltsgeräten damals noch nicht gang und gäbe war. Dies mag zutreffen, eine entscheidende Rolle spielt jedoch auch die auf Modulen basierende Plattformstrategie der Mailänder Firma um Gründer Giovanni Achille Gaggia. Seit sie etwa 1977 begann, neben den Profigeräten auch Espressomaschinen für den Heimgebrauch anzubieten, war diesen, trotz wechselndem Äußeren, ein sehr ähnliches Innenleben aus einfachen, größtenteils identischen Bauteilen gemein. Die zudem selbst­erklärende Elektrik und Mechanik ermöglichte es mir so, nach und nach alle, dem natürlichen Verschleiß unterlegenen Teile auszutauschen. Deren Beschaffungskosten summierten sich allerdings annähernd zum Preis eines Neugeräts.
Digitalkaffee
Dass die Maschine den Aufwand im Gegenzug mit unkomplizierter Extraktion der gewünschten Emulsion entschädigt, kann klar verneint werden. Komfort ist der Gaggia Espresso fremd. Kein Vergleich mit einem Vollautomaten, der nach Wahl der programmierten Zubereitungsart von Latte bis Americano per Druck auf ein Touchdisplay stoisch und in gleichbleibender Qualität das jeweilige, espressobasierte Getränk in die Tasse laufen lässt.
Natürlich kann ein solches Produkt zweifelsfrei als trinkbares Mitglied der Kaffeefamilie identifiziert werden, die gewissenhafte Zubereitung beispielsweise eines Cappuccino stellt jedoch eine Gleichung mit mehreren Unbekannten dar, deren Lösung sich der, durch voreingestellte Parameter definierte Automat allenfalls nähert. Die Steigerung vom genießbaren zum genussvollen Getränk erreicht nur, wer bereit ist, die steile Lernkurve der Zubereitung händisch zu erklimmen. Die Gaggia mit ihrer rudimentärenAusstattung in Form dreier Schalter mit den Funktionen An/Aus, Bezug und Dampf bietet sich hier als ideales Trainingsgerät an, um die nötigen handwerklichen Fähigkeiten zu erlernen. Ist nach dem Einschalten, Durchspülen, Tassen und Siebträger vorwärmen, der richtige Mahlgrad zur gewählten Bohne gefunden, die exakte Menge Mahlgut in den Siebträger gefüllt und mittels präzise austariertem Anpressdruck per Tamper die Verdichtung des Kaffeemehls, sowie die anschließende Politur der Oberfläche erfolgt, kann nach Einspannen des Siebträgers und Betätigung des Wippschalters darauf gehofft werden, nach kurzer Anlaufphase ein dunkelbraunes, reich an gelösten Ölen gesättigtes, Mäuseschwänzchen zu erblicken, das langsam den Tassenboden benetzt. Sind bis hierhin keine Fehler passiert, erhält der Espresso die viel gerühmte Crema am Ende ganz von selbst. Bis das Einkreissystem der Gaggia anschließend die Temperatur zur Dampferzeugung erreicht hat, hält ihr Besitzer eine kurze Gedenkminute. Wo der Vollautomat nun erhitzte Milch durch ein Zerstäuberventil gedrückt, als bauschaumartige Masse auf den Kaffee wirft, versucht der Handarbeiter durch korrekte Positionierung der Dampflanze und Bewegung des Milchgefäßes eine Volumenvergrößerung der Milch zu einer homogen-cremigen Masse mittels sogenannten Ziehens und Rollens zu erreichen. Der präzise Schwenk beim anschließenden Eingießen, der eine sogenannte Latte Art in Form eines Herz- oder Blattmotivs auf das Espresso-Milchschaum-Gemisch zaubert, bleibt den Erfahrenen vorbehalten.
Mensch-Maschine
Dem Menschen dienen zur Verarbeitung von Informationen zwei separate Systeme – Genome zum einen, das Gehirn zum anderen. Die Funktionsweise ersterer lässt sich relativ einfach digital abbilden, Vorgänge im Gehirn dagegen sperren sich bislang gegen eine auf Einsen und Nullen re­duzierte Beschreibbarkeit. Und tatsächlich scheint vice versa das wortwörtliche Nichtbegreifen digitaler Vorgänge eine Leerstelle in uns zu hinterlassen. Der Produktdesigner Dieter Rams bezeichnet diese, dem Digitalen scheinbar immanente Eigenschaft, als Verdunkelung von Erfahrungsvermögen. Geradezu erhellend wirkt sich dagegen die Benutzung der Gaggia Espresso aus. Erst ein erfahrungsreicher Trial-and-Error-Marathon führt zum tieferen Verständnis des idealen Zusammenspiels von Kaffeepulver, Wasser und Druck. Zudem erzeugt die intensive Auseinandersetzung eine Wertschätzung gegenüber dem moralisch nicht unproblematischen Produkt, welches Tausende Kilometer aus einem Entwicklungsland eingeflogen wird um dann als leistungssteigernder Koffeinträger, zeitoptimiert zwischen zwei Terminen „to go“, aus Pappbechern ge­nuckelt zu werden. Frei nach – wiederum – Dieter Rams, sollte hier gelten: Weniger aber besser trinken! Wenn es dann doch mal viel sein muss, also mehr als eine Kaffee trinkende Person zu Bewirten ist, weiche ich gerne auf die Siebstempelkanne aus – das geht deutlich schneller.

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