Bauwelt

Paolo Portoghesi (1931–2023)

Es ist viel zu kurz gegriffen, Paolo Portoghesi allein mit einer Reihe seiner Bauten zu sehen, die in die Zeit der Postmoderne eingeordnet werden.

Text: Redecke, Sebastian, Berlin

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    Hutträger, viele Jahre seines Lebens: Paolo Portoghesi, gebür­tiger Römer.
    Foto: ©picture alliance/­Stefano Spaziani

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    Hutträger, viele Jahre seines Lebens: Paolo Portoghesi, gebür­tiger Römer.

    Foto: ©picture alliance/­Stefano Spaziani

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    Der Sakralbau war ein Schwerpunkt im Schaffen von Portoghesi, was wohl auch mit seiner Beschäf­tigung mit der Architektur des Barock zusammenhängt.
    Foto: Cédric Dasesson

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    Der Sakralbau war ein Schwerpunkt im Schaffen von Portoghesi, was wohl auch mit seiner Beschäf­tigung mit der Architektur des Barock zusammenhängt.

    Foto: Cédric Dasesson

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    Die Kirche Sacra Famiglia in Salerno entstand 1973.
    Foto: Cédric Dasesson

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    Die Kirche Sacra Famiglia in Salerno entstand 1973.

    Foto: Cédric Dasesson

Paolo Portoghesi (1931–2023)

Es ist viel zu kurz gegriffen, Paolo Portoghesi allein mit einer Reihe seiner Bauten zu sehen, die in die Zeit der Postmoderne eingeordnet werden.

Text: Redecke, Sebastian, Berlin

Sein Werk basiert weitgreifend auf seinen mit großer Passion betriebenen Studien der Baugeschichte und Architekturtheorie. Er hatte dabei Präferenzen und schrieb Bücher über die Architekten Borromini, Guarini und Horta, über Michelangelo und über das barocke Rom im allgemeinen. Sein wichtiges Buch, „Dopo l’architettura moderna“ von 1980, erschien kurz darauf auch auf Deutsch: „Ausklang der modernen Architektur“.
Der Römer studierte in den fünfziger Jahren Architektur an der „Sapienza“ in seiner Heimatstadt, in einem Palazzo an der Piazza Borghese im Herzen der Stadt und in einem Bau von 1932 oberhalb der Villa Giulia von Enrico Del Debbio. Er lehrte in Rom und in den turbulenten Zeiten 1968 bis 1973 an der Architekturfakultät des Polytechnikum Mailand. Später unterrichtete er wieder in Rom, und man erzählte sich, dass im Hörsaal geklatscht wurde, wenn der Professor von erhabener Statur mit großem schwarzen Hut und weitem Mantel zur Vorlesung erschien. Angeblich war es die Vorfreude auf sein so bildreiches und wortgewaltiges Eintauchen in die Tiefen der Architekturgeschichte, aber es soll wohl eher ein leiser Protest gewesen sein, da er sich viel zu selten sehen ließ. Für Alessandro Rocca verkörperte Portoghesi einen Dandy, einen Kulturattaché der geschichtlichen Studien mit bevorzugten Themen und Personen (Bauwelt 24.2003).
Der wohl bedeutendste Moment in seinem beruflichen Leben mit großer auch internationaler Beachtung war im Jahr 1980 – zeitgleich mit seinem Buch „Dopo l’architettura moderna“ – die Berufung als Kurator der ersten internationalen Architektur-Biennale in Venedig. Er inszenierte im Arsenale auf einer „Strada Novissima“ die später auch in Paris und San Francisco gezeigte Ausstellung „La presenza del passato“, Architektur nach der Moderne aus unterschiedlichen Blickwinkeln mit Beiträgen von Gehry, Venturi, Graves, Hollein, Kleihues, Ungers, Isozaki, Koolhaas und anderen. Aldo Rossi, mit dem er sich in seiner Mailänder Zeit auseinandersetzte, ließ damals sein Theater auf einem Kahn durch Venedig fahren.
Als Architekt mit Büropartner Vittorio Gigliotti (1921–2015) wollte Portoghesi in seinen Projekten das Studierte aus der Baugeschichte mit einem eigenen Duktus übersetzen. Viel Beachtung fand er mit der Kirche della Sacra Famiglia in Salerno von 1973, ein Sichtbetonbau, komponiert aus Mauern, konkaven und konvexen Kreissegmenten mit unterschiedlichen Radien, im Dach filigran abgestuft. Es entstanden auch eine Reihe von Wohnbauten wie die Casa Papanice in Rom sowie Projekte im Sudan und in Jorda­nien. Aus Deutschland ist eine wenig bekannte Geschichte zu erzählen – was vielleicht auch daran liegt, dass Pirmasens ziemlich abseits im Pfälzer Wald liegt. Portoghesi beteiligte sich dort 1990 an einem von der Stadt ausgelobten Ideenwettbewerb einer Platzgestaltung. Er kam auf den dritten Rang. Rob Krier gewann, sein Entwurf passte der Stadt aber nicht, und man entschied sich für Portoghesi. Mit ihm kam ebenfalls in vollen Zügen die postmoderne Formenwelt zur Geltung. Der Stadt war angeblich das „Flair des Internationalen“ wichtig. Portoghesis großes Rund auf dem „Exe“ genannten Exerzierplatz vor dem Rathaus entstand nach dem Bau einer neuen Tiefgarage: Kolonnaden aus rosa Betonsäulen mit Fantasiekapitellen fassen eine Platzfläche mit ornamentaler Bepflasterung ein, die ein wenig an das Oval des Kapitols in Rom erinnert. In der Mitte ein Brunnen aus schwarzem Basalt mit einem 25 Meter hohen, pyramidenförmigen Stahlgerüst und Blechfähnchen. Außerdem baute Portoghesi für die IBA 84/87 in Berlin einen der Wohnblocks am Tegeler Hafen. Die erste Arbeit in Deutschland war ein Modell seiner utopischen Stadt Dikaia, das 1972 auf der Documenta 5 in Kassel zu sehen war.
Sein wohl wichtigste Projekt war die 1994 eröffnete Zentralmoschee von Rom mit einer Gebetshalle für 2600 Gläubige. Portoghesi hatte mit dem Auftrag – in einer vom Bauherrn geforderten, äußerst schwierigen Zusammenarbeit mit Sami Moussawi – immer wieder ein großes, von der Presse begleitetes Auftreten, zumal der Bau politische Brisanz hatte. Planung und Realisierung dauerten zwanzig Jahre. Die Baugenehmigung wurde nur erteilt, wenn die Minarette nicht vom Vatikan aus zu sehen sind. So entschied man sich für ein Grundstück hinter dem Monte Antenne nördlich des Stadtzentrums – und für nur ein Minarett, das bescheiden ausgefallen ist. Portoghesi zog im Inneren alle Register mit vielen Referenzen. In einer fast schon spielerischen Baukunst stand vor allem Guarino Guarini Pate. So verkörpert die Moschee gerade in Rom eine Symbiose von barocker und islamischer Formenwelt. Für Portoghesi gelang sicherlich ein Wunschtraum, denn der Erfindungsreichtum im Barock, den er so leidenschaftlich beschreiben konnte, erlebte im großen Maßstab eine reale „Übertragung“. Er stand damit aber auch in der Kritik, da man nicht nur bei diesem Entwurf nur eine Reduktion auf einen formalen Ansatz ohne die Entwicklung eines neuen, architektonisch überzeugenden Konzepts erkannte.
Weniger bekannt ist das Theater Politeama in Catanzaro von 2002 mit einem ebenfalls von Portoghesi gestalteten Platz. Die ausladende Fassade mit ihren geschwungenen Wandfeldern erinnert an Kirchen-Schaufronten im Barock. Bei den Stützen im Foyer soll sich der Architekt von hochstämmigen Bäumen inspiriert haben.
Sein letzter großer Bau, die Kathedrale von Lamezia Terme, entstand 2019: eine sonderbar wirkende Gebäudekomposition mit Doppeltürmen, weitgehend aus Stahl, bei der man vermuten könnte, dass die erste Entwurfsidee aus einer Kinderbuch-Illustration stammt. Spätestens bei dieser Kirche kommt man zur Erkenntnis, dass der brillante Erklärer der Architektur und seine Bauten seit den 1990er Jahren nicht gut korrelieren.
Portoghesis Leben war geprägt von vielen Stationen mit immer neuen Facetten. So kandidierte er zum Beispiel 1989 für den Stadtrat in Rom, er war Mitglied der damaligen Sozialistischen Partei Italiens (PSI). Liest man die zehn Punkte seines Programms für den Bürgermeister Franco Carraro, so fällt auf, dass er sich für eine „Città intelligente“ und eine „Ecologia umanistica“ einsetzen wollte. Humane, traditionelle Architektur, das Handwerk und viel neues Grün, so auch entlang des Tibers. Und schon damals war er für Elektrofahrzeuge im öffentlichen Nahverkehr. Die Themen Wahrung der Natur und ökologisches Umdenken haben ihn, vielleicht verstärkt in einer romantisierenden Form, stetig begleitet. Die heute zwingend weltweit immer bedeutender werdende Entwicklung hin zum ressourcenschonenden Bauen muss ihn gefreut haben.
1992 verließ Portoghesi seine Heimatstadt und zog sich mit Büro in die kleine Ortschaft Calcata zwischen Rom und Viterbo zurück. Dort war er von einer Naturlandschaft mit großen Felsen, eindrucksvollen Wäldern und seinen vor dem Haus weidenden Pferden und Eseln umgeben. Die Nähe zur Natur, die mit seiner Architektur der organisch-bewegten Interpretationen zum Ausdruck kommt, verbindet sich nun mit der Sympathie für das Einfache, Regionale. Die Architektur der Globalisierung blieb ihm fremd. Sie habe eine auf sich bezogene, lärmend-spektakuläre Sprache. 2003 schrieb er: „Das Bild, das hierfür verwandt wird, ist das der Härte, des Bruchs, der Entweihung, der Zersetzung, und zwar nicht etwa in einem pessimistischen Sinne, sondern als optimistische Feier eines chaotischen Werdens“ (Bauwelt 24.2003).
Die letzte Begegnung mit Portoghesi war im Mai 2019. Damals wurde seine 1961 gebaute Casa Baldi bei Rom wieder eröffnet, ein bescheidene, aber zu Beginn seiner frühen Zeit als Architekt emblematische Villa. Lange leerstehend, war sie von Efeu zugewuchert gewesen und in einem baulich schlechten Zustand. Der Fliesenhersteller Casalgrande Padana als neuer Eigentümer nutzt sie jetzt als Ort der Information und als Diskussionsforum für Architekten und Fliesen-Spezialisten. Mit seiner Naturverbundenheit mag Portoghesi den bewachsenen Zustand sicherlich als schön empfunden haben, doch nun kommen wieder die konkaven Wände aus Tuffsteinblöcken mit Ziegelbändern und die Betonscheiben der Geschosse zur Geltung (Bauwelt 16.2019). Besonders dieser kleine, versteckt liegende Bau wird in Verbindung mit der charismatischen Persönlichkeit römischer Größe in Erinnerung bleiben. Am 30. Mai ist Paolo Portoghesi im Alter von 92 Jahren in seinem Haus in Calcata gestorben.

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