Bauwelt

Staatliche Einrichtung

Paris: Die dekorativen Künste zwischen 1930 und 1960 in einer Ausstellung

Text: Schulz, Bernhard, Berlin

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    Perrets feierliches Gebäude für staatliche Prachtstücke.
    Foto: Isabelle Bideau

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    Perrets feierliches Gebäude für staatliche Prachtstücke.

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    Die table lumineuse von Marcel Bergue, 1937.
    Foto: LACEN

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    Die table lumineuse von Marcel Bergue, 1937.

    Foto: LACEN

Staatliche Einrichtung

Paris: Die dekorativen Künste zwischen 1930 und 1960 in einer Ausstellung

Text: Schulz, Bernhard, Berlin

Kann man sich einen französischen Minister, vom Staatspräsidenten ganz zu schweigen, in einem nüchtern-kühlen Büro à la Bundeskanzleramt vorstellen? Natürlich nicht. Die Französische Republik hat von ihren feudalen Vorgängern den unbedingten Willen zur Repräsentation geerbt. Der Glanz der Königsschlösser, kurzzeitig von der 1789er-Revolution verdunkelt, wurde schon von Napoleon schleunigst aufpoliert und ist seither nie mehr verblasst. Damit sich aber jeder Minister, Staatssekretär oder Botschafter standesgemäß ausstatten kann, gibt es die Einrichtung des Mobilier national: des nationalen Möbeldepots, dessen Geschichte bis in die Zeit des Sonnenkönigs zurückreicht.
Während der Pandemie legte das Möbeldepot ein Restaurierungsprogramm auf, in dessen knapp zwei Jahren nicht weniger als 129 herausragende Objekte der 1930er bis 1960er Jahre aufgearbeitet und so zugleich die verschiedenen Spezialberufe für Holz, Leder, Glas oder Teppiche am Leben erhalten wurden. Nun werden die Ergebnisse in einer hinreißenden Ausstellung vorgestellt, möglichst in jenen Ensembles, als die sie einst von den führenden Dekorateuren entworfen worden waren. Im Galeriebau des Möbelinstituts sind auf zwei Etagen zahlreiche Ausstattungen wiedererstanden, deren Einzelteile teils seit Jahrzehnten im Lager ruhten, außer Mode gekommen, nicht mehr nachgefragt – dafür umso mehr Zeugnisse ihrer jeweiligen Zeit. Denn die Jahre nach der folgenreichen Pariser Ausstellung der dekorativen Künste 1925, die dem „Art déco“ die griffige Bezeichnung gab, sahen einen enormen Aufschwung des Kunsthandwerks.
Frankreich ist seit jeher das Land der Staatsaufträge, und in diese Tradition fügen sich die Bestellungen der Politik als Gewerbeförderung nahtlos ein. Der Titel „Le chic!“, mit dem die jetzige Ausstellung wirbt, trifft die Intention: Es wurde „Chic“ gewünscht und geliefert. Unter dem von 1926 bis 1944 amtierenden Chef der Möbel-Behörde wurden Art-déco-Stücke bevorzugt. Luxus wurde groß geschrieben: tropische Hölzer, Intarsien, Lederbespannungen, Chinalack und vergoldete Bronzezier finden sich in allen denkbaren Kombinationen. Die Möbel wurden nicht zuletzt für wichtige Botschaftsresidenzen benötigt, um vom „Reichtum Frankreichs“ zu künden, wie der Ausstellungskatalog freimütig erklärt. Es sind allemal Einzelstücke: Kein ein­ziges ist auch nur auf Kleinserie angelegt. Der Kontrast zu den Intentionen des Bauhauses im Nachbarland könnte nicht größer sein. Auch die Pariser Werkbund-Ausstellung des Jahres 1930 hinterließ im französischen Stilbewusstsein nicht die geringste Spur. Stattdessen entwarf Marcel Bergue einen Tisch mit verglasten, innenbeleuchteten Seitenteilen, bezeichnenderweise in jenem Jahr 1937, da die Weltausstellung die Elektrizität in aufwendigsten Beleuchtungen feierte.
Von Krieg und Besatzung unbeeindruckt, machte sich die Möbelverwaltung bereits 1944 daran, jüngere Entwerfer heranzuziehen, um modernes Design für altehrwürdige Bauten zu schaffen. Schon der Einzug General de Gaulles in ein Stadtpalais 1945, erst recht aber der Amtsantritt des Sozialisten Vincent Auriol als erstem Staatspräsidenten der Vierten Republik Anfang 1947 führten zu einer neuen Blüte des Kunsthandwerks. René Prou und Lucien Rollin schufen exquisite Möbel, Colette Gueden konstruierte für die Präsidentengattin einen verchromten Frisiertisch. Der Elysée-Palast wurde behutsam aufgeräumt, Einzug erhielt jene konservative Moderne, die zehn Jahre zuvor mit der Weltausstellung aufgekommen war.
Doch gegen Ende der 1950er Jahre verebbte das klassische Kunsthandwerk; „Dekorateure machten Designern Platz“, wie der Katalog bedauert. Raphael Raffael entwarf einen schnittigen Schreibtisch mit Extrafläche fürs unverzichtbare Telefon – dem Besucher bietet sich so ein Monstrum mit Wählscheibe dar. Aber auch das ist längst Geschichte. Der Möbelfonds verwahrt alles ohne Ansehung von Alter und Herkunft, untergebracht in einem großzügigen, allerdings etwas versteckt gelegenen Bauwerk. Es stammt von keinem Geringeren als Auguste Perret, dem unbestrittenen Meister des Betons, der in seiner besten Zeit der 1930er Jahre eben auch den Bau des Möbeldepots verantwortete. Riesige Lagerräume umstellen dreiseitig einen Ehrenhof, unter dem sich im durch Glasbausteine belichteten Keller die Werkstätten befinden. Schließlich müssen die Möbel tiptop sein, sollten sie denn nachgefragt werden. Es ist genug vorhanden, um die Republik auszustatten, stets im vielzitierten „Chic à la française“.

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