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Ein kantonaler Parlamentsbeschluss gefährdet den Fortbestand der Stiftung Bibliothek Werner Oechslin in Einsiedeln

Text: Schirren, Matthias, Kaiserslautern

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    2006 bezog die Bibliothek ein eigenes Gebäude, das nach Plänen von Mario Botta im Garten des Oechslinschen Wohnhauses entstand (Bauwelt 23.2006). Foto: Robert Rosenberg, Einsiedeln © Stiftung Bibliothek Werner Oechslin

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    2006 bezog die Bibliothek ein eigenes Gebäude, das nach Plänen von Mario Botta im Garten des Oechslinschen Wohnhauses entstand (Bauwelt 23.2006).

    Foto: Robert Rosenberg, Einsiedeln © Stiftung Bibliothek Werner Oechslin

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    Foto: Robert Rosenberg, Einsiedeln © Stiftung Bibliothek Werner Oechslin

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Ein kantonaler Parlamentsbeschluss gefährdet den Fortbestand der Stiftung Bibliothek Werner Oechslin in Einsiedeln

Text: Schirren, Matthias, Kaiserslautern

Glückliche Schweiz, mag mancher gedacht haben, der Gründung, Auf- und Ausbau der Stiftung Bibliothek Werner Oechslin in Einsiedeln in den letzten drei Jahrzehnten aus der privilegierten Außenperspektive eines gelegentlichen Tagungsgastes miterleben durfte und die unzähligen Verhandlungen und Gespräche, das Vor und Zurück einzelner Stakeholder, gar nicht mitbekam. Das Wagnis des Gründers und Namensgebers und seiner Ehefrau, der Kunsthistorikerin Anja Buschow, die im Laufe eines Wissenschaftlerlebens mit der Energie leidenschaftlicher Bücherfreunde, vor allem aber mit einem übergreifenden Konzept aufgebaute Forschungsbibliothek zu Geschichte und Theorie der Architektur in Einsiedeln auch an-deren Interessierten zugänglich zu machen, schien am Ende doch aufzugehen und wurde durch eine große internationale Resonanz belohnt. Es fanden sich auch staatliche und institutionelle Förderer vor Ort, wenngleich nicht von gleichbleibendem Engagement.
Die finanzielle Konstruktion der Stiftung, in die Oechslin und seine Frau Ende der 1990er Jahre Bücher in einem Millionenwert Schweizer Franken einbrachten und der sie weitere umfängliche Bücherbestände zum Erwerb anbieten, beruhte nach einigen für die Stifter aufreibenden Revirements zuletzt auf Zahlungen, die die ETH Zürich als Hauptgeldgeber übernehmen wollte, und solchen, die kleinere Stakeholder beizutragen versprachen. Aus ihr ist nun Ende Juni durch einen parlamentarischen Beschluss des Kantons Schwyz, bei dem einige Liberale (FDP) mit der populistischen Schweizer Volkspartei (SVP) ein unseliges Bündnis eingingen, die wichtigste regionale Körperschaft ausgetreten, womit die ganze Konstruktion der Stiftung ins Wanken gerät. Denn die Zusagen der übrigen Beteiligten gelten nur so lange, wie auch alle anderen ihre Verpflichtungen einhalten. „Wenn kein Wunder geschieht, müssen wir zum 1. Januar 2025 den Betrieb herunterfahren und können nur noch überwintern“, lässt sich Werner Oechslin, der in diesem Jahr achtzig Jahre alt wird und den Stab gern an einen anzustellenden Direktor weitergeben würde, von der Neuen Zürcher Zeitung und in der Regionalpresse zitieren.
Verwundern muss der parlamentarische Beschluss vor allem in Hinsicht auf die geringe Summe von 600.000 Schweizer Franken jährlich, um die es geht. Es ist ein Bruchteil dessen, was der auch im innerschweizerischen Vergleich reiche Kanton für Infrastrukturmaßnahmen ausgibt. Implizit wurde der Stiftung durch den Beschluss aber nicht weniger als das öffent-liche Interesse innerhalb des Kantons auf kaltem Weg abgesprochen. Dass man nicht wagte, das explizit zu sagen, wo noch in der Beschlussvorlage bezüglich Ausstrahlung und Rang der Bibliothek, die ein internationales Publikum architekturhistorisch und -theoretisch Interessierter nach Einsiedeln zieht, von einer „Perle“ im Kranz der Schwyzer Kulturinstitution die Rede ist, verrät ein willkürliches und unverantwortliches Augenverschließen der Parlamentarier vor offen zu Tage liegenden Notwendigkeiten. Zumal das Stifterehepaar für vielfältige Forschungen zu regionalen Themen verantwortlich zeichnet und bedeutsame Bücher dazu publiziert hat. Von den regelmäßigen Vor-Ort-Exkursionen im Rahmen der Internationalen Barocksommerkurse und anderer bei der Stiftung fest institutionalisierter internationaler Tagungsformate einmal ganz abgesehen.
Die Integration von individueller Verwurzelung und internationaler Ausstrahlung ist dem Genom der Oechslinschen Bibliothek gewissermaßen eingeschrieben. Werner Oechslin stammt aus Einsiedeln, hat hier selbst – im Schatten einer prachtvollen Barockbibliothek – die Klosterschule besucht. Sein Universitätsstudium widmete er dem Fach Kunstgeschichte, studierte aber auch Archäologie, Mathematik und Philosophie. Publiziert hat er zur gesamten Kunst- und Architekturgeschichte von Antike, Neuzeit, Moderne und Nachmoderne. In den Achtzigerjahren gehörte er – das ist für Gegenwartsbezug und Aktualität seiner historischen Interessen bezeichnend – zu den Mitbegründern und Herausgebern der legendären Zeitschrift Daidalos, die die Postmodernediskussion der Zeit mit bis heute lesenswerten, interdisziplinären Themenheften ebenso vorantrieb wie konterkarierte.
Sein beruflicher Werdegang hat Oechslin über Dozenturen und Professuren am MIT in Boston, an der Rhode Island School of Design, später auch an der Harvard University, in Buenos Aires und in Shanghai, an der Universität Bonn, an der Freien Universität in Berlin und an der EPFL in Genf 1985 schließlich an das bekannte Institut für Geschichte und Theorie der Architektur (gta) an der Züricher ETH geführt. Oechslin hat es bis zu seiner Emeritierung maßgeblich neustrukturiert und mitgeformt. Nicht wenige der zeitgenössischen Programmschriften, respektive -bilder, etwa aus dem Umkreis Aldo Rossis, der an der ETH lehrte, entstanden in den Räumen seiner in Einsiedeln zunächst nur provisorisch und im Keller sei-nes Privathauses zugänglich gemachten Bibliothek.
Längst hat sich die einstige Spezialsammlung mit unersetzlichen architekturtheoretischen Rara zu einer stattlichen Bibliothek allgemein kulturwissenschaftlichen Zuschnitts entwickelt, die das Thema Architektur jenseits einengender Fächergrenzen zu verfolgen gestattet. Sie ist inzwischen auch in einem eigenen, von Mario Botta entworfenen Bauwerk untergebracht. Nur einen Steinwurf vom Kloster entfernt, bildet es entsprechend seines Inhalts eine am Ort unverwechselbare Identität aus. Was Umfang und Sammlungstiefe der Bibliothek angeht, muss sie den Vergleich mit der Bibliothek des Kunsthistorikers Aby Warburg aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht scheuen, die die kultur- und lebensfeindlich Politik der Nationalsozialisten 1933/34 aus Hamburg vertrieb, sodass das weltberühmte Warburg Institute heute in London residiert.
Ging es in Warburgs Forschungsbibliothek darum, Bilder wie Texte lesen zu können, so steht in der Bibliothek Oechslin das individuelle Buch und dessen Aufbau als keineswegs nur neutraler Informationsträger im Zentrum. Es geht bei der Stiftung nicht lediglich um einen Bestand, den man rein bibliothekarisch abhandeln könnte. Es geht um einen Organismusdes Wissens, den zu pflegen es einer architektonisch im übergreifenden Sinne zu nennenden Haltung bedarf, so wie etwa Kant in seiner Kritik der reinen Vernunft eine „Architektonik der Vernunft“ als „Kunst der Systeme“ zu beschreiben versucht. Gerade die Vertreter des traditionell vernunftorientierten Schweizer parlamentarischen Systems könnten hier glückliche Anknüpfungspunkte finden.
Die jüngsten Kooperationsverträge, so ist aus der Einsiedelner Stiftungsbibliothek zu vernehmen, habe man mit chinesischen Universitäten abgeschlossen. Mögen die Schwyzer es hören – und umsteuern!

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