Unklare Baulast
Deutschland ist übersät mit Bauten aus der Nazizeit. Ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, wäre Voraussetzung für einen angemessenen Umgang mit ihnen.
Text: Büttner, Claudia, München
Unklare Baulast
Deutschland ist übersät mit Bauten aus der Nazizeit. Ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, wäre Voraussetzung für einen angemessenen Umgang mit ihnen.
Text: Büttner, Claudia, München
Das nationalsozialistische Bauerbe besteht bei weitem nicht nur aus einigen wenigen Monumentalbauten in München, Nürnberg, Weimar und Berlin: Viele Schwimmbäder, Schulen, Finanzämter und vor allem Wohnbauten stammen aus der NS-Zeit. Meist bleiben sie vom nicht geschulten Auge unerkannt, denn der Stilpluralismus der Architektur unterm Hakenkreuz macht es bisweilen schwierig, sie zu identifizieren. Das Kölner Denkmalpflegeamt zählt 1000 solcher Gebäude, in München sind es nach Berechnungen der Autorin des vorliegenden Textes mindestens 5000. NS-Bauten sind also keine Seltenheit – wir haben nur nicht gelernt, sie zu erkennen. Diese diffuse Allgegenwart in deutschen Stadtlandschaften war denn auch das eindringlichste Ergebnis der Studie zum Umgang mit NS-Bauten in der Nachkriegszeit 1945–1975, die eine unabhängige Historikerkommission im Auftrag des Bundesbauministerium in den letzten Jahren anstellte.
In der Nachkriegszeit bestimmten zunächst die vier Besatzungsmächte den Umgang mit dem braunen Bauerbe. Sie ließen wenig abreißen und nutzten auch repräsentative NS-Bauten für sich. Der Grund liegt auf der Hand: Angesichts der zerstörten Städte wurden alle erhaltenen Gebäude gebraucht. Manche Nachnutzungen lassen sich in ihrer Perversität nicht mit der einfachen Not erklären oder rechtfertigen: So wurden befreite KZ-Häftlinge, Kriegsgefangene und Flüchtlinge nach dem Krieg teilweise (wieder) in ehemaligen Konzentrationslagern und Munitionsfabriken untergebracht. In den Westzonen entstanden etwa 20 sogenannte Flüchtlings- oder Vertriebenenstädte. Die Hamburger Stadtverwaltung nutzte das KZ Neuengamme weiter als Gefängnis. Erst in den achtziger Jahren entwickelte sich ein neues Bewusstsein für Täterorte wie Polizeistationen, Gefängnisse und Arbeitslager.
Die meisten erhaltenen Bauten der NS-Zeit, insbesondere die Behörden und Schulbauten, werden bis heute fast unverändert weitergenutzt. Obwohl es eine entsprechende Verordnung der Alliierten gab, wurden bei weitem nicht überall die nationalsozialistischen Herrschaftssymbole entfernt. Selbst propagandistische NS-Kunst an den Bauten blieb vielfach erhalten, Ost und West unterschieden sich dabei kaum. Ein Beispiel bieten die in der Nazizeit errichteten Schulgebäude in Schwenningen am Neckar und in Eisenach, wo die Propagandakunst auch nach dem Krieg erhalten blieb. Ulrich Kottenrodts erotisierende Schwanenmaid in Schwenningen entsprach offenbar auch nach dem Krieg noch dem Skulpturen-Ideal der biedermeierlichen Kind-mit-Tier-Idylle, und die Erziehergruppe von Erich Windbichler in Eisenach mit dem dominanten halbnackten Führer der Kindergruppe passte zum in der DDR propagierten sozialistischen Menschenbild. Während die Skulptur in Schwenningen in der Zwischenzeit entfernt wurde, ist die Erziehergruppe in Eisenach noch heute zu besichtigen.
Es gibt auch Fälle, in denen die NS-Gestaltung nach dem Krieg vom gleichen Künstler weitergeführt wurde. So konnte Hermann Kaspar seine NS-Mosaiken im Kongresssaal des Deutschen Museums in München 1945 bis 1955 fertigstellen – und erhielt 1953 zusätzliche Wandbildaufträge für den Ehrensaal und das Treppenhaus im Hauptgebäude.
Bis eine Reflexion über einen angemessenen Umgang mit den Bauten der NS-Zeit einsetzte, sollte viel Zeit vergehen. Trotz des großen aktuellen Interesses an „dark places“ werden die meisten Alltagsbauten aus der NS-Zeit bis jetzt nicht als solche erkannt – und deswegen auch nicht hinterfragt. Die Aufarbeitung der NS-Bauten ist also noch lang nicht abgeschlossen, die Frage nach dem richtigen Umgang mit ihnen wird auch nicht final zu beantworten sein. Zunächst müsste man aber über die Herkunft, Funktion und Gestaltung solcher Bauten besser informieren. Aus diesem Wissen heraus könnte ein breiteres Interesse an unserer gebauten Umwelt und ihrer zukünftigen Gestaltung erwachsen.
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