Bauwelt

Wie Phoenix aus der Asche?

Schon fast wiederaufgebaut, stand das Mackintosh Building der Glasgow School of Art im letzten Jahr erneut in Flammen. Ist eine Rekonstruktion des „Mack“, wie sie nach dem ersten Brand 2014 in Angriff genommen wurde, immer noch sinnvoll?

Text: Glitsch, Tobias, Aachen; Hake, Verena, Aachen

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    3D-Schnitt-Visualisierung durch den Westflügel des Mackintosh Building auf Grundlage der nach dem Brand 2014 angefertigten Laserscans. Der dop­pelgeschossige Raum links ist die Bibliothek.
    © Glasgow School of Art

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    3D-Schnitt-Visualisierung durch den Westflügel des Mackintosh Building auf Grundlage der nach dem Brand 2014 angefertigten Laserscans. Der dop­pelgeschossige Raum links ist die Bibliothek.

    © Glasgow School of Art

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    Das Mackintosh Building im Juni 2019.
    Foto: Tobias Glitsch

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    Das Mackintosh Building im Juni 2019.

    Foto: Tobias Glitsch

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    Nordfassade des Mackintosh Building vor dem Brand 2014.
    Foto: © Glasgow School of Art

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    Nordfassade des Mackintosh Building vor dem Brand 2014.

    Foto: © Glasgow School of Art

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    Historische Aufnahme der Bib­liothek.
    Foto: © Page Park

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    Historische Aufnahme der Bib­liothek.

    Foto: © Page Park

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    1:1-Prototyp für die Rekonstruktion der Holzeinbauten.
    Foto: © Page Park

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    1:1-Prototyp für die Rekonstruktion der Holzeinbauten.

    Foto: © Page Park

Wie Phoenix aus der Asche?

Schon fast wiederaufgebaut, stand das Mackintosh Building der Glasgow School of Art im letzten Jahr erneut in Flammen. Ist eine Rekonstruktion des „Mack“, wie sie nach dem ersten Brand 2014 in Angriff genommen wurde, immer noch sinnvoll?

Text: Glitsch, Tobias, Aachen; Hake, Verena, Aachen

Nicht zuletzt durch das Feuer in der Kathedrale von Nôtre-Dame ist die Frage nach der architektonischen Zukunft brandzerstörter Monumente in den vergangenen Monaten verstärkt in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Stehen die Überlegungen zum Umgang mit der Pariser Kathedrale noch an ihrem Anfang, blickt Glasgow nach zwei Bränden in Charles Rennie Mackintoshs berühmter Glasgow School of Art auf eine mittlerweile fünf Jahre währende Rekonstruktionsdebatte zurück. Welche Prozesse bestimmten diese schottische Variante der Debatte? Und vor allem: Wie sind sie zu bewerten?

Sinnbild der städtischen Identität

Nach dem Niedergang der Schwerindustrie in den 1960er Jahren stand Glasgow vor der Herausforderung, sich neu zu definieren. Vor der Folie eines wachsenden Bewusstseins für den architektur- und kunstgeschichtlichen Rang von Charles Rennie Mackintosh (1868–1928) entwickelte die Stadt daher mehr und mehr ein Selbstverständnis als Wirkungsstätte der künstlerischen Avantgarde. Gerade die Glasgow School of Art (GSA) diente in zweierlei Hinsicht als Sinnbild für diesen Aspekt der neuen städtischen Identität: Zum einen gehörte das zwischen 1897 und 1909 errichtete Hauptgebäude der Kunsthochschule zu den Werken Mackintoshs, die im Laufe der Jahre den wenigsten Veränderungen unterworfen waren, an denen sich seine gestalterischen Ideen am deutlichsten manifestierten und die damit auf besonders authentische Weise Zeugnis von seinem Können ablegten. Zum anderen repräsentierte die GSA aber auch als Institution genau den Ort, an dem Mackintosh und die anderen Protagonisten des „Glasgow Style“ ihre ersten schöpferischen Impulse erhalten hatten und an dem nachfolgende Kunstschaffende die Tradition kreativen Experimentierens fortführten. Angesichts dieses Stellenwerts war das Entsetzen umso größer, als die Schule im Mai 2014 das erste Mal in Flammen aufging.

Nach dem ersten Brand: Gedanken zum Wiederaufbau

Noch während des Brandes stellten die Verantwortlichen der GSA, insbesondere die damalige Vorsitzende des Hochschulkuratoriums, Muriel Gray, in einer spontanen Reaktion in Aussicht, das Mackintosh Building wiederaufzubauen. Dem nachvollziehbaren Wunsch nach einer möglichst zügigen Rekonstruktion stand jedoch schon bald die Erkenntnis gegenüber, dass die Wiederherstellung des Gebäudes wohl doch ein mehrjähriges Unterfangen sein würde. Darüber hinaus wurde deutlich, dass sich durch den Brand – so tragisch er auch war – die Möglichkeit ergeben hatte, die Bedeutung des Mackintosh Building für die Schule wie für die Stadt nochmals intensiver zu reflektieren und daraus ein Gesamtkonzept für die Zukunft des Gebäudes zu entwickeln.
Die Vielfalt der daraufhin initiierten Diskussionsformate, zu denen neben den hochschulinternen Gesprächen und der Abstimmung mit den schot­tischen Denkmalbehörden auch öffentliche Symposien in Glasgow und auf der Biennale in Venedig gehörten, zeugt von einem wohlabgewogenen Vorgehen. Dennoch fällt auf, dass auch im Verlauf dieses Reflexionsprozesses der anfängliche Impuls, das Gebäude in seinen vorherigen baulichen Zustand zurückzuversetzen, nicht grundsätzlich infrage gestellt wurde. Und die Entscheidung für eine Rekonstruktion erscheint der gewaltigen architekturhistorischen Relevanz sowie der identitätsstiftenden Kraft des Gebäudes durchaus angemessen – umso mehr als Aussagen der GSA zufolge nach dem ersten Brand noch etwa 90 Prozent des Gebäudes unversehrt erhalten waren.
Nach einem Laserscan der vom Feuer verschont gebliebenen Bauteile sowie nach Bergung und Sicherung der wiederverwendbaren Elemente wurden die Herrichtung und, wo erforderlich, die Rekonstruktion des Gebäudes ausgelobt – und zwar unter einer doppelten Prämisse: Zum einen sollte es darum gehen, die von Mackintosh ersonnenen Räume originalgetreu und entsprechend höchster technischer, künstlerischer und handwerklicher Standards wiedererstehen zu lassen. Zum anderen sollte der Bau nach Abschluss der Arbeiten besser als bisher die heutigen Anforderungen an Konstruktion und Brandschutz erfüllen. Die Umsetzung dieses anspruchsvollen Auftrags, den das Glasgower Büro Page Park erhielt, hätte spätestens Anfang 2019 abgeschlossen sein sollen.
Ein mustergültiges Vorgehen
Der großzügig bemessene Realisierungszeitraum ermöglichte ein mustergültiges Vorgehen, mit dem die Projektverantwortlichen gewisse Standards für zukünftige Rekonstruktionsprojekte zu setzen versuchten. Der Wiederherstellungsprozess folgte einem ganzheitlichen Ansatz und war gleichermaßen geprägt von der Nutzung aktueller digitaler wie traditioneller handwerklicher Werkzeuge und Arbeitsweisen.
So waren die Architekten bereits im Auslobungsverfahren dazu verpflichtet worden, den engen Austausch mit Handwerkern zu suchen – eine Vorgabe, die gerade hier als besonders verdienstvoll gelten darf, da Mackintosh noch in der Tradition der Arts-and-Crafts-Bewegung stand und die­-se ja ebenfalls eine unmittelbare Verbindung von Handwerk und künstlerischer Gestaltung angestrebt hatte. Insbesondere bei der Rekonstruktion des eigentlichen Herzstücks der Schule, der hölzernen Bibliothek, setzten Page Park diese Anforderung geradezu vorbildlich um, indem sie gemeinsam mit Tischlern und Schnitzern eines erfahrenen Edinburgher Schreinereibetriebs zunächst den Prototyp eines kompletten Bibliotheksjochs im Maßstab 1:1 herstellten und dabei ausschließlich auf Materialien, Verbindungen und Veredelungen zurückgriffen, die ein Jahrhundert zuvor auch Mackintosh eingesetzt hatte. Als ebenso beispielhaft darf die Entscheidung gelten, die gewonnenen Erkenntnisse in ein hochdetailliertes BIM-Modell des Gebäudes einfließen zu lassen sowie als Destillat des gesamten im Projekt gesammelten Wissens einen „Conservation Atlas“ zu entwickeln, in dem, so Page Park, „alles, was wir gelernt haben, unser Ansatz, unsere Methodik und Implementierung zusammengefasst wird“.
Nach dem zweiten Brand: vom positiven Impetus zur Kritik an der Schulleitung
Nach dem ersten Feuer war es der GSA noch gelungen, rings um den Wiederaufbau eine positive Atmosphäre zu verbreiten, eine produktive, in die Zukunft gerichtete Auseinandersetzung mit dem Gebäude anzustoßen und diesen Impetus durch eine breitgefächerte Öffentlichkeitsarbeit aufrechtzuerhalten. Die Entscheidung für eine Rekonstruktion sowie das Verhalten der Schulleitung waren daher von öffentlicher Kritik zunächst weitgehend verschont geblieben.
Als das Mackintosh Building im Juni 2018 – und damit kurz vor Fertigstellung und Wiederinbetriebnahme – Opfer eines zweiten, um einiges zerstörerischeren Brandes wurde, warf dies die Frage nach dem weiteren Umgang mit dem Gebäude allerdings nochmals neu und deutlich grundsätz­licher auf. Muriel Gray erklärte auch unmittelbar nach diesem Feuer, dass sich an der Entschlossenheit der GSA, das Gebäude so wiedererstehen zu lassen, „wie Mackintosh es entworfen hat – auf den Millimeter genau“, nichts geändert habe. Diese Reaktion mag dadurch begründet gewesen sein, dass das Mackintosh Building seit mehr als einhundert Jahren das ideelle Zentrum der Schule gebildet hatte und ein vollständiger Verlust des Baus für die Verantwortlichen wohl schlicht nicht vorstellbar war. Zudem trug nach all den ehrgeizigen Plänen des ersten Wiederaufbaus gewiss auch eine generelle intellektuelle Erschöpfung zur mangelnden Bereitschaft bei, das weitere Vorgehen zusammen mit allen relevanten Beteiligten proaktiv zu diskutieren. Dennoch führte sowohl die Tatsache, dass die Schulleitung unbeirrt an einer vermeintlich alternativlosen Komplettrekonstruktion festhielt, als auch der Umstand, dass die Öffentlichkeitsarbeit nach dem zweiten Brand auf ein Minimum reduziert wurde, bei zahlreichen Beobachtern zu dem Schluss, die GSA sei nicht länger zu einer transparenten und ergebnisoffenen Debatte bereit.
Daher erscheint es nur folgerichtig, dass die Diskussion um die Zukunft des Gebäudes nun nicht mehr unter der Ägide der Schule selbst stattfindet, sondern unter derjenigen des „Culture, Tourism, Europe and External Affairs Committee“ des schottischen Parlaments, das gemeinsam mit Experten und Betroffenen verschiedene räumliche, funktionale und administrative Entwicklungsszenarien diskutiert und zu bewerten versucht.

Ein erneuter Wiederaufbau? Pro und Kontra

Der Architekt Alan Dunlop warnt in seiner schriftlichen Stellungnahme an das Komitee vor einem erneuten originalgetreuen Wiederaufbau des Mackintosh Building. Einen solchen hält er für eine bloße „Fälschung“, die zwar aussehen möge wie das Original, diesem angesichts der Anforderungen an zeitgenössische Gebäudetechnik aber nicht entsprechen könne. Daneben gibt er zu bedenken, dass trotz des Versprechens der Schule, den Wiederaufbau komplett aus den Entschädigungszahlungen der Feuerversicherung zu finanzieren, eine Vervielfachung der projektierten Baukosten sowie ein daraus resultierender Rückgriff auf öffentliche Gelder nicht auszuschließen seien. Er fordert daher, man müsse den Verlust des Mackintosh Building akzeptieren und „eine/n neue/n Mackintosh sein/ihr Talent unter Beweis stellen lassen“.
Doch ist die Schlussfolgerung, das „Mack“ nun endgültig aufzugeben und das 2014 von Steven Holl als Reaktion auf Mackintoshs Architektur­ikone errichtete Reid Building mit einer weiteren, diesmal wohl reinen Gegenwartsarchitektur zu konfrontieren, wirklich angebracht?
Diese Frage stellt sich umso mehr, als zahlreiche andere Stellungnahmen überzeugend darlegen, dass der Umfang der erforderlichen Wiederherstellungsarbeiten zwar deutlich gestiegen sein mag, dass aber die nach dem ersten Brand gesammelten und unter anderem auf den beiden Symposien öffentlich diskutierten Argumente für eine Rekonstruktion nichts von ihrer Stichhaltigkeit verloren haben – auch nicht durch das zweite Feuer.
So macht etwa Tony Jones, ehemaliger Direktor der GSA, nochmals darauf aufmerksam, dass alle für eine Rekonstruktion erforderlichen Grund­lagen existieren, darunter Mackintoshs Originalzeichnungen, große Teile der bauzeitlichen Korrespondenz und der Handwerkerrechnungen sowie das Laseraufmaß des gesamten Inneren und Äußeren. Außerdem weist er darauf hin, dass sich erhebliche Teile der Innenausstattung und des Mo­biliars zum Zeitpunkt des zweiten Brandes restaurierungsbedingt in externen Werkstätten befanden und daher von den Flammen verschont blieben. Und schließlich betont er, dass die architektonische Qualität des Mackintosh Building weniger einer besonderen Materialität oder einer besonderen Handschrift der ursprünglichen Ausführenden, sondern eher den konzeptionellen Ideen Mackintoshs zu verdanken sei. Diese Ideen, so Jones, seien sowieso erst durch die Arbeit auf der Baustelle in ein konkretes Objekt überführt worden; eine Realisierung von Mackintoshs Plänen durch heutige Handwerker dürfe daher mit ebenso gutem Recht als originaler Teil von dessen Œuvre gelten wie eine Umsetzung, die gut einhundert Jahre zurückliege. Der von Dunlop und anderen Rekonstruktionsgegnern geäußerte Einwand, bei einer originalgetreuen Wiederherstellung könne allenfalls eine – letztlich abzulehnende – Kopie entstehen, liefe demnach ins Leere.
Katrina Brown, Ausstellungsmacherin und ehemaliges Mitglied des Board of Governors, erinnert darüber hinaus an die Vorbildfunktion des Gebäudes und gibt zu bedenken, wie „gute, gar brillante Architektur fördern, unterstützen und inspirieren kann“. Sie betrachtet die Wiedererrichtung des „Mack“ dementsprechend als eine „Investition in die Studierenden und in das Studieren, in den Wert der Bildung per se“.
Bewahrung und Fortschreibung des materiellen und immateriellen Erbes
Der Wunsch nach einer möglichst vollständigen Rekonstruktion des Hauses zeugt von einem reflektierten Bewusstsein um ein unauflöslich mit der kulturellen Identität Glasgows verwobenes architektonisches Erbe und ist trotz vereinzelter Kritikpunkte unter diesen Voraussetzungen nachvollziehbar. Ein Wiederaufbau bleibt daher – im Unterschied zu manch anderen Bauten, über deren Rekonstruktion in den vergangenen Jahren diskutiert wurde – hier weiterhin die adäquate Antwort auf die beiden Brände.
Dies bedeutet jedoch nicht, alle Spuren der jüngsten Geschichte zu tilgen und das Bauwerk in einen scheinbar unberührten, gar musealen Zustand zu versetzen. Im Gegenteil: Eine solche Vorgehensweise wäre angesichts der Ereignisse der letzten vier Jahre ein erheblicher Rückschritt. Betrachtet man die nach dem ersten Brand geführten Debatten, so lag deren große und zukunftsweisende Qualität nämlich gerade darin, sich von der alleinigen Fixierung auf die Frage nach der Originalität der physischen Substanz gelöst und stattdessen die Aufmerksamkeit stärker auf die immateriellen Bedeutungsschichten des Baus gelenkt zu haben – Bedeutungsschichten, die überhaupt erst eine ganzheitliche Wahrnehmung des Gebäudes und seiner Geschichte ermöglichten.
Spuren der Brandzerstörung sollten daher an wohlerwogenen Stellen sichtbar belassen werden – als Zeichen dafür, wie viel früher notwendige Schutzmaßnahmen hätten getroffen werden müssen, vor allem aber als integraler Teil der Gebäudebiographie, als Aufforderung für eine verantwortungsbewusste Bewahrung und als Anknüpfungspunkt für eine schöpferische Fortschreibung.

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