Bauwelt

Wie entwirft man eine urbane Ikone?

Hochglanzgebäude überschwemmen die Städte. In den meisten Fällen scheitern die teuren Projekte am eigenen Anspruch und erregen nicht die gewünschte Aufmerksamkeit. Woran liegt das?

Text: Ratti, Carlo; Picon, Antoine

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Ikonen unserer Zeit sollten mehr sein als frivole Gestaltungsergüsse.
Rendering: CRA-Carlo Ratti Associati

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Wie entwirft man eine urbane Ikone?

Hochglanzgebäude überschwemmen die Städte. In den meisten Fällen scheitern die teuren Projekte am eigenen Anspruch und erregen nicht die gewünschte Aufmerksamkeit. Woran liegt das?

Text: Ratti, Carlo; Picon, Antoine

In vielen Jahren Architekturpraxis erzählen einem die eigenen Bauaufgaben etwas über die Welt. So erhielten wir in letzter Zeit mehr und mehr Anfragen für Monumentalbauten, Wahrzeichen für die Ewigkeit, Ikonen. Die Nachfrage nach solchen Gebäuden von Regierungen und Unternehmen entlarvt die Oberflächlichkeit unserer bildbesessenen Zeit. Wir können ihr begegnen, indem wir Ikonen bauen, die in einer von „urban clickbait“ übersättigten Welt hervorstechen, weil sie sich der größten Herausforderung unserer Zeit stellen: dem Klimawandel.
Im goldenen Zeitalter von Stadtmarketing und Instagram-Tourismus wetteifern die Metropolen um das beste Image. Eine Architekturikone fungiert dabei als Blitzableiter für kulturelle Macht, lockt Touristen an und bietet eine Projektionsfläche. Monumentale Gebäude wachsen überall dort aus dem Boden, wo Reichtum herrscht. Schwellenländer wollen sich profilieren, westliche Städte ihre Skylines aufhübschen.
Ja, der Hunger nach Ikonen ist allgegenwärtig – und uns fällt nichts Besseres ein, als ihn mit Junk Food zu füttern. Diese wenig subtilen Versuche führen zu enttäuschenden Ergebnissen. Die wenigsten der Möchtegern-Ikonen der letzten zwanzig Jahre haben auch nur eine Spur im kollektiven Gedächtnis hinterlassen.
Worin also liegt der Unterschied zwischen Erfolg und Misserfolg? Auffallend viele „Klassiker“ sind zufällig entstanden. Beispielsweise waren der Eiffelturm und das London Eye als temporäre Installationen geplant. Aber jedes London Eye hat einen geschmacklosen Antagonisten. In London spielt diese Rolle der hässliche Aussichtsturm „Arcelor Mittal Orbit“, den der damalige Bürgermeister Boris Johnson der Stadt mit dem Ziel aufzwang, „interessanter auszusehen als der Eiffelturm“. Was er natürlich nicht erreicht. Beeindruckende Architektur um ihrer selbst willen ist selten beeindruckend.
Eine echte Ikone weist über sich selbst hinaus und verkörpert den Zeitgeist ihrer Ära. Die Pyramiden, zentral für die ägyptische Religion, wurden zum Symbol eines ganzen Landes. Der Eiffelturm war ein Pionier des eisernen Zeitalters und nutzte diesen Umstand, um sich einen Platz in der Geschichte zu sichern. Diese Projekte orientierten sich an ihrer Zeit und schufen ein kulturelles Momentum, eine dynamische Kraft, die ihre kalten Stahlträger und Wände bis heute belebt.
Worin also manifestiert sich der Zeitgeist von heute? Neben vielen Möglichkeiten schlagen wir den Klimawandel vor. Das Problem ist universell: Überschwemmungen von Pakistan bis Vermont. In dieser Ära der Katas-trophen werden Symbole für einen hoffnungsvollen Umgang mit der Klimakrise notwendig und für kommende Generationen zunehmend relevant. Es gibt keinen besseren Weg, etwas Dauerhaftes zu hinterlassen.
Einigen ist bereits bewusst, welches Potential in umweltbezogener Gestaltung steckt. So hinterließen Projekte wie Stefano Boeris pflanzenbedeckte Türme in Mailand einen bleibenden Eindruck. Jedoch überschatten zweifelhafte CO2- und Nachhaltigkeitsbilanzen viele dieser Projekte. Aus der Greenwashing-Flut werden die Ikonen herausstechen, die sich der Herausforderung des Klimawandels ehrlich stellen.
Das jedenfalls ist der Weg, den wir zu beschreiten versuchten, als wir an einem Wettbewerb teilnahmen, der das Ziel hatte, Helsinkis kohlebetriebenes Heizungssystem durch etwas Neues zu ersetzen. Wir schlugen große, auf dem Ozean schwimmende Wassertanks vor, die wie Wärmebatterien fungieren. Erneuerbare Energien erhitzen das Wasser, das in die Häuser der Stadt gepumpt werden kann, wenn Wind und Sonnenlicht nicht verfügbar sind. Geodätische Kuppeln auf jedem Tank verwandeln die Batterien in ganzjährig nutzbare, saunaähnliche öffentliche Parks. Nachdem unser Vorschlag den Wettbewerb gewonnen hatte, zog er mehr Aufmerksamkeit auf sich als all unsere Projekte zuvor. Seine Ausführung steht zwar noch aus, aber wir stellen uns eine Zukunft vor, in der sich ähnliche Lösungen auf der ganzen Welt verbreiten.
Unser Aufruf an die Architektinnen und Architekten der Ikonen von morgen lautet: Wenn sie Erfolg haben wollen, knüpfen Sie Ihre Ziele an größere Problemstellungen. Wollen Sie inspirieren, fokussieren Sie sich auf Gebiete, wo Inspiration gebraucht wird. Wir brauchen Eiffeltürme der Klima-Innovation und Freiheitsstatuen, die unsere gemeinsame Zukunft willkommen heißen. Noch nie zuvor hat die Welt sich mit so vielen Krisen konfrontiert gesehen wie heute – und dennoch antwortet unser Berufsstand mit luftleeren Posen und Frivolität.
Wir könnten so viel mehr tun. Unser Bedürfnis zu gestalten, zu bauen und Spuren zu hinterlassen, ist menschlich und damit unumgänglich. Die Frage unserer Zeit lautet, ob wir dieses Bedürfnis für die Menschheit nutzbar machen können.
Übersetzung aus dem Englischen von Hanna Sturm

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