Der Himmel unter West-Berlin
Die post-sachlichen U-Bahnhöfe des Baudirektors Rainer G. Rümmler
Text: Schulz, Bernhard, Berlin
Der Himmel unter West-Berlin
Die post-sachlichen U-Bahnhöfe des Baudirektors Rainer G. Rümmler
Text: Schulz, Bernhard, Berlin
Einst war es der in Berlin heimisch gewordene Schwede Alfred Grenander, der das Aussehen der Berliner U-Bahnbauten prägte und dabei im Laufe von knapp zwei Jahrzehnten zu einer formal immer weiter reduzierten Sachlichkeit fand. Nach dem Krieg musste sich West-Berlin wirtschaftlich erst einmal berappeln, bevor an den Weiterbau des nunmehr zwischen Ost und West geteilten U-Bahnnetzes gegangen werden konn-te. Auf ökonomisch sparsame Anfänge folgten ab Mitte der sechziger Jahre die drei „goldenen“ Jahrzehnte des West-Berliner U-Bahnbaus – Geld, das ohnehin vom Bund bezahlt wurde, schien keine Rolle mehr zu spielen. Es waren die Jahrzehnte des Rainer G. Rümmler, der als Leitender Baudirektor bei der Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen bis zu seiner Pensionierung1994 sage und schreibe 58 der 76 in West-Berlin neu errichteten U-Bahnhöfe gestaltete.
So vertraut den nach Millionen zählenden U-Bahn-Nutzern die farbkräftigen Bahnhöfe auch sind – ihr Schöpfer ist im öffentlichem Bewusstsein nicht präsent, und die Fachwelt übergeht seinen Namen eher mit Schweigen. So musste Verena Pfeiffer-Kloss konstatieren, „zu Rümmler gibt es nur wenige Texte und Arbeiten“, bis sie selbst in die Archive stieg und die umfangreiche Dissertation an der BTU Cottbus verfasste, die unter dem anspielungsreichen Titel „Der Himmel unter West-Berlin“ nun als Buch vorliegt. Darin zeichnet Pfeiffer-Kloss den Weg von der anfänglichen Arbeit unter, dann mit Bruno Grimmek nach, der in seinen U-Bahnbauten eine Ästhetik der Sparsamkeit entfaltete, den zunehmenden Widerstand gegen Grimmek – um nicht zu sagen Eigenmächtigkeit –, bis Rümmler selbst Abteilungsleiter wurde und das alleinige Recht zum Entwurf der U-Bahnhöfe beanspruchte. Zaghafte Versuche der Architektenschaft wie auch von Lokalpolitikern, so etwas wie Wettbewerbe einzuführen, wusste Rümmler, darin der Unterstützung der übermächtigen Bauverwaltung gewiss, mühelos abzubiegen.
Seinen Platz in der Berliner Architekturgeschichte sah Rümmler ohne falsche Bescheidenheit. In einem unveröffentlichten Manuskript schrieb er 1987 über sich selbst in der dritten Person – und in eigener Grammatik –, „das was Grenander als Architekt für seine Zeit mit seinem Gespür für den technischen und künstlerischen Zwecke bedeutete ist Rümmler mit seinem Sinn für zeitbezogene Architektur, für das creative Detail mit dem Wollen den jeweiligen ,unverwechselbaren Ort’ für einen U-Bahnhof herauszuarbeiten, an einer bestimmten Stelle der Stadt, mit einem ganz bestimmten U-Bahnhof“. Pfeiffer-Kloss siehtes ähnlich, stellt dabei aber die Entwicklung des Architekten heraus: „Erstens Rümmlers Entscheidung, sich vom Paradigma der Sachlichkeit abzuwenden und stattdessen eine ,Post-Sachlichkeit‘ im U-Bahnbau zu begründen und zweitens die – damit einhergehende – grundlegende konzeptionelle Abkehr der Entwurfshaltung von einer formalen Betonung des U-Bahnraums hin zu einer bildhaften Interpretation des spezifischen Ortes über der Erde.“
Zwei Entwurfshaltungen lassen sich an den Bahnhöfen ablesen. Da sind zum einen die „U-Bahnhöfe der Pop-Ära“; sie bezeichnet Pfeiffer-Kloss als „Denkmal eines spezifischen West-Berlin-Gefühls aus Shopping, Farbe, Licht und dynamischer Großstadt, das die Stadt damals verkörpern wollte.“ Diese Entwurfshaltung geriet Ende der 70er Jahre zunehmend in die Kritik. „Es verwundert nicht, dass das Großprojekt U-Bahn, das von der Planung über Rohbau, Architektur bis hin zum künstlerischen Detail ein reines Senatsprojekt war, im Zuge dieses Stimmungswandels in die Kritik geriet“, schreibt Pfeiffer-Kloss. Rümmler aber fand eine neue Linie, die er mit den Bahnhöfen der weit in die Außenbezirke führenden Linienverlängerungen nach Spandau sowie Reinickendorf in schier überbordendem Dekor verwirklichen konnte. Ihren Höhepunkt fand diese Entwurfshaltung im hallenartigen Bahnhof Rathaus Spandau, „mit seinen breiten schwarz-weißen Stützen und goldenen HQL-Pendelleuchten, dem für Berlin untypischen Galeriegeschoss und einer außergewöhnlich hohen Decke fraglos einzigartig im Berliner U-Bahnnetz“. Mit der Verlängerung nach Span-dau machte Rümmler „einen ganzen Streckenabschnitt zu einem unterirdischen Geschichtsbilderbuch“ und schuf so ein „mehrteiliges Unikat“. Wenngleich Rümmler die Einschränkungen durch Normvorgaben des Tiefbaus beklagte, zeigte sich seine Architektur „im Ergebnis der realisierten Bahnhöfe ausgesprochen verspielt, unerwartet kleinteilig, detailliert durchkomponiert und in höchstem Maße individuell“.
Stationen, schrieb Rümmler 1987, als weitere drei seiner Bahnhöfe in Betrieb gingen, sollten Orte sein, „die unverwechselbar sein müssen, so dass sich der Fahrgast orientieren kann, ohne erst lange die Namen auf den Schildern und Wänden studieren und entziffern zu müssen“. Dieses Ziel hat er auf ganz eigene Weise erreicht. „Es ist eine Stadtlandschaft im Untergrund“, bilanziert Pfeiffer-Kloss, „die Rümmler mit seinem Feingefühl für den Zeitgeist, (…) seiner schier unendlichen Phantasie und seinen großen künstlerischen Freiheiten entwarf.“ Mit ihrer Studie macht die Autorin Rümmlers Platz in der Berliner Baugeschichte in vollem Umfang sichtbar.
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