Bauwelt

Die Hängenden Gärten von Babylon

Vom Weltwunder zur grünen Architektur

Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig

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Die Hängenden Gärten von Babylon

Vom Weltwunder zur grünen Architektur

Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig

Der Band erschien zu einer Sonderausstellung, die im ersten Halbjahr 2020 das Düsseldorfer Museum für europäische Gartenkunst, Schloss Benrath, gezeigt hatte. Der Verfasser Stefan Schweizer, promovierter Kunsthistoriker, ist dort seit 2012 wissenschaftlicher Vorstand der tragenden Stiftung, Direktor der dortigen Museen und war Kurator der Schau. Der Schwerpunkt der Publikation liegt auf der Sichtung archäologischer und kunsthistorischer Quellen der bis heute in ihrer baulich realen Existenz nicht verifizierbaren Hängenden Gärten von Babylon sowie ihrer Karriere als unerschöpfliches Inspirationspotential für Bildphantasien, Rekonstruktionsmodelle, Architektur- und Gartentheo­-rie bis in die Gegenwart. In einem Essay erntet Frank Maier-Solgk die mannigfaltigen Früchte dieses geistigen Terrains in Gestalt aktueller Architekturproduktionen einer „Hortitecture“, der verordneten Eintracht von Architektur und domestiziertem Grün.
Die Hängenden Gärten von Babylon zählen neben den ägyptischen Pyramiden oder der Kolossalstatue über der Hafeneinfahrt von Rhodos zu den „Sieben Weltwundern“ der Antike, ein Kanon, der sich im 2. Jahrhundert vor Christi entfaltete. Der griechische Historiker Herodot widme­te bereits um 430 v. Chr. den Wunderwerken kurze Baubeschreibungen zu Maßen, Materialien, Bauzeit und Kosten. Er will Babylon besucht haben, weiß um die von Mauern umgebene Stadtgestalt und eine spezielle Bauweise, die in der Folge immer wieder im Zusammenhang der Hängenden Gärten thematisiert wird: Aus lokal anstehendem Lehm gebrannte Ziegel wurden mit heißem Erdharz, also Bitumen, vermauert. Die erhöhte Festigkeit des Mauerwerks ermöglichte statt­liche Bauwerksmaße und wohl auch eine gewisse Feuchtigkeitsresistenz etwaiger baulicher Sub­struktionen unter einem Garten. Denn das Charakteristikum „hängend“ bezog sich weder auf die „trauernde“ Wuchsform ihrer Bepflanzung noch auf die statische Aufhängung einer Baukonstruktion sondern bezeichnet, etwas missverständlich, die auf einem Unterbau ruhende, künstliche Grünanlage.
Zwar erwähnt Herodot die Hängenden Gärten nicht, bringt aber mit Königin Semiramis eine im Lauf der Jahrhunderte widersprüchlich ausdeutbare literarische Figur als Herrscherin und Bauherrin ins Spiel. Das christliche Mittelalter setzte sie Marien gleich, Dantes Göttliche Komödie verweist sie in die Hölle, schreibt ihr die Laster des Unmaßes und der Fleischeslust zu. Petrarca sah sie als mutige, Bocaccio gar weise und tugendhafte Regentin, vor ihrem inzestuösen Fehltritt: Bis in die Gegenwart hinein eine Gestalt auch für Kunst, Oper oder Film.
Als frühe lokale Quelle charakterisierte der Astronom und Priester Berossos um 290 v. Chr. die Hängenden Gärten seiner Heimatstadt: Eine steinerne Anhöhe, den Bergen ähnlich, bepflanzt mit Bäumen. Als Bauherr benannte er, konkurrierend zu Semiramis, Nebukadnezar, dessen Autorschaft Archäologen des 19. Jahrhunderts zu bestätigen versuchten und die auch der Autor präferiert.
Im 17. Jahrhundert kompilierte der jesuitische Universalgelehrte Anasthasius Kirchner verschiedene Quellen zur architektonischen Ur-Rekonstruktion: Ein vierfach terrassierter Baukörper, dessen getreppte Seitenfassaden das Theatrum-Motiv des römischen Kolosseums zitieren. Das Grün auf den Terrassen allerdings fällt nun spärlich aus, keine Spur mehr von einer baumbestandenen Berglandschaft. Dieses karge Modell nahm die zeitgenössische Gartentheorie auf, die Hängenden Gärten wurden zum Archetyp des erhöht gelegenen formalen Gartens, mit gestuften Terrassen, Zierbeeten, Springbrunnen, Bänken und inszeniertem Ausblick in die Umgebung. Er erlebte eine kurze Blüte in der italienischen Renaissancearchitektur – im Kontext etwa der Paläste in Pienza, Gubbio, Urbino oder Pesaro –, den Wissenstransfer aus antiker Li­teratur hin zu detailliert konstruktiven Angaben besorgte Leon Battista Alberti in seinen Architekturtraktaten. Auch andere Regionen fanden Gefallen: Zarin Katharina, laut Voltaire die „Semiramis des Nordens“, versah im späten 18. Jahrhundert die kleine Eremitage in St. Petersburg mit einem Hängenden Garten. Karl Friedrich Schinkel plante 1838 ein Sommerschloss auf der Krim: eine Melange aus klassischer Architektur und orientalisch anmutender Bepflanzung rund um einen tempelartigen Dachpavillon, Proble-
me einer Bauwerksdichtung wohlweislich verschweigend.
Der Typus des seiner natürlichen Grundlagen beraubten, in eine „Troghaltung“ gezwängten Grüns beherrschte auch die Dachgartenphantasien der klassischen Moderne. Le Corbusier bezifferte sein schematisches Dachgrün als urbanen Flächenzugewinn, Roberto Burle Marx schuf kunstvolle Ornamente tropischer Botanik. In Zeiten gesteigerten Bewusstseins für artgerechte Haltungsformen müssten eigentlich Gewaltexzesse urbaner Bauwerksbegrünungen wie der Mailänder Bosco Verticale oder die acht Kilometer Hainbuchenhecken auf dem Düsseldorfer Kö-Bogen II irritieren. Bäume und Pflanzen aber finden keine Lobby ähnlichen dem Tierschutz, auch nicht im vorliegenden Band. „Hängende Gärten“ sind, wie der „Garten Eden“, Utopien – und die wären nicht zu verwechseln mit Handlungsanweisungen allfälliger Architekturpraxis.
Fakten
Autor / Herausgeber Stefan Schweizer
Verlag Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2020
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aus Bauwelt 6.2021
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