Heimat
Handwerk und die Utopie des Alltäglichen
Text: Gebler, Tina, Brandenburg an der Havel
Heimat
Handwerk und die Utopie des Alltäglichen
Text: Gebler, Tina, Brandenburg an der Havel
Nimmt man das Buch mit dem wunderbaren Titel „Heimat, Handwerk und die Utopie des Alltäglichen“ als ebenso alltägliches Ding, dann ist es auf den ersten Blick ziemlich sperrig, unhandlich und bieder. Eingeschlagen in bräunliches Lederimitat mit gestanzter Goldschrift. Vom Gewicht her ein Ziegelstein oder zwei. Jedenfalls nicht als leichte Reiselektüre geeignet, um die Welt zu erkunden. Mit diesem Ding von Heimat lässt sich gut im Schaukelstuhl wippen, um wenigstens etwas in Bewegung zu bleiben.
Gerade gemütlich gemacht, schuppst einen das einleitende Zitat von Herbert Achternbusch wieder aus dem Polsterstuhl: „Heimat gibt es natürlich nicht. Denn dann dürften wir nicht sterben. Die Wolken dürften sich nicht bewegen. Alles wäre an seinem Platz.“ Heimat ist eine Utopie, und zwar eine extrem emotional aufgeladene, das wird schnell klar. Es geht diesem Buch jedoch nicht darum, sich in der aktuellen politischen Debatte um Heimat, zugehörige Ministerien und aus diesem Verständnis Ausgeschlossene zu positionieren.
Vielmehr geht es darum, das Thema „in der Welt der Architektur“ zu betrachten, mit Fokus auf die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts. Heimatschutzbewegung und auch NS-Architektur werden über „Form- und Stilfragen hinaus“ betrachtet, auf ihre Utopien hin hinterfragt. Lange wurden Utopien nur der Avantgarde zugeschrieben, die Kunst- und Architekturgeschichte generell auf die Rezeption der Moderne reduziert. Beständig hielt sich die Dichotomie einer fortschrittlichen, technikbegeisterten, demokratischen Moderne und einer konservativen, rückwärtsgewandten Tradition. Erst seit den Arbeiten Peter Reichels wird jedoch die „selbstverständliche Inanspruchnahme beider Spektren“ durch konservative Positionen in den 1930er und 1940er Jahren diskutiert.
Solch scheinbare Widersprüchlichkeiten mit Weitblick und aus zahlreichen Perspektiven zu beleuchten, ist ein großer Verdienst des Buches. Inhaltliche Schwerpunkte liegen dabei auf „Kritik der Industrialisierung“, „Landschaft und Bautradition“, „Gute Gestaltung für Technik“ und „Das Ideal vorindustrieller Ästhetik“. Dem Band voraus ging eine gleichnamige interdisziplinäre Tagung an der ETH Zürich, ausgerichtet von der Herausgeberin Uta Hassler, die zwischen 2005 und 2015 ebenda die Professur und Leitung des Instituts für Denkmalpflege und Bauforschung inne hatte.
Im Vorwort geht Hassler noch über einen erweiterten Blick auf die „konservative Moderne“ (Vittorio Lampugnani) hinaus. Sie fragt, „wie und ob eine Architektur des beiläufig Soliden neu denkbar wäre – und ob sie nicht an einem emblematischen Ideal unaufgeregter Alltäglichkeit zu messen wäre, das sich aus nicht formalen Überlegungen ergibt.“ Gemeint sind „Muster des einfachen und handwerklich-ländlichen Bauens und Konstruierens“, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts aufgegeben wurden. Leider nimmt sich der Band selbst dieser Frage nicht an – auf eine Fortsetzung bleibt zu hoffen.
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